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Samstag, 3. Juni 2023

Edition Musikfabrik 08 - Graffiti

Nicht ganz ausgewogen


Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Der achte Teil der ‚Edition musikFabrik’ vereinigt unter dem Titelthema 'Graffiti' Kompositionen von Unsuk Chin, Olga Neuwirth und Sun Ra.

Nach einer etwas enttäuschenden Veröffentlichung aus dem vergangenen Jahr legt das Ensemble musikFabrik nun den achten Teil seiner bei Wergo erscheinenden ‚Edition musikFarbik’ vor. Deutlich verändert hat sich das Design der Produktion: Die CD befindet sich nicht mehr wie alle bisherigen Produktionen in einem Jewel Case, sondern wird – in eine aufklappbare Papphülle gebettet – samt ihrer Beilage in einen durchsichtigen Plastikschuber aufbewahrt. Diese Beilage wiederum ist kein gewöhnliches Booklet, sondern ein kleines Poster, das auf der Innenseite den Werkkommentar von Patrick Hahn enthält, während die Vorderseite ein Gemälde von Gerhard Richter – ‚Besetztes Haus’ von 1989 – abbildet. In dieser Aufmachung spiegelt sich die mit dem Wort ‚Graffiti’ bezeichnete Thematik der Platte, denn dieses verweist – analog zu den bildnerischen Verfahren Richters – auf die Idee der Übermalung eines Gegenstands, auf die Erarbeitung von Kunst auf der Grundlage eines bereits Vorhandenen, das durch das Neue hindurchschimmert oder in allerlei klingenden Quer- oder Rückverweisen greifbar wird.

Dass solche Momente in jedem einzelnen Fall anders realisiert werden, macht das Wesen dieser Zusammenstellung von Werken dreier Komponisten aus: So lässt Unsuk Chin in den drei Sätzen ihres Ensemblestücks 'Graffiti' (2012/13) auf unterschiedliche Weise Elemente aus der Vergangenheit durchscheinen und konfrontiert sie mit bewegten, irisierenden Klangbändern von unterschiedlicher Leucht- und Deckungskraft. An einigen Stellen des hyperaktiven ersten Satzes ('Palimpsest') lassen sich beispielsweise leise choralartige Passagen ausmachen, die darauf verweisen, dass sich unter den Klangfarbenwirbeln etwas anderes befindet. Der zweite Satz ('Notturno urbano') wiederum appelliert mit seinen zarten Glockenklängen an die Imaginations- und Assoziationskraft des Hörers, wogegen im dritten Satz ('Passacaglia') die strukturellen Verfahrensweisen der Ostinatovariation als Verweis auf bestimmte traditionelle Verfahren anklingen. Die Aufnahme – Aufzeichnung einer Aufführung unter Leitung von Peter Rundel aus dem Jahr 2013 – wirkt plastisch und lässt die unterschiedlichen Farb- und Materialschichten der Musik deutlich und in ausgewogenen gegeneinander balanciert hervortreten.

Demgegenüber ist Olga Neuwirths Komposition '… miramondo multiplo …' für Trompete und Ensemble (2007), ein Konzertmitschnitt vom Oktober 2008 unter Leitung des Dirigenten Christian Eggen, weniger überzeugend geraten: Zwar erweist sich Marco Blauuw als brillanter Solist, der beim Vortrag gekonnt zwischen Schärfe und Weichheit der Tongebung wechselt und damit eine sehr differenzierte Lesart des konzertanten Trompetenparts liefert. Doch stimmt die Tiefenstaffelung von Neuwirths komplexen, oftmals die suggestive Kraft von Zitaten oder zitatähnlichen Klangbruchstücken nutzenden Satzgebilden nicht, wodurch die Gesamtwirkung des Werkes in Schieflage gerät: Allzu stark wird die Trompete ins Zentrum gerückt, während ihre unterschiedliche, den Solostatus mitunter hinterfragende klangliche Integration in das instrumentale Ensemblegewebe – und damit ein bedeutsames Element der Werkdramaturgie – komplett vernachlässigt wird. Besonders eklatant ist dies am Schluss der Komposition: Anstatt dass hier Solotrompete, Ensembletrompete und Ensemblesaxophon als Trio gleichberechtigter Solisten hörbar wird, von denen schließlich allein die Solotrompete übrig bleibt, ist das Klangbild in Richtung eines traditionellen Konzerts mit Solo und Begleitung umgebogen. Das ist nicht nur missverständlich, sondern auch mit einem Verlust an Wirkung erkauft und hätte sich durch eine geschicktere Endabmischung der Aufnahme leicht vermeiden lassen – zumal die Partitur des Werkes eine klangliche und dynamisch Gleichberechtigung der Instrumente fordert.

