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Mittwoch, 27. September 2023

Reger, Max - Sämtliche Klavierquartette

Überholt


Label/Verlag: MDG
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Von Regers Klavierquartetten gibt es nicht eben viele Einspielungen. Die nun wieder aufgelegte Aufnahme mit Claudius Tanski und dem Mannheimer Streichquartett wurde seinerzeit mit Preisen überhäuft. Aus heutiger Sicht: wohl aus Mangel an Alternativen.

Während Einspielungen seiner Orgelwerke wie Pilzwucherungen aus dem Boden sprießen, ist die Zahl der Kammermusikveröffentlichungen im Vorfeld des Reger-Zentenariums 2016 bislang immer noch äußerst schmal – obwohl Reger als wichtiges Scharnier zwischen Brahms und Schönberg ein wesentlicher Bereiter der Musik des 20. Jahrhunderts war. Angesichts der Tatsache, dass bis heute von jedem der beiden Klavierquartette Regers (1909-10 bzw. 1914) kaum ein Dutzend Einspielungen vorgelegt worden sind, ist von einer wirklichen Kenntnis von Regers kammermusikalischem Schaffen noch nicht im Geringsten zu sprechen. ‚So viele Noten’, klagen immer wieder die Interpreten, und man müsste ergänzen: ‚Und so viele Aufführungsanweisungen – die Ihr meistens nicht befolgt!’ Wolfgang Rihm hat für Regers Schreibweise das Wort der ‚Übermöblierung’ geprägt, doch wer Reger nicht aus der Perspektive Brahms‘, sondern aus der Perspektive Schönbergs liest, versteht plötzlich, dass bei Reger nichts ohne Grund geschieht, dass Regers Anweisungen unbedingt zu befolgen sind, will man die Logik der Komposition unterstützen und nicht beeinträchtigen.

Die hier unverändert wiederaufgelegten CDs mit Regers Klavierquartetten (ursprünglich 1996 und 1998 erschienen) wurden nach Erscheinen mit Preisen nur so überhäuft. Allein schon die Tatsache, dass sich Interpreten der komplexen Musik annahmen, war aller Ehren wert, doch ist fast zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung eine erneute Würdigung der Interpretationen längst überfällig. Was als erstes auffällt, ist ein stetes Problem bei Reger: Der Komponist schreibt Dynamikangaben von pp bis ff auf immer wieder extrem engem Raum vor, und die meisten Interpreten wissen diese Vorgaben nicht umzusetzen, weil sie scheinbar den musikalischen Diskurs zerreißen, statt ihn zu unterstützen. Die (auch heute noch extrem selten zu hörende) Kunst ist, diese extremen Übergänge organisch nicht nur zu gestalten, sondern auch zu empfinden – ein Mangel an Aufführungstradition macht sich hier bis heute äußerst betrüblich bemerkbar.

Gelegentlich ‚passt’ alles – etwa im ersten Quartett (d-Moll op. 113) nach der Vorstellung des ersten Themas –, auch wenn die Mitglieder des 1975 gegründeten Mannheimer Streichquartetts (Andreas Krecher, Niklas Schwarz und Armin Fromm – selbst heute wird nicht mitgeteilt, ob nicht vielleicht auch die zweite Geigerin Claudia Hohorst anstelle Krechers in einem der Quartette mitwirkt) und Claudius Tanski die Musik im Fortissimo vergröbern (Reger war als Pianist berühmt dafür, auch im dreifachen Forte nicht grob zu klingen). Kontinuierliche Crescendi oder Decrescendi sind nicht das Problem, wohl aber die Gestaltung der Kontraste. Sowohl dem Fanny Mendelssohn Quartett 1998 als auch dem Aperto Piano Quartet 2003 ist diese Kontrastgestaltung deutlich besser gelungen. Dort Verständnis für die Architektur der Musik, keine grellen Fortissimi, empfundene Übergänge, hier noch eine Interpretation auf dem Weg zu einer gerundeten Deutung.

