
Zygmunt Noskowski - Orchestral works, vol. 3
Polnischer Frühling
Label/Verlag: Sterling
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit der dritten Folge der bei Sterling erscheinenden Reihe mit Orchesterwerken von Zygmunt Noskoswki (18461909) ist der Zyklus seiner drei Symphonien erstmals komplett auf Tonträger vorhanden.
Neben der Dritten (1903) und einer kurzen 'Polnischen Elegie' (1885) präsentiert das Album zwei weitere um 1900 entstandene Kompositionen: die 1901 unter dem Titel 'Aus dem Leben der Nation' (Z życia narodu) entworfenen 'Fantasiebilder' nach Chopins Prélude op. 28 Nr. 7 und das Vorspiel zum zweiten Akt der Oper 'Livia Quintilla' (UA 1898).
Es handelt sich abermals – wie beim ‚Entdecker-Label‘ Sterling üblich – um Tonträger-Premieren (deren Partituren bei Poskie Wydawnictwo Muzyczene erschienen sind). Die beteiligten polnischen Rundfunkorchester aus Warschau und Kattowitz zeigen ein den deutschen Rundfunkorchestern kaum nachstehendes Niveau. Das Ende des 20. Jahrhunderts unter Antoni Wit (vor seinem Wechsel 2002 zur Warschauer Philharmonie) noch unbestritten führende polnischen Orchester aus Katowice hat seine Qualitäten – ein homogenes Klangbild aller Instrumentengruppen mit ausgezeichneten Holzbläsern – weitgehend gehalten: Unter dem seit 1985 in Polen ansässigen und dort weithin bekannten brasilianischen Dirigenten José Maria Floréncio bietet es eine lebhafte, detailgenaue und in den Tempi weitgehend stimmig erscheinende Darbietung der F-Dur-Symphonie mit dem programmatischen Sujet ‚Von Frühling zu Frühling‘. Die anderen drei Stücke sind dem schon aus Folge 2 mit der Zweiten Symphonie vertrauten Polska Orkiestra Radiowa Warszawa anvertraut, einem international bislang weniger renommierten, aber gleichwohl leistungsstark besetzten Orchester, dessen Leitung seit 2007 in den Händen von Łukasz Borowicz liegt, der u.a. für Einspielungen der sieben Violinkonzerte von Grażyna Bacewicz (Chandos) und eine Panufnik-Reihe beim deutschen Label cpo international schon mehrere Tonträger-Preise gewonnen hat. 1977 geboren, ist Borowicz wohl der derzeit führende polnische Nachwuchsdirigent, und seine Darstellung sowohl der 'Livia'-Ouvertüre und der kleinen Elegie (ein von Noskowski selbst orchestriertes Stück für Violine und Klavier) wie auch der groß angelegten Chopin-Variationen nimmt vorbehaltlos für ihn und sein Orchester ein. Einzig das Klangbild aller Aufnahmen – obwohl deutlich besser als in Folge 1 – könnte noch etwas mehr Tiefenstaffelung vertragen, bleibt aber vordergründig hinreichend transparent (besonders bei Verwendung eines ordentlichen Kopfhörers).
Ansprechende Orchesterleistungen: Insbesondere der Dirigent Łukasz Borowicz überzeugt
Mit ihrem spürbaren Engagement huldigen die beiden bereits staatlicherseits für ihre Verdienste um das nationale Musikleben ausgezeichneten Dirigenten ihrem vielleicht bedeutendsten Vorgänger Ende des 19. Jahrhunderts: Zygmunt Noskowski ist ja als Dirigent und Gründer bzw. Mitbegründer verschiedener Orchester (u.a. 1901 der Warschauer Philharmonie) eher in Erinnerung geblieben denn als Komponist (einzig 'Die Steppe' hat sich im polnischen Konzertrepertoire behauptet, u.a. in einer älteren Aufnahme von Witold Rowicki); ein Interesse an seiner Musik erwächst sicherlich auch aus seinem Einfluss als Professor für Komposition, durch dessen Hände die an der Schwelle zur Moderne stehende polnische Komponistengeneration von Karol Szymanowski und Mieczysław Karłowicz gegangen ist. Die Differenz zwischen Noskowskis 'Frühlingssymphonie' von 1901 und der nur zwei Jahre später vollendeten 'Wiedergeburtssymphonie' seines Schülers Karłowicz ist jedoch beträchtlich: Noskowski, der seinerseits bei Stanisław Moniusko, dem Begründer der polnischen Nationaloper (v.a. 1848 'Halka'), und bei Friedrich Kiel in Berlin studiert hatte, stand noch ganz in einer ‚romantischen‘ Tradition programmatisch-charakteristischer Symphonik, die einen deutlichen Zug zu mitunter etwas biedermeierlich anmutender Volkstümlichkeit nicht verleugnet. Konzertouvertüre und symphonische Dichtung (vgl. hier die Folge 1 der Sterling-Serie) markieren gleichermaßen eine ästhetische Ausgangssituation, in der die Geborgenheit in etablierter Form und