
Shoka - Japanische Kinderlieder
Fernöstliche Klänge im westlichen Gewand
Label/Verlag: Analekta
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dem Komponisten Jean-Pascal Beintus und Kent Nagano gelingen mit der Bearbeitung von 22 japanischen Kinderliedern für Orchester der Spagat zwischen westlicher und japanischer Musiktradition.
Die Liebe der japanischen Bevölkerung zur eigenen Heimat ist und bleibt ein zentrales Thema der japanischen Kulturtradition. Durch das Tragen farbenprächtiger Kimonos, dem traditionellen Gewand Japans, welche mit Bergen und verschiedensten Blütenarten verziert sind, stellen Japaner ihre Nähe zur Natur und der Heimat aus. Diese Verbundenheit zeigt sich seit Jahrhunderten auch in der poetischen und musikalischen Auseinandersetzung damit –nicht zuletzt in dieser Platteneinspielung von 22 traditionellen Kinderliedern unter der Leitung des Dirigenten Kent Nagano, arrangiert für Orchester, Chor und Sopran von Jean-Pascal Beintus und interpretiert vom Symphonie-Orchester und dem Kinderchor Montreal sowie der deutschen Sängerin Diana Damrau.
Die ursprünglich als ‚Shoka‘ (japanische Schulhymnen) bezeichneten Kinderlieder entstanden während der japanischen Meiji-Periode im 19. und frühen 20. Jahrhundert, einer Zeit, in der sich das über 250 Jahre wirtschaftlich und kulturell isolierte Japan der westlichen Welt öffnete. Der westliche Einfluss auf die japanische Kunst - und Musikkultur zeigt sich anhand der Kinderlieder dieser Platte exemplarisch. In der einzigartigen Mixtur aus klassischen europäischen Orchesterinstrumenten, verknüpft mit japanischen Volksmelodien ergeben sich klangvolle und abwechslungsreiche kurze Stücke.
In den Liedern wird die Heimat durch die Natur verbildlicht, zugleich aber in ihr gebrochen zugunsten eines tieferen gesellschaftsproblematisierenden Ausdrucks. Damit spiegeln sich Themen wie die Flucht vor der Armut, das Fremde in Japan und auch die Sehnsucht nach der Ferne in mehreren Bedeutungsebenen in den Texten wider. Die poetischen und gehaltvollen kurze Liedtexte bewegen somit emotional zwischen kindlicher Freude und Melancholie. Lieder wie 'Moon in the Rain', 'Song of Early Spring', 'In the Shadow of Flowers', 'Burning Sunset', 'On the Sumida River' und das in Europa wohl bekannteste Lied 'Sakura, Sakura' (Kirschblüte) paraphrasieren mit verträumten Texten Aspekte der Heimat. Im 'Song of the Early Spring' verwandelt sich das anfängliche hohe Streicher-Tremolo im Pianissimo, über welchem die Flöte zart das melodische Intro spielt, zu einem filmmusikalischen, klangmalerischen Charakterstück, welches mit dem heiteren Themeneinsatz des vierstimmigen Kinderchores im Dreivierteltakt fast schon weihnachtlich klingt. Dass Heimat aber auch im Zusammenhang mit politischen Kontexten künstlerisch verarbeitet wurde, zeigen die Lieder 'Red Shoes', 'Blue-eyed Doll' und 'Bridal Doll'. Die blauäugigen Puppen, welche ab 1921 als Zeichen japanisch-amerikanischer Freundschaft an japanische Mädchen versandt und im Zweiten Weltkrieg zum Symbol des Feindes wurden, bilden die textliche Grundlage der 'Doll-Songs' dieser Einspielung. Ein kurzes, flatterndes, pentatonisch und stark rhythmisiertes Flötensolo empfängt den Zuhörer am musikalischen Hafen, weitergetragen durch die sanften, ruhigen Klarinetten - und Fagott-Melodien über dem üblichen Streicherteppich, welche immer wieder im Nichts versinken, bevor das Flötensolo von Damrau als Gesangsmelodie aufgegriffen und im Mittelteil unisono mit dem Chor musiziert wird. In 'Red Shoes' trägt die Sängerin in tragischer Manier die Mollmelodie des aus Japan vom ‚Fremden‘ entführten kleinen Mädchens mit den roten Schuhen vor, während der sparsam gesetzte Streicherapparat die nötige harmonische Klangfläche in langen Tönen spannungsvoll aushält, durchbrochen von effektvoll imitierten Fünftonketten von Flöte, Fagott und Glockenspiel im Strophenzwischenspiel.
