
Schumann, Robert - Klavierkonzert a-moll op.54
Juwelen aus dem Fundus
Label/Verlag: Berlin Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Im Nachhinein kann man beinahe froh darüber sein, dass es zu ‚Mauerzeiten‘ für Westler bei Besuchen in Ost-Berlin den so genannten ‚Zwangsumtausch‘ gab. Das Geld musste ja sinnvoll unters Volk gebracht werden, und da lag es nahe, vom Grenzübergang Friedrichstraße mal eben um die Ecke zu biegen und ‚Unter den Linden‘ das Geld in Lesestoff und Schallplattenraritäten anzulegen. Dabei kamen über die Jahre nicht nur ganze Regale an russischer und deutscher Literatur zusammen, sondern auch die ein oder andere musikalische Entdeckung war darunter: Aufnahmen von Musikern, die selten im Westen auftraten, die dort auch nicht über eine Vermarktungsmaschinerie verfügten und die daher dort eher als Geheimtipp galten.
Der Dresdner Pianist Peter Rösel war zwar 1966 sensationeller Preisträger
im Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb und 1968 auch in Montreal. Doch im ganz großen Stil hat
er im Westen damals musikalisch trotzdem nicht Fuß fassen können. Nach dem Mauerfall
übernahm es dann ‚Berlin Classics‘ (edel), die Schallplatten aus DDR-Beständen auf CD neu
herauszubringen und zu vermarkten. Die vorliegende Aufnahme gehörte zu diesem Fundus der
alten ETERNA-Schallplatten, war 1981 für die VEB Deutsche Schallplatten Berlin eingespielt worden
und ist auch schon mal bei Berlin Classics erschienen.
Technisch hat sich in den letzen zwanzig
Jahren einiges bewegt, und der Klang ist trotz trickreicher Bearbeitung nicht ganz mit neuen
Aufnahmen zu vergleichen. Der Interpretation selbst tut dies jedoch kaum einen Abbruch.
Wenn man Peter Rösel spielen hört, dann kann einem schon mal der Gedanke kommen, dass
seine Karriere wahrscheinlich um ein paar Grade größer verlaufen wäre, wenn er nicht so etwas
Unprätentiöses hätte. Im teilweise recht grellen Musikbetrieb ist Rösel (als Person wie auch
hinsichtlich seiner Spielweise) eine eher unspektakuläre Erscheinung. Das ist für die Vermarktung
eine Fußangel, für die Musik selbst aber oft eher von Vorteil.
Im Wechsel der
Affekte
Schumanns Klavierkonzert op. 54 ist - und das ist selten - bei Pianisten wie auch beim
Publikum gleichermaßen populär und ausgesprochen ‚abnutzungsresistent‘: Man hört es eigentlich
immer sehr gern. Entsprechend viele Vergleichsaufnahmen gibt es, und dabei treten die
Qualitäten von Rösel deutlich hervor. So macht er in seiner unprätentiösen Art trotz allen
romantischen Schwungs und Überschwangs nie eine überkandidelte Diva aus dem Stück (was
man sonst leider verhältnismäßig oft erleben kann). Rösel gehört nicht zu den Interpreten, für die
‚Romantik‘ eine Art permanente Ekstase bedeutet. Zwar werden die unterschiedlichen Affektlagen
von ihm mit aller Deutlichkeit aufgezeigt (auch ihre Brüche und plötzlichen Wechsel). Er begeht
allerdings nie den Fehler, es zu ‚überschminken‘ und dadurch Gefahr zu laufen, Schumann in
seinem Gefühlsüberschwang der Lächerlichkeit preiszugeben. Insgesamt ist das eine sehr starke,
sehr emotionale Interpretation, aber vollständig frei von ‚künstlicher Aufregung‘ und gerade
deshalb in ihrer Empfindsamkeit glaubwürdig. Das hat überhaupt nichts ‚Ranschmeißerisches‘ an
sich, übertrieben Heroisches oder gar Martialisches, wie man das öfter hören kann. Gleichzeitig
wirkt die Interpretation trotz aller Brüche im Stück sehr organisch. Es gibt also nicht lediglich einen
Wechsel von Affekten, sondern einen durchdachten Aufbau, der am Ende klar macht, dass es sich
trotz aller Überraschungen im Stück um ein ‚Großes Ganzes‘ handelt.
Strömende
Verwobenheiten
Rösel weiß immer sehr genau, wo man bremsen und wo er ein bisschen Gas
geben muss, um das Ganze zum Strömen zu bringen. So passiert es ihm beispielsweise nie, dass
er erst mit großer Agogik Spannung aufbaut, um dann im entscheidenden Moment durch eine
unbedachte Verzögerung (oder - je nachdem - eine fehlende Verzögerung) die ganze Dramatik
sinnlos verpuffen zu lassen. Rösel ist vollkommen frei von dieser ‚Verlegenheits-Agogik‘, die man
manchmal bei Pianisten beobachten kann, die sich über die Konstruktion eines Stückes nicht
übermäßig intensiv den Kopf zerbrochen haben, aber ‚gefühlsmäßig‘ etwas unternehmen wollen -
und es dann ausgerechnet an den ‚falschen‘ Stellen tun, und der ganze Aufbau dann kollabiert.
