
Millöcker, Carl - Gasparone
Farblos
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser 'Gasparone'-Mitschnitt ist nicht dazu angetan, Millöckers Operette ohne übliche Retuschen in einer beispielhaften Wiedergabe zugänglich zu machen.
Operetten sind wie Knetmasse – jeder Veranstalter, jeder Produzent formt sie nach seinen Vorstellungen, um sie dann der potenziellen Zielgruppe angemessen präsentieren zu können. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Werk, das für das Publikum der damaligen Gegenwart geschaffen wurde, fast immer eines gewissen Maßes an Anpassung bedarf, damit es nicht ausschließlich der Vergangenheit verhaftet bleibt. Damit ist natürlich nicht die unnötige Modernisierung einer Handlung gemeint, die jeder intelligente Zuschauer in seinem eigenen Kopf bewerkstelligen kann, erst recht aber nicht der entstellende Eingriff, der bis in die 1980er-Jahre etwa auch bei Ballett und Musical gang und gäbe war.
Carl Millöcker (1842–1899) gehörte zu jenen Komponisten, die solche Eingriffe ganz besonders getroffen haben, galt seine Orchestrierung doch seit der sogenannten silbernen Zeit der Operette nach dem Ersten Weltkrieg als altmodisch und unattraktiv. Auch die großen Operettenreihen der Eurodisc und der Electrola in den 1960er- bis 1980er-Jahre griffen weder bei 'Gasparone' noch beim 'Bettelstudent' auf die Originalpartitur zurück. Insofern ist dem Lehár Festival Ischl besonders dafür zu danken, dass man hier zur musikalischen Urgestalt zurückfinden kann – auch wenn die Einlassungen des Bookletautors denn doch zu viel des Guten sind und vom Wesentlichen, dem Werk selbst ablenken. Überhaupt ist das Booklet in gewisser Weise ein Ärgernis. Der Anbiederung an den Leser ist kein Ende, wo wenig mehr Objektivität gut getan hätte. Über die Problematik der Quellenlage (oder die Art der Eingriffe seit Nicht-mehr-Nutzung des Originals) erfährt man viel zu wenig, über die frühe Rezeption des Werkes so gut wie gar nichts. Für cpo-Maßstäbe ist das zu wenig.
'Gasparone' ist eine Räuberpistole, ein Stück Verbrecherromantik, die man ins Theater holt, wie Aubers 'Fra Diavolo'. Eine Schmugglerbande hat den legendären Räuber Gasparone erfunden, um ungestört seinen Geschäften nachgehen zu können. Der Conte Erminio überredet die Schmuggler, die Contessa Carlotta, auf die er ein Auge geworfen hat, zu überfallen, damit er den Befreier spielen könne. Um seinen Rivalen (nicht um die Gunst, sondern um das Geld der Contessa) auszuschalten, lässt Erminio den Sohn des Bürgermeisters Nasoni, Sindulfo, entführen und die Entführer ein Lösegeld fordern. Die Contessa, die sich längst in den Conte verliebt hat, ist aus dem Gefühl der Verpflichtung dem Bürgermeister gegenüber bereit, das Lösegeld zu bezahlen und Sindulfo zu heiraten. Als der Conte bei ihr einbricht und ihr Vermögen entwenden möchte, gibt sie es ihm freiwillig, enttäuscht, den berühmten Gasparone enttarnt zu haben. Nasoni lässt jeden, den er verdächtigt, Gasparone zu sein, verhaften. Nach allerhand Hin und Her finden sich Conte und Contessa, der gierige Bürgermeister bleibt der Düpierte, und Gasparone verabschiedet sich mit einem Abschiedsbrief aufs italienische Festland (die Handlung spielt auf Sizilien um 1820).
