
Strauss, Richard - Intermezzo op. 72
Wo bleibt denn nur die dumme Gans?
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Orchestral ist dieses Strauss-'Intermezzo' vollauf gelungen, aber leider nicht vokal. Da bleiben zu viele Wünsche offen, weil das Leichte des Parlando-Tons nur selten getroffen wird.
Für mich der einprägsamste Eröffnungssatz einer Oper überhaupt: ‚Anna, Anna! Wo bleibt denn nur die dumme Gans?’ Eine ‚bürgerliche Komödie’ nennt Richard Strauss die 1924 in Dresden uraufgeführte Zeitoper 'Intermezzo', von deren Komposition ihm viele seiner Freunde abrieten. Zu privat sei das Thema, zu banal die Situationen. Doch Strauss ließ sich nicht beirren und schuf einen wichtigen Beitrag zu dem damaligen Modegenre Zeitoper, für das auch u.a. Schönberg und Hindemith Werke schufen. Seither wird 'Intermezzo' immer nur sporadisch programmiert, nicht zuletzt weil der extreme Parlandostil viele Musiker an ihre Grenzen führt, während die große Arie ausbleibt. Das soll nicht bedeuten, dass die Oper nicht über viele Reize verfügte, wie spätestens die Münchner Studioproduktion von 1980 unter der Leitung Wolfgang Sawallischs bewiesen haben sollte (mit Lucia Popp, Dietrich Fischer-Dieskau und Adolf Dallapozza in den Hauptrollen). Das Werk war ein großer Erfolg in Glyndebourne (auf Englisch), mit Elisabeth Söderström bzw. Felicity Lott in der weiblichen Hauptrolle (auf CD bzw. DVD veröffentlicht), und auch der Wiener Mitschnitt mit Hanny Steffek, Ferry Gruber und Hermann Prey beweist die Lebenskraft der Komposition.
Nach zwei englischsprachigen Mitschnitten und zwei deutschsprachigen Veröffentlichungen war es längst überfällig, dass eine weitere Produktion in deutscher Sprache vorgelegt würde. Und so war es nicht überraschend, dass der BR-Mitschnitt der Aufführungen vom Juni 2011 vom Richard-Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen zum Jubiläumsjahr auf der silbernen Scheibe vorgelegt würde. Die Produktion lag in den mehr als fähigen Händen Ulf Schirmers, des Leiters des Münchner Rundfunkorchesters und Intendanten und Generalmusikdirektors der Leipziger Oper. Das Münchner Rundfunkorchester hat Schirmer seither künstlerisch auf Höhen gebracht, die seit den 1980er-Jahren kaum mehr erreicht worden waren – von der Repertoirevielfalt her hat das Orchester innerhalb kurzer Zeit das BR-Symphonieorchester mit Leichtigkeit überholt. Schirmer vermittelt perfekt die Doppelbödigkeit der Musik, das Changieren zwischen Ernst, bitterer Ironie und burleskem Spaß – ganz herrlich etwa das ‚Schlittenfahr’-Zwischenspiel – die orchestralen Zwischenspiele sind ganz unzweifelhaft das Beste an der ganzen Interpretation, selbst wenn es in den höchsten Streicherregistern ganz selten kleine Unsauberkeiten gibt.
