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Sonntag, 1. Oktober 2023

Saint-Saens - Cellokonzerte

Approximant und virtuose Punktlandung


Label/Verlag: Hyperion
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Natalie Clein schwankt in ihrem Zugang zu den Stücken für Cello und Orchester von Camilla Saint-Saëns zwischen emotionaler Zurückgenommenheit und Übertreibung. Verbesserung ist auch die Orchesterleistung.

Wie unterschiedlich CD-Einspielungen wahrgenommen werden können, zeigen die aktuellen Besprechungen der vorliegenden Produktion in ‚Diapason’ und ‚The Gramophone’ – einer Produktion, die sich zumindest teilweise mit Kernrepertoire der Cellokonzertliteratur befasst. Vor allem das erste Cellokonzert a-Moll op. 33 von Camille Saint-Saëns aus dem Jahre 1872 wurde von allem, was Rang und Namen hat, eingespielt. Namen zu nennen wäre wegen der unvermeidbar zu lassenden Lücken nahezu sträflich. Doch gibt es auch mindestens neun Einspielungen beider Cellokonzerte, so dass die neue CD sich zumindest in dieser Hinsicht nicht zu schwacher Konkurrenz stellen muss.

Die britische Cellistin Natalie Clein ebenso wie das BBC Scottish Symphony Orchestra unter Andrew Manze ‚unterspielen’ das emotionale Potenzial des ersten Konzerts, das sich bei insbesondere den berühmteren Interpreten nicht selten in voller Breite Bahn bricht. In technischer Hinsicht überzeugt Clein ohne Frage – im Gegensatz zum schottischen Orchester, das in vielen Details nicht exakt genug arbeitet; viele Arabesken geraten eher approximativ. Immer wieder gerät der Orchesterpart zu erdgebunden, zu heruntermusiziert, was ein gleichberechtigtes Miteinander unmöglich macht. Wo bei anderen Interpreten die musikalische Logik erkundet wird, bleibt bei Clein und Manze die architektonische Struktur blass und gelegentlich sogar konturlos. Am wohlsten scheinen sich die Musiker im menuett-artigen Mittelsatz zu fühlen, wo sie Saint-Saëns‘ herrliche Kantilenen mit Wärme und Charme zu füllen wissen. Nach Clein und Manze scheint manch andere Interpretation gerade dieses Satzes nicht selten mit Expression übersättigt – hier ist die Betonung des Tänzerischen wichtiger als große Emotionen, die die Musik allzu leicht erdrücken können.

Das dreißig Jahre später entstandene zweite Cellokonzert op. 119 in d-Moll ist charaktervoller, vielleicht auch noch schwerer zu interpretieren. Das Werk, das auf interessante Weise ersten und zweiten Satz verbindet (nicht, wie in anderen Kompositionen häufiger anzutreffen, zweiten und dritten), scheint Clein und Manze auch wegen der komplexeren Textur besser zu liegen, vielleicht auch, weil das Orchester weniger virtuoses Rankenwerk zu spielen hat. Dennoch hat die Einspielung, etwa im Vergleich zu jener mit Torleif Thedéen unter Jean-Jacques Kantorow, weitaus weniger Profil, weniger Ecken und Kanten, ein weniger klares Ziel, auch wenn der langsame Satz berückend schöne Momente enthält und das Finale immer wieder durchaus energiegeladen daherkommt.

Das ‚Doppelkonzert’ 'La muse et le poète' op. 132 für Violine, Violoncello und Orchester entstand 1910; Saint-Saëns war fast 75 Jahre alt. Saint-Saëns‘ stellt besondere Herausforderungen an die Interpreten. Lange stand das Werk im Schatten der früheren Werke, seit den 1970er-Jahren aber erfreut sich 'La muse et le poète' großer Beliebtheit; unter anderem haben sich Ulf Hoelscher und Ralph Kirschbaum, Ruggiero Ricci und Georges Mallach, Joshua Bell und Steven Isserlis, Jean-Jacques Kantorow und Torleif Thedéen, die Brüder Capuçon sowie jüngst Noëlle Weidmann und Maria Milstein in der Komposition profiliert. Nun also Natalie Clein und die Geigerin Antje Weithaas, denen eine poetische Darbietung gelingt, wahrscheinlich der Höhepunkt der vorliegenden CD. Dennoch tragen andere Interpreten, die die Musik pointierter vortragen, die mehr Eigencharakter einbringen, die Palme davon. Beeindruckend unter den anderen etwa die mir ansonsten unbekannten Solisten Patrice Fontanarosa und Gary Hoffman unter Jean-Jacques Kantorow, der sich ja auch anderwärts als exzellenter Anwalt der Musik Saint-Saëns‘ profiliert hat.

