
Rafael Kubelik dirigiert das Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester - Orchesterwerke von Schumann, Haydn, Mendelssohn, Dvorak
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Label/Verlag: ORFEO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mitschnitte mit Rafael Kubelik und dem Rundfunk-Sinfonie-Orchester Köln aus den 1960er Jahren sind vor allem im Bereich romantischer Sinfonik eine begrüßenswerte Ergänzung der Kubelik-Diskographie.
Rafael Kubelíks langjährige Arbeit mit dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks hat auf dem Tonträgermarkt bis heute immer wieder seine Zusammenarbeit mit anderen Orchestern, ja selbst seine anderen Posten als Chefdirigent überschattet. Heute ist eher vergessen, dass Kubelík ein wichtiger Exponent Neuer Musik in Chicago war und dass er wichtige Produktionen an Covent Garden leitete (aus London ist derzeit gerade einmal ein 'Otello' von 1955 auf CD offiziell lieferbar). Kubelíks Auftritte mit dem Kölner-Rundfunk-Sinfonieorchester waren nicht auf dem offiziellen Tonträgermarkt dokumentiert. Dem hilft die vorliegende 3-CD-Box ab, die Konzertauszüge aus den Jahren 1960 bis 1963 präsentiert. Die bei Orfeo vorgelegte Auswahl ergänzt in kluger Weise die bisher aus München und Wien vorgelegten Live-Mitschnitte, mit Werken von nur vier Komponisten.
Die Haydn-Pflege der frühen 1960er-Jahre ist aus heutiger Perspektive häufig meilenweit von dem entfernt, was – teilweise angeregt durch die historisch informierte Aufführungspraxis – heute als angemessen angesehen wird. Kubelíks Haydn rückt die Musik nicht selten in einen eher generalisierenden, allgemeinen Interpretationsstil, wie er seinerzeit durchaus häufig zu hören war. Die Akzente, die alte Instrumente heute rein spieltechnisch gesetzt werden können, wurden seinerzeit durch einen teilweise eher ruppigen Zugriff kompensiert. Wie gesagt, war dies damals durchaus üblich und stört höchstens den Puristen. Denn Kubelíks musikalisch-musikantischer Zugriff lässt ohne Frage nicht kalt. Die Menuette sowohl in der Sinfonie D-Dur Hob. I:101 (31. Mai 1963) als auch in der Sinfonie B-Dur Hob. I:102 (10. April 1961) bieten böhmische Lebhaftigkeit, sind somit von jeder betulichen Langeweile weit entfernt; gleichzeitig gelingt es Kubelík, beiden Sätzen durchaus eigenes Klangprofil zu verleihen. Das 'Andante' der D-Dur-Sinfonie ist von vollendeter Leichtigkeit, das 'Adagio' der B-Dur-Sinfonie mit seinen solistischen Kantilenen herrlich ausmusiziert (leider erfährt man nicht, wer die Soli spielt – womöglich János Starker höchstselbst?) und weist in Kubelíks Lesart weit auf Schumann voraus. Kubelík nimmt Haydn ernst – die Finali sind nicht einfach flotte Kehraus-Sätze, wie man sie im Konzertleben gerne verniedlichend immer wieder hören kann; wir haben hier seriöse Auseinandersetzung mit dem thematischen und motivischen Material. Dass das Orchester hier immer wieder nicht mit höchster Raffinesse zu spielen scheint, mag daran liegen, dass Klangkultur um ihrer selbst willen damals nicht das zentrale Anliegen war. Das Presto-Finale der B-Dur-Sinfonie ist übersprudelnd und mitreißend, ohne je die Klarheit des musikalischen Satzes zu opfern.
Am 22. Februar 1960 entstand der Mitschnitt von Antonín Dvoráks Klavierkonzert g-Moll op. 33 mit dem Solisten Rudolf Firkusny, der das Werk diverse Male auch im Studio eingespielt hat. 1960 war es durchaus gängige Praxis, die Partitur anzupassen, um den Solopart ‚pianistischer’ klingen zu lassen. Auch in inferiorer Aufnahmetechnik ist Kubelíks und Firkusnys Interpretation hinreißend in ihrer Lebendigkeit – auch wenn der Orchesterklang teilweise noch problematischer ist als beim Haydn. Der Solopart ist in großer Weite, doch auch allzu prominent präsentiert, so dass der konzertante Aspekt des Werkes trotz der unzweifelhaften engen Verbindung aller Interpreten sich nicht recht einstellen will. Schade, spürt man doch jeden Moment den hochemotionalen Zugriff.