Klangsprache, der Reiz einer durchaus durch Spezifika nationaler Volksmusik inspirierten rhythmischen und harmonischen Faktur und der Wille zu individueller emotionaler Ausdruckskraft zusammenkommen, ohne dass ein freizügigeres Experimentierfeld entsteht (wie im Falle des etwas älteren Joachim Raff und vor allem des etwas jüngeren Gustav Mahler). In seiner Symphonie Nr. 3 'Od wiosny do wiosny' hat Noskowski das alte Motiv der Jahreszeitenfolge in der zyklischen Anlage der Sätze und mit dem aus der französischen Symphonik vertrauten Prinzip der Wiederkehr des ersten Kopfsatzthemas im Finale ebenso naheliegend wie konventionell umgesetzt: Die ‚naturhafte‘, eher plagal als bitonal anmutende Rückung in eben jenem Kopfsatzthemas als ‚Geburt‘ eines harmonischen Spannungsfeldes, aus dem frühlingshafte Bewegtheit der Stimmungen und weiterer (musikalischer) Gedanken ‚erwächst‘, leitet die gewohnte viersätzige Folge ein. Den 'Zauber einer Mittsommernacht' illustriert ein 'Adagio molto espressivo', das zum ‚Fin de siècle‘ sicher noch chromatisch schwüler und klangfarblich raffinierter vorstellbar wäre. Das Scherzo ist ein Fest ('Okręźne'), besteht aus 'Erntelied und Tanz'. Das Finale beginnt mit winterlicher Stille, dann Schneesturm, bevor ganz elliptisch der Frühling gerade auch musikalisch zurückkehrt. Ebenso einleuchtend wie die auf happy end programmierte Dramaturgie des Ganzen ist die höchst gekonnt und abwechslungsreich eingesetzte Instrumentation, die eine gewisse Banalität mancher Themen geradezu durch klangliche Plastizität übertüncht. Hier liegt Noskowskis größte Stärke und Schwäche: Seine Musik ist durchaus interessant und unterhaltsam, auch einprägsam ‚gemacht‘, entbehrt jedoch weitgehend jenes unbeschreiblichen Moments, das Theodor W. Adorno als ‚Rätselcharakter‘ kulturgeschichtlich bedeutender Kunst zu bestimmen versuchte.
Instrumentalfarben als Hauptqualität: Variationen als Auftritt des erfahrenen Orchestrators
Bezeichnend ist da auch die Wahl jenes Préludes, das Noskowski zur Illustration des 'Lebens der [polnischen] Nation' aus Chopins Sammlung op. 24 ausgesucht hat: Nichts Dramatisches (wie etwa in Rachmaninoffs Chopin-Variationen), sondern jener fast harmlos-naiv anmutende kleine Walzer in A-Dur, dessen Spieluhr-Rhetorik wie ein Geschenk zur Teestunde anmutet, dessen Finesse aber kaum zur großen Heldengeste taugt. Dem gemäß ist die motivisch noch vagierende, leicht depressive viereinhalbminütige Einleitung wahrscheinlich der spannendste Teil, und mit der Einführung des Themas und seiner Überführung in sechzehn Varianten paradieren dann fast wunschkonzertgemäß bekannte charakteristische Archetypen: Das größte Gewicht dieser abermals in ihrer instrumentalen Farbigkeit ‚symphonischen‘ Variationen besitzen sicherlich die quasi als langsamer Satz retardierend vor der Finalsteigerung eingebauten ‚Bilder‘ 14 und 15, deren pittoreske, oft holzbläserlastige Schwermut zu den faszinierendsten Momenten des Albums zählt. Eine ähnliche Stimmung imaginieren auch das Vorspiel zum Schlussakt des Oper 'Livia Quintilla' und die 'Polonez elegijny' – als einfühlsamer Musikdramatiker (vielleicht sogar, wäre er zwei Jahrzehnte älter geworden oder eine Generation jünger, als potenzieller Filmkomponist) ist Noskowski durchaus angemessen und ertragreich rezipierbar.
Obwohl die Symphonien nun eingespielt sind, erlaubt das Fehlen von 'Die Steppe' doch Hoffnung auf eine weitere, vierte Folge der Noskowski-Serie. In dieser interpretatorischen Qualität sind Fortsetzungen jedenfalls zu begrüßen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Zygmunt Noskowski: Orchestral works, vol. 3 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Sterling 1 26.09.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
7393338110125 |
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Sterling Sterling is a record label specialising in orchestral music from the Romantic era, founded by Bo Hyttner. Most of the CDs released by Sterling contain previously unrecorded works. After setting out with Swedish romantics, Sterling is now spreading out towards the musical heritage of other European countries. In Sweden, the label is represented through CDA.
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