So weit, so gut. Doch wie sieht es mit der Umsetzung dieses reichlich unübersichtlichen Stückes aus, das – den Fotos der Produktion nach zu schließen – offenkundig die Regie nicht einfach beim Wort nehmen konnte. Die Dialoge sind völlig unnötig modernisiert. Gerade bei einem Produkt, das mit Werktreue werben will, ist das absolut unakzeptabel; dazu wird gesprochen als wäre eine mindere Laienspielschar am Werke. Wie anders waren doch die Dialogsprechfähigkeiten vor dreißig, vierzig Jahren. Weder die Regisseurin (im Bookelt nicht erwähnt: Dolores Schmidinger) noch die einzelnen Solisten haben hier die genügende Sorgfalt walten lassen.
Marius Burkert hat das Franz Lehár-Orchester passabel im Griff, doch fehlt der Partitur ein wenig der richtige Pfiff – für eine derart überdrehte Operette muss das Tempo fest in der Hand liegen, und dies ist hier schlussendlich viel zu brav. Gleichzeitig sind fast alle Sängerinnen und Sänger der Aufführung vokal nicht so aufgelegt, wie es für eine Referenzeinspielung erforderlich wäre. Der Schmugglerchor klingt locker dahergesungen; da gibt es keine Spannung und keine wirkliche Stimmung. Die beiden Tenöre Thomas Malik (Benozzo) und Tomasz Kovacic (Massaccio) sind stimmlich viel zu wenig stark charakterisiert, Haltetöne der beiden Solisten immer wieder bedenklich zer-tremoliert. Intonatorisch immer wieder nur approximativ, in der Höhe dürftig, in der Melodieführung bedenklich wackelig, aber immerhin von stärkerer Spielfreude ist Gerhard Ernst als Bürgermeister Nasoni – was hätte Benno Kusche aus der Partie gemacht! Selbst Günter Wewel (transponiert) bietet in der Electrola-Einspielung mindestens dreimal so viel musikalische Präsenz wie Ernst. Ähnlich leichtgewichtig Melanie Schneider als Sora. In der (musikalisch stark abweichend in der Steffan-Version) Parallelpartie bei Electrola zeigt Gabriele Fuchs, wie prägnant und musikalisch reich seinerzeit auch Nebenrollen besetzt wurden.
Miriam Portmann nimmt man rein von der vokalen Stimmkultur die Contessa nicht wirklich ab. Zu sehr mangelt es ihr an Farben in der Stimme, an stimmlicher Virtuosität, an Haltefähigkeit, zu oft ist die Intonation durch Vibrato beeinträchtigt; doch immerhin verfügt sie über eine insgesamt gesunde, warme Sopranstimme, die eine musikalische Charakterisierung nicht von vornherein unmöglich macht. Thomas Zisterer als Conte Erminio verfügt über einen ausgesprochen hellen Bariton, dem echte Kavalierstöne nicht zu entlocken sind (geschweige denn etwa Aspekte von Abenteurertum) – was Hermann Prey und Anneliese Rothenberger in hohem Maße an musikalischer Pointierung aufzubieten vermochten (selbst wenn Rothenberger für die Contessa schon zu reif klingt), fehlt hier völlig. Die (bei Steffan gestrichene) kleine Partie der Zenobia ist mit Rita Peterl rein musikalisch insgesamt vielleicht am überzeugendsten besetzt. Peterl verfügt immerhin über eine in ihrem kurzen Couplet rundum gut ansprechende Stimme, sie artikuliert überzeugend; nur ist sie für die Partie einer Duenna (eines alternden Kindermädchens der Contessa) denkbar ungeeignet; sie klingt viel zu jung und viel zu wenig verbiestert.
Die gute Aufnahmequalität ist das einzige, was an dieser Produktion erfreuen kann. Insgesamt ist der Mitschnitt das Dokument einer vertanen Chance einer möglichen Ehrenrettung einer Komposition, die bis dato nur in verstümmelter Form bekannt ist. Angesichts der mangelhaften Produktion in Bad Ischl wird sich daran, so steht zu befürchten, vorläufig kaum etwas ändern.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Millöcker, Carl: Gasparone |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 2 23.07.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
761203781522 |
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Millöcker, Carl |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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