Gleichzeitig fällt auf, dass viele neuere Interpreten (darunter Aperto und Mannheimer) gerade im Kopfsatz bewusst Regers Tempoangaben hinter sich lassen, um die vielen Noten überhaupt richtig spielen zu können. Aber wichtiger als alle richtigen Noten ist meines Erachtens das Erfassen des Geistes der Musik. In dieser Hinsicht spielt insbesondere das Fanny Mendelssohn Quartett am ehesten ohne Netz und doppelten Boden (und unterbietet, ohne gehetzt oder oberflächlich zu wirken, die sich aus Regers Metronomangaben ergebende Werkdauer um ganze sechs Minuten, was vor allem auf die Tempogestaltung in Kopfsatz und 'Larghetto' zurückgeht). Vielleicht am besten gelungen ist dem Mannheimer Streichquartett und Claudius Tanski das 'Larghetto', zwar entgegen Regers Metronomangaben deutlich langsamer genommen, dadurch aber voll herrlicher Expression.

Das zweite Quartett (a-Moll op. 133) ist, was Umfang und Textur angeht, etwas weniger dicht und wird häufig bereits dem Spätstil zugeordnet; die dynamischen Kontraste scheinen abgemildert, der interpretatorische Zugriff daher leichter (dennoch gibt es seit 1998 ebenfalls nur drei Einspielungen – nämlich mit den genannten Interpreten, 1998 bzw. 2002 entstanden). Hier fühlen sich die Mannheimer und Tanski denn auch deutlich wohler, auch wenn hier ebenfalls Unterschiede zwischen fff und ff nicht recht zu vernehmen sind (auch hier ist das Aperto Piano Quartet der vorliegenden Einspielung haushoch überlegen). Die verhaltenen Tempi im Scherzo beeinträchtigen die Übermittlung von Regers so typischem Witz, während im 'Largo' die ‚gran espressione’ der Vortragsbezeichnung ‚unterspielt’ wird (hier missversteht etwa das Fanny Mendelssohn Quartet die Metronomangabe und spielt gar doppelt so schnell wie vorgeschrieben). Auch das ‚con spirito’ des Finales wird mit Bedacht genommen und nicht spielfreudig ausgelebt. So bleiben die Interpretationen im Grunde noch viel zu kontrolliert, um als Referenz gelten zu können.

Schauen wir darum auf die ‚Filler’ der beiden CDs. Einmal die Drei Duos ('Canons und Fugen im alten Stil') op. 131b für zwei Violinen, komponiert in der Kur in Meran im April 1914. Hier sind die existierenden Einspielungen (Pina Carmirelli/Philipp Naegele, Susanne Lautenbacher/Georg Egger und Andreas Krecher/Claudia Hohorst) überraschend nah beieinander; die Einspielung der beiden ersten Duos mit Gidon Kremer und Tatjana Grindenko läuft naturgemäß außer Konkurrenz. Schließlich die berühmte, aber zumeist dynamisch indifferent dargebotene Flötenserenade G-Dur op. 141a von April 1915 in der Alternativausgabe für zwei Violinen und Viola. Dieses Trio ist – auch gerade was die dynamische Raffinesse und das Zusammenspiel angeht – der Höhepunkt der Doppel-CD; wer die Serenade kennen lernen möchte, konsultiere diese Einspielung, die Regers Geist so viel stärker wiedergibt als zahlreiche ‚original’ besetzte. Hier schlussendlich hat das Mannheimer Streichquartett seine echte Heimstatt gefunden.

Die Booklettexte sind von renommierten Reger-Experten verfasst (Susanne Popp, Michael Kube), doch enthalten auch die beiden jüngeren Einspielungen Texte von Susanne Popp, die naturgemäß etwas stärker den aktuellen Kenntnisstand enthalten, der spätestens 2011 mit dem Reger-Werk-Verzeichnis Gemeingut werden konnte. Auf den Stereospuren funktioniert Dabringhaus & Grimms legendäre Aufnahmetechnik nicht besser als ‚normale’ digitale Aufnahmetechnik wie in den beiden neueren Einspielungen, so dass als Fazit leider zu ziehen ist, dass die damals als epochal angesehenen Einspielungen interpretatorisch und aufnahmetechnisch mittlerweile überholt sind – wobei immer noch weiter Luft nach oben besteht.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Reger, Max: Sämtliche Klavierquartette

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
MDG
2
27.10.2014
Medium:
EAN:

CD
0760623186924


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MDG

Die klangrealistische Tonaufnahme

»Den beim Sprechen oder Musizieren entstehenden Schall festzuhalten, um ihn zu konservieren und beliebig reproduzieren zu können, ist eine Idee, die seit langem die Menschen beschäftigte. Waren zunächst eher magische Aspekte im Spiel, die die Phantasie beflügelten wie etwa bei Giovanni deila Porta, der 1598 den Schall in Bleiröhren auffangen wollte, so führte mit fortschreitender Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens ein verhältnismäßig gerader Weg zur Lösung...« (Riemann Musiklexikon)