Kubelík galt immer als besonderer Exponent der Musik der Romantik, seine Einspielung von Mendelssohn Bartholdys 'Sommernachtstraum'-Musik ist ein echter Klassiker. Hier sind die 'Hebriden'-Ouvertüre op. 26 (25. Januar 1962) und die sogenannte ‚Reformationssinfonie’ d-Moll op. posth. 107 (18. Oktober 1963) zu hören. Kubelík lässt sich für die Sinfonie Zeit und hebt den weihevollen Gestus der Musik hervor (so betont er auch die Verwandtschaft zu Schumanns ‚Rheinischer’). Auch weil auch hier der Orchesterklang eher dramatisch denn klangsensualistisch zu nennen ist, haben wir hier ungeheuer dichte Interpretationen, die sauberer musizierte Darbietungen weit hinter sich lassen. Der Beginn des Finales der Sinfonie ist von einer innerlichen Schlichtheit, die – anders als heute zumeist – zutiefst empfunden und nicht ‚erdacht’ ist. Den 'Hebriden' mangelt es teilweise an eben jener Magie, die das Werk und nicht selten auch Kubelíks Interpretationen selbst auszeichnet.
Zentrale Position in dieser Edition nimmt Robert Schumann ein, von dem gleich drei Werke zu hören sind: das Cellokonzert a-Moll op. 129 (10. April 1961), die ‚Rheinische’ Sinfonie Es-Dur op. 97 (20. September 1962) und das Klavierkonzert a-Moll op. 54 (31. Mai 1963). Beim hochgradig emotional dargebotenen Cellokonzert mit dem Solisten János Starker fragte ich mich immer wieder, ob ich vielleicht gerade in Elgars Cellokonzert abgedriftet wäre – die emotionale Bandbreite, die Kubelík und Starker aufbieten, ist weit mehr, als Schumanns nachgerade neoklassisches Werk erfordern. Klar kann das Werk einen solchen Zugriff ertragen, und so lege ich die Partitur beiseite und bewundere diese hochleidenschaftliche Lesart des Werkes, die niemanden unberührt lassen kann.
Weniger berührt mich das Klavierkonzert mit dem Solisten Claudio Arrau. Rudolf Serkin war dem Werk in seiner Studioproduktion unter Eugene Ormandy noch ein weitaus wesensverwandterer Interpret, Arrau – und auch Kubelík – wirkt hier eher unbeteiligt, sauber musizierend, ja, aber nicht emotional mitgerissen. Das soll nicht Arraus wunderbar warmen Ton in Abrede stellen (auch wenn dieser in etwas verhangener Aufnahmetechnik eingefangen wurde), auch nicht die emotionale Wärme des langsamen Satzes hinwegreden; doch insgesamt hat zumindest der Autor dieser Zeilen das Gefühl einer in entscheidenden Momenten kalkulierter, gewissermaßen virtuoser Interpretation. Das Feuer der Interpreten, wenn man so sagen kann, wärmt, doch geht es nicht unmittelbar zu Herzen. Ganz anders die ‚Rheinische’ Sinfonie, immer wieder Signaturkomposition des WDR an sich. Hier haben wir eine Interpretation unzweifelhaft ‚von Herzen’, eine Interpretation, deren außerordentlicher Rang sich durch ihre Wärme und Lebhaftigkeit unmittelbar auf den Hörer überträgt. Wo soll man mit dem Schwärmen anfangen? Mit der exuberanten Eröffnung, dem eleganten Scherzo, dem entspannten zentralen 'Nicht schnell', dem prozessionshaften, ausgesprochen dicht musizierten 'Feierlich'? Einzig hätte das Finale noch mehr Überschwang vertragen können – doch was am Anfang des Satzes noch fehlen mag, noch kalkuliert scheint, entwickelt sich zur furiosen Stretta hin. Insgesamt also auch hier nur wenige Abstriche.
Leider ist auch die Aufnahmetechnik nicht durchweg dazu angetan, den eher grobkörnigen Orchesterklang eleganter zu machen. Der saubere, teilweise aber ausgesprochen flache Monosound vergröbert das Hörerlebnis überdies zum Teil extrem. Auch das Booklet trübt ein wenig den Genuss; die deutsche Übersetzung des originalen englischen Textes verflacht die Autorenintentionen an einigen Stellen, so dass ich die Lektüre des originalen Beitrages dringend vorzuziehen empfehle.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Rafael Kubelik dirigiert das Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester: Orchesterwerke von Schumann, Haydn, Mendelssohn, Dvorak |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ORFEO 3 14.08.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
4011790726328 |
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ORFEO Erschienen die ersten Aufnahmen des 1979 in München gegründeten Labels noch in Lizenz bei RCA und EMI, produziert und vertreibt ORFEO seit 1982 unter eigenem Namen. Durch konsequente Repertoire- und Künstlerpolitik konnte sich das Label seit seinem aufsehenerregenden Auftritt am Anfang der Digital-Ära dauerhafte Präsenz auf dem Markt verschaffen. Nicht nur bekannte Werke, sondern auch weniger gängige Musikliteratur und interessante Raritäten - davon viele in Ersteinspielungen - wurden dem Publikum in herausragenden Interpretationen zugänglich gemacht. Dabei ist es unser Bestreben, auch mit Überraschungen Treue zu klassischer Qualität zu beweisen.
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