
Reinhard Keiser - Pomona
Antike Götter
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Reinhard Keisers 'Pomona' ist bei cpo in einer gelungenen Neueinspielung erschienen.
Wie finanziert man als klammes Opernhaus eine komplette Neuproduktion mit allem, was das Herz begehrt? Am Besten findet man dazu einen solventen Mäzen, der sich dazu bereit erklärt, alle Kosten zu übernehmen. Da aber so eine Situation meist nur im Märchen vorkommt, hilft es den Opernunternehmern sehr, wenn sie leichten Druck auf den Finanzier ausüben können. Hervorragend eignen sich dazu Erpressungen. Genau so geschah es regelmäßig an der Hamburger Gänsemarktoper, wo der raffinierte Opernimpresario Gerhard Schott die Gesandten anderer Länder regelmäßig dazu aufforderte, zu Ehren ihres jeweiligen Landesherrn eine Oper aufführen zu lassen. Ob Geburtstag, Hochzeit, Krönung, Friedensverträge, siegreiche Schlachten: Jeder nur mögliche Anlass diente Schott dazu, wieder ein neues Werk auf fremde Kosten produzieren zu lassen. So wurde 1702 der Geburtstag des dänischen Königs Friedrich IV. zum Anlass genommen, dem dänischen Gesandten von Hagedorn die Finanzierung einer Huldigungsoper aufzubürden. Dieser beklagte sich entsprechend beim dänischen Großkanzler über diese Anmaßung, zumal er nicht nur die Kosten der Oper, sondern auch der begleitend stattfindenden Lustbarkeiten zu bezahlen hatte, wozu zwei große Festmahle und ein Feuerwerk gehörten.
Nutznießer dieser kuriosen Art der Neuproduktion war Reinhard Keiser, der seinen Zeitgenossen als der erfolgreichste deutsche Opernkomponist galt. Auf diese Weise konnte er elegant seinen Lebensunterhalt bestreiten, ohne einzig vom Verkauf von Eintrittskarten abhängig zu sein. Entsprechend nachlässig müssen die beiden dänisch-finanzierten Aufführungen der 'Pomona' gewesen sein, wie der Booklettext vorliegender Produktion zeigt. Als Keiser dann einige Zeit später auf eigene Rechnung die 'Pomona' noch einmal auf die Bühne brachte, legte er wohl deutlich größere Genauigkeit bei Details und Stilfragen an den Tag.
Wie üblich bei Hamburger Opernsujets jener Tage spielt die Handlung in der Welt antiker Götter. Hieran konnten weder die Pietisten noch die orthodoxen Geistlichen der Stadt Anstoß nehmen. Dies war ein geschickter Weg, auf der Bühne gezeigte allzu menschliche Verhaltensweisen an den Kritikern der Oper vorbei inszenieren zu können. Auch in 'Pomona' geht es um Liebesglück und Liebesleid sowie um einen Wettstreit der Jahreszeiten: welche am meisten zu ehren sei. Die Geschichte dient dazu, üppige Kulissen mit opulenten Kostümen zu zeigen, die das Publikum begeistern sollten. In schneller Folge werden Wälder, blühende Gärten, Kornfelder, beschneite Hügel und der himmlische Palast des Jupiters aufgeboten. Dazu tanzen die Gefolge der auftretenden Götter und Jahreszeiten, womit Keiser sowohl für die Liebhaber des französischen Balletts als auch für Kenner der italienischen Oper die passenden Szenen bereithält.
Jetzt ist 'Pomona' in einer gelungenen Neueinspielung durch Thomas Ihlenfeldt und seine Capella Orlandi Bremen beim Label cpo erschienen. Schon die Ouvertüre bereitet viel Freude beim Zuhören. Es ‚händelt’, und zwar im besten Sinne. Keisers Partitur sieht eine kurze französische Ouvertüre für zwei Oboen, Streichorchester und einer Basso continuo-Gruppe vor, die von den Instrumentalisten beschwingt, in tänzerischem Tempo dargeboten wird. Schon folgen Arie, Rezitativ und Arie des Mercurius.
Das Solistenensemble, das nun auftritt, ist erstklassig besetzt. Julian Podger als Mercurius singt die Rolle des Gotts der Händler und Diebe mit großer Leichtigkeit und Verspieltheit – fast so verschmitzt wie die Arie 'Ich werde heut anschauen', Merkur als koketten Beobachter des Geschehens charakterisiert. Man versteht auch den etwas kruden Text der Arie ohne größere Probleme. Die drei Sopranistinnen Melanie Hirsch (Pomona), Doerthe Maria Sandmann (Flora) und Magdalene Harer (Vertumnus) besitzen alle wunderbar kultivierte helle Stimmen, die gut zur galanten Sprache des Librettos passen. Warum Keiser für die Rolle des Vertumnus, dem rätselhaften, promisken Naturgott, der seit Ovids Metamorphosen an der Seite Pomonas erscheint, eine Sopranstimme vorgesehen hat, ist etwas rätselhaft. Magdalene Harer hat deshalb keine leichte Aufgabe, die sie aber virtuos mit galantem Tonfall meistert, so dass dieser recht feminine Vertumnus in das Barocke Spiel der Geschlechter passt. Die lange Duett-Szene zwischen Flora und Zephyrus singen Doerthe Maria Sandmann und der Tenor Knut Schoch so anmutig zart, dass das ebenfalls sehr behutsam spielende Orchester schon recht kräftig dagegen wirkt. Olivia Vermeulen, die die Göttin der Landwirtschaft, Ceres, darstellt, gestaltet ihre Mezzosopran-Arien mit lieblich-lyrischem Duktus, gepaart mit virtuoser Technik. Ihre Szenen sind Highlights dieser Produktion. Bacchus und Vulcanus werden von den Baritonen Raimonds Spogis und Jörg Gottschick dargeboten, die ihre Parts ebenfalls klangschön und routiniert bestreiten. Jan Kobow als Göttervater Jupiter darf am Ende den eitlen Streit zwischen den Göttinnen schlichten, indem er die Klugheit des dänischen Königs Friedrich preist.
Die Neuaufnahme belegt, dass die Oper 'Pomona' nicht nur im 18. Jahrhundert Finanzierungsprobleme löste, sondern auch heute noch in dieser vorbildlichen Interpretation wert ist, einer breiteren Zuhörerschaft zugänglich gemacht zu werden.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Reinhard Keiser: Pomona |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 2 20.08.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
761203765928 |
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Keiser, Reinhard |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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