> > > Strozzi, Barbara: Lagrime Mie
Mittwoch, 29. November 2023

Strozzi, Barbara - Lagrime Mie

Ode an die Kunst des Gesangs


Label/Verlag: Querstand
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Mit der Einspielung 'Lagrime mie' lenkt das Ensemble Fons Musicae die Aufmerksamkeit auf eine lange in Vergessenheit geratene, aber mittlerweile wieder häufiger und mit viel Elan aufgeführten Komponistinnen des Barockzeitalters.

Als Adoptivtochter des Librettisten und Intellektuellen Giulio Strozzi (1583–1652), der unter anderem von Claudio Monteverdi vertonte Libretti verfasste, kam Barbara Strozzi (1619–1677) schon sehr früh mit Musik und Dichtkunst in Berührung und entwickelte sich nicht zuletzt durch die vom Stiefvater im Jahr 1637 gegründete Accademia degli Unisoni zu einer gefeierten Gesangsvirtuosin und Komponistin. Daher ist es naheliegend, dass die ‚virtuosissima cantatrice‘, die ihr Kompositionshandwerk beim Opernkomponisten Francesco Cavalli erlernte, selbst aber nie eine Oper komponierte, die eigene Gesangskunst in ihre Schaffenswelt mit einbezog und sich Vokalwerken, vornehmlich der Kantate, zuwandte. Im Mittelpunkt der Platteneinspielung ‚Lagrime mie‘ stehen jedoch arienhafte Werke aus Opus 2, 6, 7 und 8, die Strozzi für den Eigenbedarf komponierte. Das Ensemble Fons Musicae, bestehend aus Dorothee LeClair (Sopran), Lea Rahel Bader (Violoncello), Jory Vinikour (Cembalo) und Yasunori Imamura (Theorbe), interpretieren sehr einfühlsam in (leider nur) sieben der dreizehn Titel ganz verschiedenartige Vokalwerke Strozzis.

Ausgewählte Werke der Komponisten Alessandro Piccinini (1566–1639, Lautenist), Bernardo Storace (1637–1707, Organist), Girolamo Frescobaldi (1583–1643, Organist) und Giovanni Girolamo Kapsberger (1680–1751, Theorbist) unterstreichen ebenfalls exemplarisch die Doppelausrichtung als für das eigene Instrument komponierender Solisten und fügen sich wie Zwischensequenzen in das Gesamtbild der Platte ein. Das Ensemble setzt hierbei seinen Fokus auf typisch italienische Instrumentalgattungen wie Toccata, Canzona und Corrente, welche abseits der sängerischen Leistung die solistische Virtuosität der einzelnen Ensemblemitglieder zeigen und zugleich einen spannenden Einblick in die venezianische Musikkultur des 17. Jahrhunderts ermöglichen.

Mit dem ersten, der Platte namensgebenden Titel 'Lagrime mie' (Meine Tränen) entführt das Ensemble augenblicklich in die Welt der Barbara Strozzi, welche thematisch eine besondere Vorliebe für die Leiden der Liebe pflegte. Gleich zu Beginn des Lamentos seilt sich Sängerin Dorothee LeClair arienhaft-melismatisch und mit sehr dramatischem Vibrato die Moll-Tonleiter hinab, ein musikalischer Schmerzensschrei des Liebenden um seine Lidia, der dem Zuhörer im Verlauf der Platte noch lange im Ohr nachhallen wird. Getragen vom filigranen, aber dennoch schwermütig angelegten Akkordspiel des Basso continuo aus Cembalo, Violoncello und Theorbe meistert LeClair die anspruchsvollen mehrtaktig ausgedehnten Koloraturen mit viel Spannung und Energie.

Affektgeladen und kontrastreich schließt sich das darauffolgende Stück, Strozzis 'Se volete cosi me ne contento' aus Opus 6 an, in dem Schwermut und aufbrausende Stürme in der Liebe musikalisch nachgezeichnet werden. Das syllabische, hüpfende Hauptmotiv des tänzerischen 6/8- Takts und die langen Spannungsbögen gestaltet LeClair mit viel Wärme, besonders im Mezzoforte, und blüht in den virtuosen Sechszehntel-Ketten zur Nachtigall auf. Die strukturell exponierten und harmonisch herausgehobenen Stellen des Werkes, welche oft mit Synkopen einhergehen, erfordern ein feines Gespür für das Zusammenspiel; dem Ensemble gelingt dies herausragend.

Mit den anschließenden Solowerken 'Toccata XII' und 'Corrente V' für Theorbe des Komponisten und seinerzeit höfischen Theorbisten Alessandro Piccinini hält Yasunori Imamura zunächst in ruhiger Atmosphäre musikalisch inne. Erst im weiteren Verlauf bricht dann die klangvolle Mehrstimmigkeit sehr farbig differenziert hervor, um im gedämpften Zupfen der letzten Takte der 'Corrente' wieder in die intime Stille abzutauchen. Im schreitenden Tempo des nächsten sehr melancholisch klingenden Titels Strozzis 'Che v‘ho fato' (Opus 7) verbindet die Sängerin Dorothee LeClair, deren musikalische Wurzeln im Bratschenspiel liegen, die Tonfolgen nahezu lückenlos wie ein Streicher-Legato und zeigt damit eine ihrer großen gesanglichen Stärken. Cembalist Jory Vinikour besticht anschließend solistisch in der 'Ciaccona' von Bernardo Storace mit seinen sehr klaren, technisch perfekt umgesetzten virtuosen Sechzehntel-Läufen und versucht dem Ostinato über dem fortwährend gleichen Harmonieschema immer wieder variationsreich mit Verzierungen und Agogik Leben einzuhauchen, und das erfolgreich und mit viel Ausdauer.