Der Heimatbegriff im musikalischen Sinne wird immer wieder evoziert, wenn die Querflöten in den Vorspielen der Lieder pentatonische Melodieverläufe präludieren und damit wie japanische Bambusflöten anmuten, während die Harfe im Arpeggio zur Koto (japanische Wölbbrettzither) mutiert. Glockenspiel, Harfe und Flöten werden durch Klangeffekte verfremdet, aber zugleich kann der Zuhörer eine Nähe zu den oft dreiteilig aufgebauten, homophonen Liedern herstellen. Zu kritisieren ist jedoch der Gebrauch der Flöten als pentatonische Effekthascherei, welche sich in einigen Liedern leider etwas abnutzt.
Die einprägsamen und prägnanten Melodien der japanischen Kinderlieder dieser Platte können das Herz im Nu erobern, strahlen eine mystische Schönheit aus und sind nach wie vor aktuell. Ihre verschiedenen textlichen Auslegungsmöglichkeiten machen sie für ein breites Publikum aller Altersklassen interessant. Sopranistin Diana Damrau interpretiert die Kinderlieder, trotz sprachlicher Hürden, überzeugend und verleiht den individuellen Melodien mit ihrer weichen Stimme einen glaubwürdigen Charakter, nicht zuletzt durch die Tatsache, dass das vokale Vibrato sehr sparsam und klug verwendet wird, um den Kinderliedcharakter zu wahren. Hervorzuheben ist auch die perfekt abgestimmte Balance zwischen Kinderchor, Orchester und der Sängerin, welche es mit ihrer zarten und zugleich fokussierten Stimme schafft, über die Klangmasse aus Chor und pathetischer Orchesterbegleitung vokale Bögen zu spannen.
Das beigelegte Booklet enthält alle notwendigen Informationen zu den beteiligten Künstlern, zum Entstehungskontext sowie die Übersetzungen der Liedtexte in Japanisch, Französisch und Englisch und damit ebenfalls durchaus gelungen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Shoka: Japanische Kinderlieder |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Analekta 1 06.10.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
774204913021 |
![]() Cover vergössern |
Analekta ANALEKTA is a Greek word which can be translated as "a collection of the finest works". Since the inception of the company in 1988, founder and President Mario Labbé and his team of dedicated people have worked diligently to represent its corporate name.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Analekta:
-
Bachverständnis: Karin Kei Nagano zeigt, dass die Musik Bachs auch im didaktischen Kleinformat viel zu sagen hat. Weiter...
(Thomas Gehrig, )
-
Barocker Liebeskummer: 'Alma oppressa' ist eine äußerst klangschöne, wenn auch in ihrer Gesamtheit recht einfarbige Visitenkarte einer vielversprechenden Künstlerin. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
-
Brillante Attacken, programmatische Ideen: Kent Naganos mit dem Orchestre symphonique de Montréal bislang bei Sony in Einzelfolgen veröffentlichter Zyklus der Beethoven-Symphonien liegt inzwischen auch geschlossen beim kanadischen Kooperationspartner Analekta vor. Ein interpretatorisch wie konzeptionell lohnendes Paket! Weiter...
(Dr. Hartmut Hein, )
Weitere CD-Besprechungen von Nicole Overmann:
-
Echo aus der Ferne: Das Duo Imaginaire schlägt eine musikalische Brücke zwischen französischem Impressionismus und japanischer zeitgenössischer Musik und lässt die Grenzen zwischen Raum und Zeit mit expansiver Klanggestaltung verschwinden. Weiter...
(Nicole Overmann, )
-
Düstere Abgründe: Mit der kürzlich erschienenen Platte 'Ghost-Stories' zum gleichnamigen Film nimmt Komponist Frank Ilfman den Hörer mit auf eine musikalische Wanderung durch eine Galerie der Ängste, die der Dirigent Matthew Slater meisterlich in Szene setzt. Weiter...
(Nicole Overmann, )
-
Kosmos melancholischer Melodien: Mit der Einspielung der 'Rhapsodie zu moldawischen Themen' und der Sechsten Sinfonie von Weinberg gelingt Vladimir Lande eine äußerst facettenreiche Interpretation der anspruchsvollen Melange aus moldawischen Volksmelodien, Chorälen und Tanzmusik. Weiter...
(Nicole Overmann, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Seltene Kammermusik eines Vokal-Komponisten: Anna Augustynowicz spielt mit ihrer Barockgeige eine selten aufgeführte, jedoch hörenswerte Musik, ausgezeichnent unterstützt vom Ensemble Giardino di Delizie. Weiter...
(Diederich Lüken, )
-
Faszinierende Klangwelten : Stille und Nicht-Stille Weiter...
(Michael Pitz-Grewenig, )
-
Kammeroper in milder Dramatik: Roland Wilson hat mit seinen Ensembles einen so interessanten wie lohnenden Versuch unternommen, klingendes Leben in das Rätselraten um Heinrich Schütz' Oper 'Dafne' zu bringen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Portrait

Das Klavierduo Silver-Garburg über Leben und Konzertieren im Hier und Heute und eine neue CD mit Werken von Johannes Brahms
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich