
Hölszky, Adriana - Gemälde eines Erschlagenen
Verspätetes Geburtstagsgeschenk
Label/Verlag: Neos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Label NEOS widmet Adriana Hölszky eine CD, die mit fünf Werken aus unterschiedlichen Schaffensphasen tiefe Einblicke in das Schaffen der Komponistin ermöglicht.
Es ist wohl nicht verfehlt, diese beim Label NEOS erschienene Produktion als verspätetes Geschenk zu Adriana Hölszkys 60. Geburtstag im Jahr 2013 zu betrachten, bietet sie doch einen repräsentativen Querschnitt zum Schaffen der Komponistin. Dies betrifft sowohl die zeitliche Hinsicht – die eingespielten Werke decken einen Zeitraum von 1989 bis 2010 ab und dokumentieren damit zwei Jahrzehnte kompositorische Entwicklung – als auch die vertretenen Gattungen, die sich vom Schlagzeugstück über Chorwerke mit und ohne Orchester bis hin zu konzertanter Musik erstrecken. Versammelt hat man zu diesem Zweck fünf Live-Mitschnitte von Konzerten aus der Münchner Reihe ‚musica viva’, die zwischen 2002 bis 2010 entstanden sind, teils Uraufführungen oder Deutsche Erstaufführungen und bis auf eine Ausnahme bislang nicht auf CD veröffentlicht.
Das 'Gemälde eines Erschlagenen' für 72 Vokalisten (1993) ist charakterisiert durch sich bewegende Wortmassen und vokale Klangfetzen, ständige Verdichtungsprozesse, räumliche Klangbahnen und eine Polyphonie unterschiedlicher Schichten, die immer wieder mit Verzweigungen arbeitet. Die Vielfalt dessen, was Hölszky den Vokalistinnen und Vokalisten abverlangt – von der intervallisch weit ausgreifenden Kantilene bis hin zu aggressiv artikulierten Flüsterpassagen –, wird vom Chor des Bayerischen Rundfunks unter Leitung von Gustaf Skälvost in außergewöhnlicher Dichte umgesetzt. Mit einer um die Hälfte reduzierten Besetzung arbeitet die Komponistin in 'Formicarium' für 36 gemischte Stimmen a capella (2010), hier vom selben Klangkörper unter Florian Helgath interpretiert. Auch in diesem Stück speist sich die Wirkung aus der prinzipiell polyphonen Anlage von Hölszkys Musik, doch spielen in viel stärkerem Maße auch gemeinsam artikulierte, blockartige Ereignisse eine Rolle, wie sich das Werk überhaupt als Studie über die Bewegung von gerichteten Einzelkomponenten und zusammengesetzten Massen ausnimmt.
Zu einem wahren Psychogramm hat die Komponistin jedoch den Umgang mit den Stimmen in der Komposition 'Dämonen' für Chor und Orchester (2006) gesteigert: Hier schließen sich die Vokalaktionen mit den punktgenau ausgetüftelten, aber dennoch sehr unterschiedlich formulierten orchestralen Gesten zu einem stellenweise schon beängstigenden Klangsturm zusammen, dessen einzelne Komponenten immer wieder kurzzeitig in rhythmisch energetischen Unisono-Blöcken zu wildem Pulsieren zusammenfindet. Dass der Hörer von diesem oftmals sogartig wirkenden Gemenge aus sich bewegenden Klängen förmlich körperlich affiziert wird, verdankt sich nicht zuletzt der hervorragenden Wiedergabe durch Symphonieorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks unter Leitung von Martyn Brabbins.
Besonders gelungen ist daneben aber auch das aufgrund seiner Besetzung außergewöhnliche Tripelkonzert 'On the other Side' für Klarinette, Mundharmonika, Akkordeon und Orchester (2000/2003), in dem Michael Riessler (Klarinette), Howard Levy (Mundharmonika) und Jean-Louis Matinier (Akkordeon) als kompositorisch geschickt konzipiertes ‚Metainstrument’ mit unterschiedlichsten Farbgebungsmöglichkeiten dem differenziert gehandhabten und in Einzelstimmen aufgefächerten Orchesterapparat gegenüberstehen. Unter Leitung von Lucas Vis gerät das Wechselspiel mit dem Orchester zu einem vibrierenden, abwechslungsreichen, dabei zarteste Passagen ebenso wie in den Raum gestellte Klangböcke umfassenden Agieren. Mit 'Jagt die Wölfe zurück' für sechs Schlagzeuger (1989/90) beinhaltet die CD schließlich auch eines von Hölszkys bekannteren und bereits anderweitig zugänglichen Werken. Das Percusemble Berlin liefert unter Leitung von Edgar Guggeis eine klare, die strukturellen Momente des Werkes betonende Aufnahme, wodurch sich das sprichwörtliche ‚Jagen’ von Klangobjekten durch den Raum gut nachvollziehen lässt. In ihrer Gesamtheit ist hier eine exzellente, den Variantenreichtum von Hölszkys Schaffen betonende Produktion entstanden, der man lediglich etwas ausführlichere Booklettexte zu den einzelnen Kompositionen hätte wünschen können.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Hölszky, Adriana: Gemälde eines Erschlagenen |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Neos 1 14.11.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
4260063112195 |
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Neos NEOS das neue Label für Zeitgenössische Musik, das seit Mitte Mai 2007 auf dem deutschen, seit Oktober 2007 auch auf dem internationalen Markt präsent ist. Im Zentrum der Neuveröffentlichungen stehen Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts - die Betonung liegt dabei auf Welt-Ersteinspielungen. Mehr Info... |
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