'Chiudi l’audaci labra' (Opus 6) wirkt nach der lockeren, verspielten 'Chaconne' wieder umso dramatischer und schwerer. LeClair gestaltet das Stück wie seine Vorgänger mit viel Charisma und versucht stimmlich, die melodischen und rezitativischen Stellen differenziert zu markieren, während die Akkordbegleitung eher dezent ausfällt. Girolamo Frescobaldis 'Canzon Prima' (Violoncello solo) ist nicht solistisch, wie auf der Platte angegeben, sondern wird von Laute und Cembalo begleitet und bleibt deswegen auch öfter im Hintergrund. Nichtsdestotrotz lässt Lea Rahel Bader die tiefen Register ihres Instrumentes in einem außerordentlich schönen, sehr dynamischen Klang erstrahlen, der seinesgleichen sucht, und setzt geschickt verschiedenste Spieltechniken wie spiccato (leichtes, kurzes Anstreichen der Saite) ein.

In 'L’Eraclito Amoroso Udite Amanti' (Opus 2) sucht LeClair im Vorspiel sehr schmerzvoll, fragend und zunächst ohne harmonischen Halt nach der Antwort auf den Tod der Geliebten. Das wird dann in Form einer immer wiederkehrenden harmonischen Abwärtssequenz fortgeführt, in der sich die Sängerin in ein Lamento voll ausgedehnter Legato-Bögen hineinlegt. Im darauffolgenden kurzen 'Lilla mia, non ti doler' (Opus 6), das mit einfacher Strophenform auf den schlichten Textinhalt angepasst wurde, feiert das Ensemble musikalisch schließlich die Befreiung aus den Schlingen der falschen Liebe, bevor nun nochmal erneut der Theorbist Imamura mit Werken Giovanni Girolamo Kapsbergers sein exzellentes Können unter Beweis stellt.

Die letzte Perle der Kompositionskunst der Komponistin, 'Che si puo fare? ' (Opus 8), führt die Einspielung ihrem Abschluss zu und stellt nochmals in einer großen dynamischen Bandbreite den Formen- und Elementarreichtum Strozzis mit Ostinati, rezitativischen Anklängen, verschiedenen Tanzformen, Textwiederholungen in unterschiedlicher Vertonung und Vieldeutigkeit der Textausdeutung heraus. Das Ensemble reagiert mit einer erstaunlichen Natürlichkeit und kollektiver Feinabstimmung auf die teils ungewöhnlichen harmonischen Wendungen, komplizierten Kadenzen und Trugschlüsse in Strozzis Werken.

In der intimen Atmosphäre dieser Platte wird idiomatische Sicherheit der Musiker im Genre dieser Musik hörbar. Konzeptuell wäre es trotzdem schön gewesen, allein der Vielfalt der Kompositionen Strozzis wegen, der Komponistin mal eine komplette Platte zu widmen und nicht in den Kontext ihrer männlichen Zeitgenossen zu stellen, deren Verbindung zur Komponistin dem Booklet nach nur unzureichend erläutert wird. Trotzdem ist die Einspielung als gelungen zu betrachten. Der Hörer erhält im Booklet dazu noch einen kurzen, aber spannenden Einblick in die Biografie der Komponistin und kann die Liedtexte in den Sprachen Italienisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Japanisch mitverfolgen. Die mehrsprachige Anlage des umfangreichen Booklets macht allerdings einiges Hin- und Herblättern erforderlich.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:




Nicole Overmann Kritik von Nicole Overmann,


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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Strozzi, Barbara: Lagrime Mie

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Querstand
1
14.11.2014
Medium:
EAN:

CD
4025796013030


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Querstand

Mit viel Liebe zum Detail bringt das querstand-Label dem interessierten Hörer die Vielfalt und Schönheit der klassischen Musik auf wenig ausgetretenen Pfaden näher. Das Label hat sich seit 1994 durch die Produktion hochwertiger klassischer CDs einen ausgezeichneten Ruf erworben. Über 500 Produktionen werden weltweit vertrieben, wobei ein Augenmerk auf Orgelmusik liegt. Die Gesamteinspielung der Orgelwerke von Johann Ludwig Krebs (bisher 11 CDs) und des Kantaten- und Orchesterwerkes des berühmten Bachschülers bilden ein Glanzlicht des Labels, dem mit der Serie ?Die Orgeln von Gottfried Silbermann? (8 CDs) ein weiteres zur Seite gestellt wurde (Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik 2003). Auch im kammermusikalischen und sinfonischen Bereich wurden zahlreiche CDs veröffentlicht, etwa mit dem Gewandhausorchester Leipzig. Mit der Aufnahme des Passionsoratoriums ?Der Tod Jesu? von Carl Heinrich Graun mit dem MDR Rundfunkchor und dem MDR Sinfonieorchester unter Howard Arman gewann das Label 2005 einen ECHO Klassik-Award. Im Jahre 2013 erhielt die 9-CD-Box mit allen Sinfonien Anton Bruckners, eingespielt von Herbert Blomstedt mit dem Gewandhausorchester Leipzig, den ICMA (International Classical Music Award). Mit Verlagssitz im Thüringischen Altenburg kann querstand von der einzigartigen Vielfalt der mitteldeutschen Musiklandschaft profitieren, die sich auch im Verlagsprogramm niederschlägt. Neben den vielseitigen Einflüssen der fantastischen Orgellandschaft der Region, ist es auch die Nähe zur Musikstadt Leipzig mit ihrer wunderbaren Tradition und facettenreichen Szene, auf die das Label besonderes Augenmerk richtet.


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