Seit Beginn der elektrischen Schallaufzeichnung ist der Tonmeister als »Klangregisseur« bei der Aufnahme natürlich dem Komponisten und dem Interpreten, aber auch dem Hörer verpflichtet. Die Mittel zur Tonaufzeichnung sind hinlänglich bekannt. Die Kriterien für ihren Einsatz bestimmt das Ohr. Deshalb für den Hörer hier eine Beschreibung unserer Hörvorstellung.

Lifehaftigkeit

In der Gewißheit, daß der Konzertsaal im Wohnzimmer (leider) nicht realisierbar ist, konzentriert sich unser Bemühen darauf, die Illusion einer Wirklichkeit zu vermitteln. Die Musik soll im Hörraum so wiedererstehen, daß spontan der Eindruck der Unmittelbarkeit entsteht, das lebendige Klanggeschehen mit der ganzen Atmosphäre der »Lifehaftigkeit« erlebt wird. Da wir praktisch ausschließlich menschliche Stimmen und »klassische« Instrumente - auch sie haben ihren Ursprung im Nachahmen der Stimme - aufnehmen, konzentriert sich unsere Klangvorstellung auf natürliche Klangbalance und tonale Ausgeglichenheit im Ganzen, und instrumentenhafte Klangtreue im Einzelnen. Darüber hinaus natürliche, ungebremste Dynamik und genaueste Auflösung auch der feinsten Spannungsbögen. Weitestgehend bestimmend für die Illusion der Lifehaftigkeit ist auch die Ortbarkeit der Klangquellen im Raum: freistehend, dreidimensional, realistisch.

Musik entsteht im Raum

Um diesen »Klangrealismus« einzufangen, ist bei den Aufnahmen von MDG eine natürliche Akustik unbedingte Voraussetzung. Mehr noch, für jede Produktion wird speziell in Hinblick auf die Besetzung und den Kompositionsstil der passende Aufnahmeraum ausgesucht. Anschließend wird »vor Ort« die optimale Plazierung der Musiker und Instrumente im Raum erarbeitet. Dieser ideale »Spielplatz« ermöglicht nun nicht nur die akustisch beste Aufnahme, sondern inspiriert durch seine Rückwirkung die Musiker zu einer lebendigen, anregenden Musizierlust und spannender Interpretation. Können Sie sich die Antwort des Musikers vorstellen auf die Frage, ob er lieber in einem trockenen Studio oder in einem Konzertsaal spielt?

Die Aufnahme

Ist der ideale Raum vorhanden, entscheidet sich der gute Ton an den Mikrofonen - verschiedene Typen mit speziellen klanglichen Eigenheiten stehen zur Auswahl und wollen mit dem Klang der Instrumente im Raum in Harmonie gebracht werden. Ebenso wichtig für eine natürliche Abbildung ist die Anordnung der Mikrofone, damit etwa die richtigen Nuancen in der solistischen Darstellung oder die Kompensation von Verdeckungseffekten realisierbar werden. Das puristische Ideal »nur zwei Mikrofone« kann selten den komplexen Anforderungen einer Aufnahme mit mehreren Instrumenten gerecht werden. Aber egal wie viele Mikrofone verwendet werden: Stellt sich ein natürlicher Klangeindruck ein, ist die Frage nach dem Zustandekommen des »Lifehaftigen« zweitrangig. Entscheidend ist, es klingt so, als wären nur zwei Mikrofone im Spiel.

Ohne irgendwelche »Verschlimmbesserer« wie Filter, Limiter, Equalizer, künstlichen Hall etc. zu benutzen, sammeln wir die Mikro-Wellen übertragerlos in einem puristischen Mischpult und geben das mit elektrostatischem Kopfhörer kontrollierte Stereosignal linear und unbegrenzt an den AD-Wandler und zum digitalen Speicher weiter. Dadurch bleiben auch die feinsten Einschwingvorgänge erhalten. Auf der digitalen Ebene wird dann ohne klangmanipulierende Eingriffe mit dem eigenen Editor in unserem Hause das Band zur Herstellung der Compact Disc für den Hörer erstellt, für Ihr hoffentlich großes Hörvergnügen.


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