Eine andere Stärke dieser Aufnahme besteht darin, dass das Zusammenspiel zwischen
Orchester und Solist Schumanns Ideal von der ‚Verwobenheit‘ beider, sehr nahe kommt.
Schumann wollte weg von der Art Solokonzert, bei der sich Solist und Orchester mehr oder
weniger abwechseln und der Solist vor allem nur Virtuose ist. Seine Idee war ein echtes
Zusammenspiel zwischen beiden. Das funktioniert hier zwischen Rösel und dem
Gewandhausorchester Leipzig und Kurt Masur auch sehr gut, beispielsweise wenn Orchester und
Solist sich gegenseitig Phrasen ‚zuspielen‘ oder wenn der oft so stark strömende Klavierpart von
dem wunderschönen (!!!) tiefen Streicherklang des Orchesters getragen wird.
Mit Blick auf die
Geschwisterwerke
Ebenfalls auf der CD sind das Konzertstück für Klavier und Orchester op. 92
und das Konzert-Allegro op. 134, beide verhältnismäßig selten zu hören. Das Konzertstück op. 92
ist in einem ähnlichen Gestus und mit ähnlicher Instrumentation geschrieben wie das Konzert op.
54, doch ist es kürzer und insgesamt weniger komplex. Für Pianisten gibt es eine hundsgemeine
Akkordsprungstelle, in der beide Hände über einen längeren Zeitraum ganz verschiedene Sprünge
in entgegengesetzte Richtungen ausführen müssen. Noch hundsgemeiner ist, dass die Augen
dabei aber nur einer der beiden Hände folgen können (kein Problem für Rösel). Das
Konzert-Allegro op. 134 ist eigentlich eher eine recht zerrissene Klavier-Fantasie, bei der das
Orchester inzwischen eine eher subalterne Rolle spielt.
Insgesamt ist festzuhalten, dass man heutzutage zwar klangtechnisch andere Möglichkeiten hat als noch vor zwanzig Jahren. Besonders bestimmte Anschlagsfinessen kann man dank heutiger Technik auch genauer wahrnehmen, wenn es gut gemacht wird. Doch summa summarum ist das eine wirklich sehr schöne Aufnahme für verhältnismäßig wenig Geld - ideal also, wenn man etwas nicht allzu Teures verschenken will oder einfach nur die Stücke kennen lernen möchte.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schumann, Robert: Klavierkonzert a-moll op.54 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Veröffentlichung: |
Berlin Classics 1 01.03.2003 60:31 2003 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
0782124325220 0032522BC |
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Schumann, Robert |
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Berlin Classics Berlin Classics (BC) ist das Klassik-Label der Edel Germany GmbH. Es ist das Forum für zahlreiche bedeutende historische Aufnahmen, wichtige Beiträge der musikalischen Zentren Leipzig, Dresden und Berlin sowie maßgebliche Neuproduktionen mit etablierten und aufstrebenden jungen Klassik-Künstlern. Dazu zählen etablierte Stars, wie z.B. die Klarinettistin Sharon Kam, die Pianisten Ragna Schirmer, Sebastian Knauer, Matthias Kirschnereit, Anna Gourari und Lars Vogt, die Sopranistin Christiane Karg oder auch die Ensembles Concerto Köln, Pera Ensemble, sowie der Dresdner Kreuzchor und das Vocal Concert Dresden. Mehrfach wurden Produktionen mit einem Echo-Preis ausgezeichnet. Im Katalog von Berlin Classics befinden sich Aufnahmen mit Kurt Masur, Herbert Blomstedt, Kurt Sanderling, Franz Konwitschny, Hermann Abendroth, Günther Ramin, Peter Schreier, Ludwig Güttler, Dietrich Fischer-Dieskau, die Staatskapellen Dresden und Berlin, das Gewandhausorchester Leipzig, die Dresdner Philharmonie, die Rundfunkchöre Leipzig und Berlin, der Dresdner Kreuzchor und der Thomanerchor Leipzig. Sukzesssive wird dieses historische Repertoire für den interessierten Hörer auf CD wieder zugänglich gemacht, wobei die künstlerisch hochrangigen Analogaufnamen mit größter Sorgfalt unter Anwendung der Sonic Solutions NoNoise-Technik bearbeitet werden, um sie an digitalen Klangstandard anzugleichen. Mehr Info... |
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