Der restliche Raum der CD – ungefähr zwei Drittel der Gesamtspielzeit – ist zwei Werken des exzentrischen Jazzmusikers Sun Ra gewidmet, nämlich 'Outer Nothingness' und 'Pleiades', beide in Arrangements für Saxophon und Ensemble von Marshall Allen. Die teils krude Mischung aus Jazz-Anklängen, gequetschten Klangattacken und Stilzitaten verdeutlicht, dass Sun Ra sich der Historie wesentlich unbekümmerter nähert als die Komponistinnen der beiden übrigen Stücke. Als Gegengewicht zu den Werken Chins und Neuwirths ist diese Musik nicht unattraktiv, obgleich die musikalischen Ideen ziemlich rasch verpuffen und man sich unter dem Stichwort ‚Graffiti’ weitaus passendere Werke hätte vorstellen können. Ein Pluspunkt ist hier allerdings Frank Gratkowskis mitreißendes Solospiel, das immer wieder mit den vom Ensemble herausgeschleuderten Klangmassierungen in Beziehung tritt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Edition Musikfabrik 08: Graffiti

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
WERGO
1
26.09.2014
Medium:
EAN:

CD
4010228686128


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WERGO

Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt.
Noch immer hält WERGO am Anspruch, unter den Goldschmidt seine "studioreihe neue musik" gestellt hatte, fest: die hörende wie lesende Beschäftigung mit der neuen Musik anzuregen und in Produktionen herausragender InterpretInnen und von FachautorInnen verfassten ausführlichen Werkkommentaren zu dokumentieren.
Auf mehr als 30 Schallplatten kam die Reihe mit roter und schwarzer Schrift auf weißem Cover, dann wurde die Unternehmung zu groß für einen Einzelnen. Seit 1967 engagierte sich der Musikverlag Schott zunehmend für das Label, 1970 schließlich nahm Schott das Label ganz in seine Obhut. Seither wurden mehr als 600 Produktionen veröffentlicht, die ungezählte Preise erhalten haben und ein bedeutendes Archiv der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts darstellen.
Kaum einer der arrivierten zeitgenössischen Komponisten fehlt im Katalog. Ergänzt wird dieser Katalog seit 1986 durch die inzwischen auf über 80 Porträt-CDs angewachsene "Edition Zeitgenössische Musik" des Deutschen Musikrats, die mit Werken junger deutscher KomponistInnen bekannt macht. Neben dieser Zusammenarbeit bestehen Kooperationen mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe ("Edition ZKM") und dem Studio für Akustische Kunst des Westdeutschen Rundfunks ("Ars Acustica"). Im Bereich "Weltmusik" kooperiert WERGO eng mit dem Berliner Haus der Kulturen der Welt und der Abteilung Musik des Ethnologischen Museums Berlin. Die "Jewish Music Series" stellt die vielfältigen Musiktraditionen der jüdischen Bevölkerungen der Kontinente in ihrer ganzen Bandbreite vor. Zahlreiche Veröffentlichungen mit Computermusik sind in der Reihe "Digital Music Digital" erschienen. Neue Editionen wie die legendäre "Contemporary Sound Series" des Komponisten Earle Brown oder die des Ensembles musikFabrik kamen in den vergangenen Jahren hinzu.
Die Diversifizierung, die das Programm von WERGO seit seiner Gründung erfahren hat, ist der Weitung des zeitgenössischen musikalischen Bewusstseins ebenso geschuldet wie sie zu dieser stets beitrug - eine Aufgabe, der sich WERGO auch in Zukunft verpflichtet fühlt.


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