
Haydn - Klavierkonzerte
Ein musikalischer Zeitsprung
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Zunächst Verwirrung, dann Begeisterung. Jean-Efflam Bavouzet überrascht und überzeugt mit einer erfrischenden Einspielung der Klavierkonzerte Franz Joseph Haydns.
Vor nicht allzu langer Zeit, Im Frühjahr 2013, wurde eine Neuaufnahme von Haydns Klavierkonzerten Nr. 3, 4 und 11 mit den Solisten Marc-André Hamelin von einem Kollegen dieses Magazins bereits hoch gelobt (Link siehe unten). Dieses Mal gibt der französische Pianist Jean-Efflam Bavouzet mit der Manchester Camerata unter Gábor Takács-Nagy dieselben, vergleichsweise wenig verbreiteten Werke des bedeutenden Komponisten zum Besten. Das Ergebnis ist insgesamt überzeugend – auf den ersten Blick unspektakulär, doch einzelne Momente machen die Aufnahme zu einer Offenbarung, die auch Hamelin zu übertreffen weiß.
Zur Entstehung der vielfach übersehenen Werke
In Hinblick auf die Gattungen der Klaviermusik steht Haydn nach wie vor im Schatten seines ruhmreichen Zeitgenossen Wolfgang Amadeus Mozart. Besonders deutlich wird dies bei Betrachtung seiner (zu Unrecht, möchte man hinzufügen) eher selten gespielten Konzerte, die vor reizenden Melodien und interessanten motivischen Ideen nur so strotzen. Von den einzig bekannten Haydenschen ‚Klavierkonzerten’ (Hob. XVIII:1-11) wurden lediglich die Nr. 3, 4 sowie 11 nachweislich für Klavier bzw. Cembalo komponiert; bei den restlichen acht handelte es sich nämlich eigentlich um Orgelkonzerte. Während die Konzerte Nr. 3 F-Dur und Nr. 4 G-Dur aller Wahrscheinlichkeit nach kurz vor 1770 entstanden sind, wurde das Konzert Nr. 11 D-Dur möglicherweise bereits für Hammerklavier in den frühen 1780er Jahren komponiert. Bei letzterem handelt es sich vermutlich um das heutzutage populärste der drei Werke. Dafür sprechen auch die verhältnismäßig zahlreichen Einspielungen unter anderen durch Größen wie Michelangeli, Argerich oder Brendel.
Modernes Klangbild
Interessant erscheinen im Fall dieser Plattenbesprechung daher gerade die beiden weniger bekannten Konzerte, zumal Bavouzets Stärken in ihnen besonders hervortreten. Ihre frühere zeitliche Einordnung wird schon beim Hören deutlich. Im Vergleich zum Konzert in D-Dur, bei dem man sich beinahe unweigerlich an Mozart erinnert fühlt, wirken sie doch etwas einfacher bzw. ursprünglicher, stilistisch vergleichbar etwa mit Johann Christian Bach. Aber trotz aller Hervorhebung der historischen Wurzeln, die bei Bavouzet ebenfalls erkennbar wird, handelt es sich hierbei nicht um eine Einspielung, die auch nur annähernd mit der Bemühung um historische Aufführungspraxis zu tun hat. So sorgt bereits das Orchester für ein klanglich sehr kräftiges Fundament. Mit präziser, beinahe zu perfekter Phrasierung erklingt dazu der mechanisch makellose Yamaha Konzertflügel. Dann gegen Ende des zweiten Satzes im F-Dur Konzert: die Kadenz: In der rechten Hand ein andauerndes Ostinato, unterlegt von wechselnden farbenreichen Akkorden, die den Hörer in eine völlig andere Welt versetzen. Das ist keine Wiener Klassik mehr, sondern reinster Jazz. Anstelle sonst üblicher, virtuoser Akkordbrechungen und der Verarbeitung vorgegebener Themen, steckt mitten im Haydn-Konzert eine kleine Improvisation à la Keith Jarrett. Die Idee ist mutig, aber sie zündet. Eine derartig fremde und doch gelungene Verschmelzung hätte ich nicht für möglich gehalten. Dass Bavouzet aber auch zur klassischen, spieltechnisch höchst anspruchsvollen Improvisation fähig ist, hat er bereits im Kopfsatz zuvor eindrucksvoll bewiesen. Wohlgemerkt: Anders als bei Hamelin stammen auf dieser Einspielung sämtliche Kadenzen vom Pianisten selbst.
Ein Vergleich mit Hamelin
Keine Frage, Bavouzet und die Manchester Camerata liefern ein hochwertiges Ergebnis, die Solokadenzen besitzen zudem großen Eigenwert. Hamelin bewegt sich interpretatorisch dennoch auf vergleichbar hohem Niveau. Beide Pianisten spielen die Kopfsätze mit ähnlicher Artikulation: leichtes Staccato, aber doch eher Portato. Dass Bavouzets Spiel manchmal noch ein Stück differenzierter als das des kanadischen Virtuosen erscheint, könnte mitunter auch dem Instrument (Yamaha gegenüber Steinway) geschuldet sein. Die Tempi wirken gerade bei Bavouzet jederzeit gut gewählt. Prinzipiell gibt es nichts zu bemängeln. Wer als Hörer viel Wert auf historisch orientierte Stilistik legt, könnte allenfalls eine gewisse Leichtigkeit vermissen. Den Anspruch klanglicher Geschichtstreue erhebt die Aufnahme aber ohnehin nicht. Hamelin wartet demgegenüber mit einem dünner besetzten und flotter auftretenden Orchester auf, welches er, den Aufführungskonventionen des 18. Jahrhunderts entsprechend, stellenweise auch generalbassartig auf dem Klavier begleitet.
Fazit
Die Haydn-Klavierkonzerte mit Bavouzet sind eine echte Bereicherung für den Plattenmarkt. Es handelt sich um eine runde und gelungene Interpretation von selten zu hörenden Werken, die mit großartigen, innovativen Kadenzen glänzt. Nur Puristen und Reaktionäre könnten sich mit ihr etwas schwer tun; für sie wäre Hamelin die bessere Alternative.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Haydn: Klavierkonzerte |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 05.09.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
095115180822 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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