
Tetzlaff Quartet - Werke von Mendelssohn & Berg
Vom Umgang mit Extremen
Label/Verlag: CAvi-music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit einer Kombination aus Streichquartetten Felix Mendelssohn Bartholdys und Alban Bergs zielt das Tetzlaff Quartett auf die Darstellung extremer Stimmungsumschwünge.
Klar, sowohl von Felix Mendelssohn Bartholdys Streichquartett a-Moll op. 13 (1817) als auch von Alban Bergs 'Lyrischer Suite' (1925/26) existieren zahlreiche hochwertige Aufnahmen. Der Reiz dieser CD des Tetzlaff Quartetts liegt allerdings in der Kombination beider Werke, denn dadurch werden zwei in ihrer Diktion extreme, auf existenzielle Situationen beziehbare Stücke nebeneinander gestellt. Mendelssohns frühes Streichquartett, eines der expressivsten Werke des Komponisten überhaupt, strotzt nur so von rezitativischen Ausbrüchen, verhaltener Spannung und offener Dramatik. Großartig ist es, wie die vier Musiker zu Beginn das Zitat aus dem Jugendlied 'Frage' anstimmen und es klanglich gedeckt, fast wie aus nostalgischer Ferne erklingen lassen, um dann mit dem unruhigen 'Allegro' des Kopfsatzes einzufallen. Zwar ist alles auf die aus dem Tonsatz hervorbrechende Unruhe ausgerichtet, doch lassen die Musiker diese Stimmung nicht vorherrschen, sondern nehmen die Musik immer wieder stark zurück, um die vielen Feinheiten von Mendelssohns Tonsatz hörbar zu machen.
Das 'Adagio' wirkt wie eine Vertiefung solcher Zurücknahmen, bereichert um ein gewisses Moment von Strenge, das vor allem aus der klanglichen Zurückhaltung beim Vortrag der Fugato-Passagen resultiert. Besonders gelungen ist es, wie das Tetzlaff Quartett dem Wechsel der Affekte gemäß auch die Tempogestaltung flexibilisiert und sie in den rezitativischen Ausbruch der ersten Violine kurz vor der Satzreprise münden lässt. Voller Raffinesse steckt auch das Intermezzo, das zunächst beinahe naiv anhebt, dann aber durch die Ausarbeitung der Gegenstimmen ein stärkeres Profil gewinnt und schließlich im kontrastierenden Mittelteil mit zartem Tupfen und leisem Agieren eine jener flirrenden Stimmungen entfaltet, die bereits auf Mendelssohns 'Sommernachtstraum'-Ouvertüre vorausweisen. Fast gewaltsam wischt das ausufernde Accompagnato-Rezitativ zu Beginn des Finalsatzes diese Stimmung weg: Hier herrscht angespannte Erregung, die von einem Musiker zum nächsten weitergereicht wird: pulsierende Akkordfolgen, durch den Tonraum schießende Linien, die, von den Musikern zielgerichtet platziert, sich in den kontrapunktischen Satzabschnitten verdichten. Wenn dann am Ende das vollständige Lied erklingt, erscheint die Stimmung zugunsten einer warmen Klanggebung verwandelt.
In Bergs 'Lyrischer Suite' (1925/26) treibt das Tetzlaff Quartett das bereits an Mendelssohn erprobte Arbeiten mit Gegensätzen weiter voran. Die musikalischen Stimmungsumschwünge werden unter Zuhilfenahme klug eingesetzter Agogik und weit ausgeloteter Dynamik inszeniert. Immer wieder entstehen dabei Momente von enormer klanglicher Intensität, etwa wenn das an zweiter Stelle stehende 'Andante amoroso' zunächst ebenso verhalten wie zärtlich angestimmt wird, um dann an in eine stärker artikulierte Gangart zu verfallen. Besonders gut gelingen die klanglich entrückten Passagen gegen Ende dieses Satzes, die bereits den flüchtigen, zerbrechlich dahineilenden Tonfall des 'Allegro misterioso' vorwegnehmen. Wenn die Musiker dann im fünften Satz mit energischem Vortrag Klänge auftürmen oder, entsprechend der Satzbezeichnung 'Presto delirando', präzise akkordische Konturen und ins Verlöschen mündende Klangflächen in den Hörraum setzen, erreicht die Musik einen Höhepunkt, der lediglich noch durch die in aparter Mattigkeit der Tongebung verweilende Intensität des abschließenden 'Largo desolato' übertroffen wird. Die in drei Satzpaaren einander gegenüberstehenden Kontraste, die sich mit zunehmendem Voranschreiten der Komposition immer weiter verschärfen, werden in dieser Lesart des Werkes unter einem großen Spannungsbogen vereinigt, der die 'Lyrische Suite' wie aus einem Guss erscheinen lässt.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Tetzlaff Quartet: Werke von Mendelssohn & Berg |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
CAvi-music 1 31.10.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
4260085532667 |
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CAvi-music "Es muss nicht viel sein, wenn's man gut ist" heißt die Devise für das Label, das stets den Künstler in den Vordergrund stellt, das partnerschaftlich Projekte realisiert, das persönliche Wünsche und Ideen der Künstler unterstützt, das sich vorwiegend auf Kammermusik konzentriert, das handverlesen schöne Musik in hervorragender Interpretation anbietet, mit einer Künstlerliste, die sich sehen lassen kann. Eine sehr persönliche Sache, die von Herzen kommt !! Außerdem kommen neben dem Label CAvi-music auch die Labels "SoloVoce" und "CAvi-Autentica" aus dem Hause Avi-Service for music. Mehr Info... |
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