
Casella, Alfredo - Sämtliche Klavierwerke
Feine Farbvaleurs
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Alfredo Casellas Klavierschaffen ist vielschichtig und birgt eine ganze Menge interessanter Werke. Michele D'Ambrosio hat sie für Brillant aufgenommen - in einer Weise, die bereits das Label im Namen trägt.
Genau den rechten Ton für die Musik Alfredo Casellas (1883–1947) zu finden, ist gar nicht einfach. Nach Studien in Paris (bei Fauré) und Russland eignet seiner Musik nicht selten ein eher internationaler, kosmopolitischer Charakter. So bedarf es Interpreten, um die Eigenheiten des Komponisten herausarbeiten. Das fällt besonders schwer in einem Werk wie der Pavane op. 1 (1902), deren Nähe zu Fauré unüberhörbar ist. Dennoch ist der ‚eigene Ton’ in Casellas Klaviermusik durchaus unüberhörbar, und es wäre mehr als ungerecht, stellte man die Anlehnungen an verehrte Vorbilder über die eigene Invention. Auch die Variationen über eine Chaconne op. 3 (die sowohl italienische [‚La folia’] als auch englische und deutsche [Reger] Implikationen aufweist) haben durchaus Eigenart und sind hier mit höchster Delikatesse und Virtuosität vorgestellt. Der Pianist Michele D’Ambrosio vermittelt einen klaren Einblick in Casellas kompositorische Eigenart, die in anderen Gattungen nicht immer ganz so klar zum Vorschein kommt. Casellas Toccata op. 6 (1904) gehört noch dem ‚Frühwerk’ zu (seine Verehrung für Debussy ist nicht nur in diesem Werk deutlich gespiegelt), lässt aber verstehen, warum Casella als Pianist in Paris so hoch angesehen war (eine Zeitlang war er Assistent Alfred Cortots). Mit einer Sarabande im traditionellen Sinne hat Casellas Sarabande op. 10 (1908) nur mehr wenig zu tun – vielmehr wendet sich der Komponist hier eher in Richtung des Lieds ohne Worte oder Charakterstückes. Die herrlichen, auf Fauré aufbauenden, diesen aber weit hinter sich lassenden Melodiebögen führen weit in die Musik des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts hinein, ohne allzu absichtsvoll avantgardistisch sein zu wollen. Die 'Barcarola' op. 15 (1910) hingegen vermittelt die qua Genre erforderliche Grundstimmung ganz in traditioneller Weise, ‚avec un peu d’Espagne autour’, wie es bei Ravel heißt.
Rund die Hälfte von Casellas Klavierschaffen entstand vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs und gehört noch einer Klangwelt an, die danach nur mehr in einfacher oder mehrfacher Brechung musikalisch weiterleben sollte. Das 'Notturnino' (1909) ist – nicht unähnlich Faurés Nocturnes – eine Art ‚Abschiedsgesang’ an die ‚gute alte Zeit’; eine Komposition voll feiner Chromatismen, die an Szymanowski und Reger denken lassen, die aber auch bereits die Weiterentwicklungen im 20. Jahrhundert erahnen lassen. Berühmt-berüchtigt ist Casellas 'À la manière de ... ' op. 17 (und op. 17bis) (1911/1913-4) – Kompositionen, die weniger echten Hommage-Charakter tragen als ihnen vielmehr auch eine gehörige ironische Brechung innewohnt – das Stück ‚à la manière de Richard Strauss’ etwa trägt den Titel 'Symphonia molestica' (Unfug-Sinfonie) und bietet Motivzitate, die aber teilweise fast bis zur Unkenntlichkeit verknappt und so ihres Sinnes beraubt werden. Die Brahms-Parodie mag nicht so geglückt sein wie die Parodien der französischen Komponisten (Fauré, Debussy, Franck, d’Indy, Ravel), während die Wagner-Parodie ggf. auch als verworfener originaler Particellentwurf durchgehen könnte.
Was sich in op. 17bis schon ankündigt, die Erweiterung von Casellas Spektrum zur Polytonalität, kommt klar zum Vorschein in seiner umfangreichsten Klavierkomposition überhaupt, den teilweise auf Busoni aufbauenden, weitgehend durchaus eigenständigen, außerordentlich klangsensualistischen '9 Pezzi' op. 24 (1914). Auch das ‚musikalische Gedicht’ 'A notte alta' op. 30 (1917) gehört zu Casellas substanziellsten Klavierkompositionen. Jazzige Anklänge finden sich in der Sonatina op. 28 (1916). Leichtgewichtiger sind die '2 Contrastes' op. 31 (1916-8), das erste Stück eine Reverenz an Chopin, das zweite eine modernistische Hommage an die italienischen Futuristen. Stärker rhythmisch geprägt ist die 1918 entstandene Suite 'Inezie' op. 32, während Modi im Zentrum der 'Pezzi infantili' op. 35 (1920) stehen.
Zwei kürzere Werke, 'Due Canzoni popolari italiane' op. 47 und 'Due ricercari sul nome B-A-C-H' op. 52, eine weitere Komposition, die Busoni nicht fern steht, die aber auch etwa Nielsen oder Sorabji zur Seite gestellt werden kann, leiten über zu Casellas letztem schwergewichtigem Klavierwerk, 'Sinfonia, arioso e toccata' op. 59 (1936), einer Komposition, die leicht Thema einer umfangreichen Forschungsarbeit sein dürfte. Gegen Casellas Lebensende hin, während des Zweiten Weltkriegs, entstanden zwei letzte Klavierkompositionen (neben Studien über Durterzen), das Ricercar über den Namen 'Guido M. Gatti' und die 'Sei Studi' op. 70, letztere gewissermaßen ein summum opus des Pianistentums und der Virtuosität Casellas.
Michele D’Ambrosio findet wie gesagt genau den rechten Ton für jedes einzelne Stück. Er stellt seine Virtuosität ganz in den Dienst der Musik und gelangt zu rundum überzeugenden, farben- und nuancenreichen Resultaten. Die Aufnahmetechnik unterstützt sein klar durchhörbares Spiel in nahezu optimaler Weise (nur ist gelegentlich die Pedaltechnik etwas zu laut zu hören). Das ausführliche Booklet bietet eine äußerst erhellende Einführung leider nur in englischer Sprache, doch dafür in einem Umfang, der in einem mehrsprachigen Booklet bei Brilliant nicht finanziell vertretbar gewesen wäre.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Casella, Alfredo: Sämtliche Klavierwerke |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 3 27.06.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
5029365928120 |
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