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Samstag, 3. Juni 2023

Cage, John - one 7 / four 6

Kreativer Zugriff


Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel


In ihrer dritten Einspielung mit Werken John Cages widmet sich die Pianistin Sabine Liebner zwei 'number pieces' aus dem Jahr 1990.

Nach ihrer Gesamteinspielung von John Cages 'Etudes Australes' (1974/75), einer Aufnahme des Soloparts aus dem 'Concert for Piano and Orchestra' ('Solo for Piano', 1957/58) und zwei Produktionen mit Werken von Morton Feldman und Earle Brown als Vertretern der ‚New York School of Music’ hat sich die Pianistin Sabine Liebner nun zum dritten Mal dem Schaffen Cages zugewandt. Im Fokus stehen diesmal – wiederum beim Label Wergo erschienen – zwei der sogenannten ‚number pieces’: Kompositionen also, bei denen normalerweise zwar die musikalischen Ereignisse festgelegt sind, der Zeitpunkt des Erklingens vom Interpreten jedoch innerhalb einer bestimmten Zeitspanne, gekennzeichnet durch ‚time brackets’, frei gewählt werden kann. Mit 'One7' und 'Four6' (1990), von Cage keinem bestimmten Klangerzeuger (‚for any way of producing sounds’) zugedacht, nimmt sich Liebner zwei Werke vor, die eng miteinander zusammenhängen, denn bei 'One7' – in Cages Terminologie ist dies die siebte Komposition, die von einem einzigen Interpreten realisiert werden kann – handelt es sich um eine Auskoppelung aus 'Four6' (also der sechsten Komposition für vier Musiker), nämlich um deren ‚Stimme 1’. Ausgangspunkt der Interpretation ist die Auswahl von zwölf beliebigen, aber voneinander unterscheidbaren Klänge, die dann – entsprechend der in den ‚time brackets’ angegebenen Nummern – jeweils gespielt werden sollen.

Liebners außerordentliche Qualität als Cage-Interpretin äußert sich darin, dass sie die Vorgaben des Komponisten akribisch befolgt, sie aber dennoch mit viel Kreativität so in ihren eigenen Vorstellungsraum projiziert, dass sich daraus eine sehr individuelle Klangcharakteristik entwickelt. Als Grundlage verwendet sie dabei unterschiedliche Arten der Tonerzeugung unter Einbeziehung des Klavierinnenraums – etwa gezupfte, gestrichene oder auch abgedämpfte Klaviersaiten –, wohingegen der herkömmliche Klavierklang nur am Rand eine Rolle spielt. Diese Klänge werden im Falle von 'One7' durch lange Stillephasen voneinander getrennt, was dem Hörer über die Gesamtdauer von 30 Minuten hinweg eine Konzentration auf die spezifische Beschaffenheit des Erklingenden, etwa auf unterschiedliche Grade von Rauigkeit oder Geräuschanteilen, möglich macht. 'Four6' setzt sich insofern von der Gesamterscheinung des ersten Stücks ab, als hier vier Stimmen zu hören sind – allesamt von Liebner realisiert und anschließend zeitgenau übereinander montiert – sodass im Endresultat die Verdichtungsprozesse und Übereinanderlagerungen unterschiedlicher Klangmaterialien bestimmend werden. Dennoch bleibt auch in diesem Fall das Moment der Konzentration, die lange Pause oder Stille, maßgeblich.

In aufnahmetechnischer Hinsicht zeichnet sich die Produktion durch eine enorme Präsenz der zum Teil sehr leisen Klänge ab, sodass man beispielsweise das Abtasten der Klaviersaiten oder das Gleiten von Bogenhaaren an den Umspinnungen förmlich mit dem inneren Auge zu sehen vermeint. Darüber hinaus ist das Booklet mit einem ganz hervorragenden Essay aus der Feder von Clemens Gresser ausgestattet, in dem nicht nur die Probleme von Cages Ästhetik beleuchtet, sondern auch die Realisierung Liebners gewürdigt wird. Das Ergebnis ist eine vorbildlich dokumentierte und spannende Realisierung der beiden ‚number pieces’.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Cage, John: one 7 / four 6

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
WERGO
1
26.09.2014
Medium:
EAN:

CD
4010228679724


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WERGO

Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt.
Noch immer hält WERGO am Anspruch, unter den Goldschmidt seine "studioreihe neue musik" gestellt hatte, fest: die hörende wie lesende Beschäftigung mit der neuen Musik anzuregen und in Produktionen herausragender InterpretInnen und von FachautorInnen verfassten ausführlichen Werkkommentaren zu dokumentieren.
Auf mehr als 30 Schallplatten kam die Reihe mit roter und schwarzer Schrift auf weißem Cover, dann wurde die Unternehmung zu groß für einen Einzelnen. Seit 1967 engagierte sich der Musikverlag Schott zunehmend für das Label, 1970 schließlich nahm Schott das Label ganz in seine Obhut. Seither wurden mehr als 600 Produktionen veröffentlicht, die ungezählte Preise erhalten haben und ein bedeutendes Archiv der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts darstellen.
Kaum einer der arrivierten zeitgenössischen Komponisten fehlt im Katalog. Ergänzt wird dieser Katalog seit 1986 durch die inzwischen auf über 80 Porträt-CDs angewachsene "Edition Zeitgenössische Musik" des Deutschen Musikrats, die mit Werken junger deutscher KomponistInnen bekannt macht. Neben dieser Zusammenarbeit bestehen Kooperationen mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe ("Edition ZKM") und dem Studio für Akustische Kunst des Westdeutschen Rundfunks ("Ars Acustica"). Im Bereich "Weltmusik" kooperiert WERGO eng mit dem Berliner Haus der Kulturen der Welt und der Abteilung Musik des Ethnologischen Museums Berlin. Die "Jewish Music Series" stellt die vielfältigen Musiktraditionen der jüdischen Bevölkerungen der Kontinente in ihrer ganzen Bandbreite vor. Zahlreiche Veröffentlichungen mit Computermusik sind in der Reihe "Digital Music Digital" erschienen. Neue Editionen wie die legendäre "Contemporary Sound Series" des Komponisten Earle Brown oder die des Ensembles musikFabrik kamen in den vergangenen Jahren hinzu.
Die Diversifizierung, die das Programm von WERGO seit seiner Gründung erfahren hat, ist der Weitung des zeitgenössischen musikalischen Bewusstseins ebenso geschuldet wie sie zu dieser stets beitrug - eine Aufgabe, der sich WERGO auch in Zukunft verpflichtet fühlt.


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