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Montag, 2. Oktober 2023

Charles-Valentin Alkan - Solo Piano Music

Im Schatten


Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Die Entscheidung, für Klavierwerke Charles-Valentin Alkans einen Hammerflügel zu nutzen, erweist sich als goldrichtig. Aber Costatino Mastroprimiano schießt mit mancher interpretatorischen Idee ein wenig übers Ziel hinaus.

Charles-Valentin Alkan (1813–1888) blieb – außer in Kennerkreisen – immer im Schatten anderer. Nicht stilistisch, aber bezüglich der Wertschätzung. Sehr zu Unrecht, denn Alkans Schaffen (vor allem für Klavier solo) nimmt neben Schumann eine geradezu exzeptionelle Position in der Musikgeschichte der Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Vor allem sind die Auswirkungen seines Schaffens bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht zu unterschätzen.

Mit pianistischen Mitteln war es Alkan immer wieder möglich, geradezu orchestrale Effekte zu erzielen. Auch in der kleineren Form erweist er sich als Meister des ‚orchestralen Klavierstils’ – der besonders glücklich auf dem Hammerflügel zur Geltung kommt. Die beiden Klavierstücke op. 50 (1859), 'Capriccio alla soldatesca' und die Studie 'Le tambour bat aux champs', nutzen zu großem Effekt die tiefen Register des Klaviers und evozieren gerade hier intensiv andere Instrumente. 'Le tambour bat aux champs' ist gleichwohl ein absolut genuines Klavierstück, gerade weil Alkan virtuose, harmonisch gewagte und instrumentengenuine Gedankenlinien kongenial verschränkt. Erst auf dem Hammerflügel aber können wirklich alle Aspekte seines Innovationspotenzials voll genutzt werden.

Leider erweist sich Costantino Mastroprimiano, der in Sachen Clementi und Chopin durchaus Einfühlungsvermögen erwiesen hat, zunächst bei Alkan gelegentlich etwas zu grobschlächtig. Die Aspekte Schumann‘scher Delikatesse, die auch in Alkans Schaffen hineingewirkt haben, werden vergröbert, verlieren somit an Charme. Die drei äußerst anspruchsvollen Menuette op. 51 wirken so merkwürdig ‚unoriginal’, wie eine heutige Nachschöpfung von Musik der 1820er-Jahre, und dies liegt weniger an der Musik als vielmehr an der Interpretation. Mastroprimiano bietet häufig ein etwas dumpfes Forte, arbeitet mit ‚freier Metrik’, die aber der Tanzform des Menuetts nicht recht angemessen ist. Die Musik scheint hierdurch etwas ziellos herumzuirren. Der Pleyel-Flügel (1865) in der Sammlung Casiglia auf Sizilien lässt (unterstützt durch tadellose Aufnahmetechnik) diese Feinheiten in größter Klarheit hervortreten.

Im Zentrum steht 'Introduction et Impromptu' op. 55 mit dem Titel 'Une fusée'. Alkan lässt aber die einfache Assoziation an eine Spindel weit hinter sich und kreiert eine geistreiche licht-luftige Improvisation. Hier nun verabschiedet sich Mastroprimiano endlich von grob-kräftigem Zugriff und lässt sich Alkans Virtuosität ungebrochen Bahn brechen, und beweist, dass er auf dem Hammerklavier durchaus seinesgleichen sucht. Das Raffinement des Anschlags entspricht vollkommen der Musik, die aus der Ferne Chopin und Schumann anklingen lässt, aber doch ganz eigenständig ist.

Ebenfalls 1859 entstanden die beiden Nocturnes op. 59. Wer Nocturnes im Stile Chopins sucht, sucht vergeblich – wir haben hier Charakterstücke reinsten Wassers, teilweise eindeutig auf Schumann zurückblickend, teilweise schon auf Debussy vorausweisend. Ganz reizend die Akkordfolgen im ersten der beiden Stücke, die auf dem Pleyel-Instrument in der nötigen Delikatesse dargeboten werden können.

Letzter Höhepunkt der CD ist die viersätzige Sonatine a-Moll op. 61 aus dem Jahre 1861, die jenseits des nachgerade klassischen Beginns der Exposition allerhand Vertracktheiten bereithält, die die Musik weit ins 20. Jahrhundert wirken lassen, bis hin zu Satie und Ives. Der 'Allegramente' überschriebene langsame Satz bietet immer wieder überraschende Kontrapunktik und musikalische Textur, und auch der Schlussakkord des Satzes erfüllt die Erwartungen nicht. Das Scherzo ist eine wahnwitzige Tour de force, mit einem trügerisch ruhigeren Trioteil, der wieder eine offene Hommage auf Schumann zu sein scheint, ehe sich eine Figur in der Unterstimme selbstständig macht und zum Scherzoteil zurückführt. Das Finale führt die originelle Komposition zu einem furiosen Ende, nicht ohne noch die eine oder andere Überraschung in petto zu haben.

Der Interpret hat selbst den Booklettext verfasst (nur auf Englisch bereitgestellt), der hierdurch faktenmäßig ein wenig dünn ist, aber immerhin einen charmanten Einblick in den Interpretationszugriff Mastroprimianos bietet.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Charles-Valentin Alkan: Solo Piano Music

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Brilliant classics
1
10.10.2014
Medium:
EAN:

CD
5028421943411


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Mit den Veröffentlichungen von komplettierten Gesamtwerks- Editionen und Zyklen berühmter Komponisten, hat sich das Label erfolgreich am Musikmarkt etabliert. Der Klassikmusikchef, Pieter van Winkel, ist Musikwissenschaftler und selbst Pianist. Mit seinem professionellen musikalischen Gespür für den Klassikmarkt, hat er in den letzten Jahren ein umfangreiches Klassikprogramm aufgebaut. Neben hochwertigen Lizenzprodukten fördert er mit Eigenproduktionen den musikalischen Nachwuchs und bietet renommierten Musikern eine ideale Plattform.


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