Das Richard-Strauss-Festival kann sich nur selten international renommierte Solisten leisten – Festivalleiterin Brigitte Fassbaender setzt vielmehr auf begabten Nachwuchs. Die Gefahr in unserer allzu schnelllebigen Zeit ist natürlich, dass dieser Nachwuchs zu früh mit Aufgaben konfrontiert wird, denen er noch nicht völlig gewachsen ist. Die Anforderungen in 'Intermezzo sind enorm. Der Konversationston ist üblicherweise nicht das, was heute unterrichtet wird, Arien im eigentlichen Sinne sucht man vergebens; die ‚bürgerliche Komödie’ lebt durch den ihr eigenen musikalischen und dramatischen Witz. Und das erweist sich in der vorliegenden Produktion durch die Bank als Problem. Keiner der Protagonisten beherrscht die Kunst des Understatements, ist mit genügend Leichtigkeit bei der Sache. Wenn Lucia Popp beim Rodeln ‚Obacht!’ ruft, glaubt man ihr sofort die Unvorsichtigkeit der von ihr Porträtierten. Simone Schneider, so farbenreich sie singt (in dieser Hinsicht deutlich überzeugender als Hanny Steffek unter Keilberth), ist hier viel zu ‚schwergewichtig’ (eigentlich längst kein echter Sopran mehr), viel zu wenig komödiantisch. Markus Eiche ist als Hofkapellmeister Robert Storch (eine kaum verhüllte Parodie Strauss‘ selbst) gleichfalls viel zu ‚heroisch’, viel zu wenig leicht, viel zu wenig charmant – Prey und Fischer-Dieskau zeigen, wie’s geht. Am überzeugendsten ist Eiche in der Szene im Prater, wo er sein dramatisches Talent voll ausspielen kann. Eiches Textverständlichkeit ist vorbildlich – gerade in jenen Passagen, die Schirmer (völlig zu Recht) noch lebhafter nimmt als Sawallisch –, während Schneider allzu häufig ein ‚Knödel in den Gaumen rutscht’ und die Artikulation leidet. Doch nicht nur in der Konsonantenartikulation, auch bei den Vokalen passieren ihr gelegentlich Patzer. ‚Das Bett steht gut’ wird bei ihr zur anzüglichen Phrase, während doch Christine Storch naiv glaubt, Baron Lummer müsse sich in den Bergen von Anfällen starker Migräne erholen. Erst am Schluss der Oper löst sich bei ihr der Knoten, gerade im Intimen. Wenn sie ihr herrliches Piano einsetzen kann, überzeugt sie am meisten, und richtig in Fahrt kommen beide zusammen erst in der Liebesszene am Schluss der Oper.
Im Vergleich zu Adolf Dallapozza unter Sawallisch ist Martin Homrich als Baron Lummer nachgerade ein Florestan, in der Höhe bereits dünn, in der Melodiegestaltung immer wieder viel zu unstet, als sei er durch die Interpretation von zu viel Neuer Musik und zu wenig Mozart bereits vokal deutlich beeinträchtigt. Schneider nicht ganz unähnlich im Timbre ist Martina Welschenbach als Kammerjungfer Anna, und auch Welschenbach produziert viel zu viele saure Töne, als dass ihr Rollenporträt eine ungetrübte Freude wäre. Etwas besser wird die Situation im zweiten Akt – die Skatpartie mit echten Charakterköpfen gelingt außerordentlich überzeugend: Günter Missenhardt (zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits 73 Jahre alt) ist ein angemessen pompöser, etwas abgesungener Kammersänger, Marc Kugel ein ausgesprochen gut charakterisierender Kommerzienrat, Peter Schöne ein eleganter Justizrat, Brenden Gunnell eine wahre Freude als Kapellmeister Stroh. Michael Dries verleiht dem Notar nicht wirklich eigene Kontur, auch Maria Bulgakova dessen Frau nicht. Herrlich der Cameo-Auftritt Brigitte Fassbaenders als Zofe Therese mit Berliner Akzent – selbstironisch lässt sich die Festivalleiterin gerne von ihrer Protagonistin eine ‚blöde Person’ nennen (übrigens hatte sie 1963 die Geliebte des Baron Lummer gegeben – eine ‚Resi’). Dennoch bleiben die Schwächen gerade bei den Hauptrollen in zu weiten Teilen der Partitur unüberhörbar. Der Schluss der Oper allein reicht nicht aus. So bleibt es bei einer – zum Schluss hin sehr inspirierten – Repertoireaufführung, die man sich einmal anhören kann, aber nicht unbedingt im Schrank behalten muss. Selbst ein RAI-Mitschnitt von 1964 (auf Italienisch) ist musikalisch insgesamt befriedigender als die hier vorliegende Live-Montage. Die ausgezeichnete BR-Aufnahmequalität und ein gutes Booklet (mit Librettoübersetzung von Andrew Porter, die u.a. in Glyndebourne bestens zum Einsatz gekommen ist) bieten sorgsame Ausstattung für ein leider nicht ganz so glanzvolles Produkt wie erhofft.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Strauss, Richard: Intermezzo op. 72 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 1 21.06.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
761203790128 |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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