
Bach, Carl Philipp Emanuel - Konzerte & Symphonien
Unterspielt
Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Wiener Haydn Sinfonietta ist im Repertoire der Wiener Klassik beheimatet. Das zeigt sich auch hier in den "Bonus-Tracks".
In Zeiten ausgesprochen kurzlebiger Plattenlabels und noch kürzerer Lieferbarkeit bestimmter Produkte wird es für Ensembles zunehmend schwierig, stetig auf dem Tonträgermarkt präsent zu sein. Die Haydn Sinfonietta Wien hat eine neue Heimat beim schwedischen Label BIS gefunden, wo mittlerweile u.a. die zuvor bei Koch verlegten Schubert-Ouvertüren sowie die Haydn-Divertimenti wiederveröffentlicht wurden. Nun also Carl Philipp Emanuel Bach – von zwei zuvor 2005/6 bei VMS erschienen CDs –, und ergänzt um eine Neuveröffentlichung, Johann Christian Bachs berühmte Sinfonie Es-Dur für zwei Orchester op. 18 Nr. 1.
Nun ist es nicht immer gut, ‚alte Kamellen wieder aufzuwärmen’ – die vier Hamburger Sinfonien Wq 183 liegen komplett u.a. unter Gustav Leonhardt und Ton Koopman vor, und so darf man sich fragen, warum hier nur zwei der vier Sinfonien geboten werden (die Nummern 1 und 4). Koopman koppelt sie mit dem Konzert F-Dur für Fortepiano, Cembalo und Orchester, das hier ebenfalls zu hören ist, und auf weiteren CDs hat er auch die vier Flötenkonzerte vorgelegt, von denen hier eines repräsentiert ist. Leonhardt koppelt drei Cellokonzerte mit einer Sinfonie aus Wq 182 – also ebenfalls ein attraktiveres Paket als das hier bei BIS vorgelegte.
Doch was schlussendlich natürlich zählt, ist die Qualität der Interpretationen. Manfred Huss und seine Haydn Sinfonietta sind kein historisch informiert aufspielender Klangkörper, der Extreme auslotet. Dennoch überzeugt sie bei den Sinfonien hier mehr als das Amsterdam Baroque Orchestra. Allerdings gelingt es dem Ensemble nicht, die Referenzeinspielung mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment zu verdrängen. Dort ist der Mittelsatz ein veritables 'Largo', das Finale funkelt vor Witz und Charme, wo die Haydn Sinfonietta sorgfältig ausmusiziert, aber nicht außerordentlich agiert. Die besonderen Klangfarben und extraordinären Harmonien von Bachs wichtigen Kompositionen, die als Summe seines orchestralen Schaffens bezeichnet worden sind (selbst Max Reger hat sich intensiv mit dem Opus auseinandergesetzt), werden zwar ausgelotet, doch rundet Leonhardt seinen Klang schlussendlich überzeugender, seine Interpretationen wirken frischer, wärmer, lebensvoller (obschon seine Tempi nicht schneller sind als Huss‘).
Das Konzert F-Dur Wq 46 für zwei Tasteninstrumente und Orchester hat Ton Koopman mit zwei Cembali eingespielt. Die Energie seiner Einspielung ist unüberhörbar, doch bleibt die Musik in gewisser Weise etwas zahm, weil eine besondere Klangfarbe fehlt. Diese bieten Huss‘ Solisten Alexei Lubimov und Yury Martynov mit zwei Hammerklavieren aus der Zeit um 1780 (Nachbauten nach Walter und Schantz) auf. Dafür aber bleibt die Interpretation klassizistisch elegant, wird die Frische von Bachs Musik etwas ‚unterspielt’. Sozusagen durch die Brille der Klassik betrachten Huss und seine Musiker, mit dem Solisten Reinhard Czasch, auch das Flötenkonzert a-Moll Wq 166. Dieser ‚ahistorische’ Zugang hat durchaus seinen Reiz – für Puristen ist es allerdings nichts. Man merkt eben stets, dass Huss und die Haydn Sinfonietta Wien im Grunde ein an Musik der Wiener Klassik ausgerichteter Klangkörper sind.
Eine direktere Brücke zur Wiener Klassik stellt aber nicht Carl Philipp Emanuel Bach dar, auch wenn Leopold Mozart 1775 bei Breitkopf alle lieferbaren Werke des Bach-Sohnes bestellte, sondern der jüngere Bruder Johann Christian Bach, der der unmittelbaren Vorstufe zur Wiener Klasse zuzuzählen ist, ohne ein Vorklassiker im eigentlichen Sinn zu sein. Die Sinfonie für zwei Orchester entstand ebenfalls um 1775 – die antiphonalen Effekte waren in jener Zeit durchaus beliebt und Bach ein wichtiger Exponent. Hörbar liegt der Haydn Sinfonietta Wien dieses Werk deutlich besser als die Werke des älteren Bach-Bruders. Hier findet sich endlich, am Ende der CD, quasi in den Bonus-Tracks (sie wurden gleichzeitig mit den beiden Hamburger Sinfonien eingespielt, blieben aber unveröffentlicht), jene Frische, jene Lebhaftigkeit, die die Musik der Wiener Klassik so auszeichnet. Doch reicht dies nicht, um den insgesamt vermittelten Eindruck einer eher verhaltenen Interpretation vollständig wegzuwischen. Auch die insgesamt sehr gute Aufnahmetechnik und ein umfangreiches Booklet können nicht helfen, die Produktion zur Referenzeinspielung zu erheben.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Bach, Carl Philipp Emanuel: Konzerte & Symphonien |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
BIS Records 1 11.06.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
7318590020982 |
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BIS Records Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees. Mehr Info... |
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