Immer wieder wird diskutiert, ob die (hier nicht berücksichtigte) Suite d-Moll op. 16 Saint-Saëns‘ Konzertwerken mit Cello zuzurechnen sind. Einspielungen der Orchesterfassung sind bis heute die Rarität (und jene mit Maria Kliegel, Steven Isserlis und Mischa Maisky immer noch Fixpunkte der Diskografie). Kurz nach dem ersten Cellokonzert entstand das 'Allegro appassionato' h-Moll op. 43 für Cello und Orchester, diskographisch ähnlich rar wie die Suite (u.a. von Paul Tortelier, Laszlo Varga, Mischa Maisky und Maria Kliegel vorgelegt) und vor allem auch in der Fassung mit Klavier bekannt. Dies ist ein Stück, bei dem man scheinbar nichts falsch machen kann. Doch gerade hierdurch übertreibt hier Clein gerade in jenen Momenten, in denen sie im ersten Konzert ‚unterspielt’ hat. Die melodischen Girlanden werden durch zu starkes Espressivo verunklart und damit die Architektur des Stücks beeinträchtigt.

Unvermeidbar fast als Zugabe 'Der Schwan' aus dem 'Carneval des animaux' (1886). Gerne missverstehen Cellisten und Publikum dieses ironische Tonbild als tiefgründige Elegie. Natalie Clein und die beiden Pianistinnen Julia Lynch und Judith Keaney finden das schwer zu findende richtige Tempo für diese Miniatur, auch die angemessene Portion Emotion, um der Musik zu voller Geltung zu verhelfen, ohne sie zu überfrachten.

Gute, aber nicht herausragende Aufnahmetechnik, die das Orchester immer wieder ins Hintertreffen kommen lässt, und ein ebensolches Booklet komplettieren den Eindruck einer in Teilen beachtlichen, aber keineswegs essenziellen Produktion.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Saint-Saens: Cellokonzerte

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Hyperion
1
05.09.2014
Medium:
EAN:

CD
034571280028


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Hyperion

Founded in 1980, Hyperion is an independent British classical label devoted to presenting high-quality recordings of music of all styles and from all periods from the twelfth century to the twenty-first. We have been described as 'Britain’s brightest record label'. In January 1996 we were presented with the Best Label Award by MIDEM's Cannes Classiques Awards. The jury was made up of the editors of most of the leading classical CD magazines in the world - Classic CD (England), Soundscapes (Australia), Répertoire (France), FonoForum (Germany), Luister (Holland), Musica (Italy), Scherzo (Spain), and In Tune (USA & Japan).

We named our label after an altogether splendid figure from Greek mythology. Hyperion was one of the Titans, and the father of the sun and the moon - and also of the Muses, so we feel we are fulfilling his modern role by giving the art of music to the world.

The repertoire available on Hyperion, and its subsidiary label Helios (Helios, the sun, was the son of Hyperion), ranges over the entire spectrum of music - sacred and secular, choral and solo vocal, orchestral, chamber and instrumental - and much of it is unique to Hyperion. The catalogue currently comprises nearly 1400 CDs and approximately 80 new titles are issued each year. We have won many awards.

Our records are easily available throughout the world in those countries served by our distributors. A list of the world's top Hyperion dealers, listed by country and city, can be found on our homepage. But if you have any difficulty please get in touch with the distributor in your territory. In Germany that is Note 1 Music Gmbh.


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