
Schubert, Franz: Entdeckungen Bearbeitungen - Adrast: Fragmente eines Singspiels
Zu viel gesäuselt
Label/Verlag: ARS Produktion
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Diese Zusammenstellung von Raritäten aus dem vokal-orchestralen Schaffen von Franz Schubert kann konzeptionell und interpretatorisch den Erwartungen nicht gerecht werden.
Als Opernkomponist ist Franz Schubert bis heute immer noch ein eher erfolgloser Komponist, auch wenn in den vergangenen rund fünfunddreißig Jahren nahezu alle seine Bühnenwerke auf Schallplatte eingespielt worden sind. Ob aber die ‚großen Schinken’ 'Alfonso und Estrella' und 'Fierabras' oder die Singspiele oder Einakter, ein weitgehendes Schattendasein führen sie fast alle bis heute. Anders als die von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vorgelegte erste Gesamteinspielung (2012), die das Fragmentarische des Werks in den Vordergrund rückt (der Band der Neuen Schubert-Ausgabe erschien 2010), stellt sich die hier vorliegende Einspielung von 'Adrast' D 137 (ca. 1819/20) bescheideneren Herausforderungen. Sie versucht, das von Schubert Vollendete ins beste Licht zu rücken – die sieben schon in der Alten Schubert-Ausgabe gedruckten Stücke sowie ein weiteres. Schon 1843 galt das Libretto des Singspiels als verschollen, eine Rekonstruktion des Werks, das wohl auf Herodot basiert, ist unmöglich.
Den Titelpart des Singspiels wie auch jenen des Prinzen Atys übernimmt der junge Tenor Martin Nagy. Leider ist seine lyrische Stimme reichlich wackelig. Man spürt allzu sehr, dass es ihm noch an Bühnenerfahrung mangelt. Gerade bei essenziell lyrischer Musik wie häufig in Schuberts Singspielen schadet ein etwas dramatischerer Zugriff selten – und anämisches Singen ruiniert jedweden Effekt. Leider singt Nagy überdies immer wieder etwas zu tief, was den Gesamteindruck schwer beeinträchtigt. Der Bariton Steffen Lachenmann übernimmt die Rolle von Atys‘ Vater Krösus. Seine Interpretation gerät aber leider zu einer bemüht rhetorischen Wiedergabe der Musik denn einer Rollengestaltung. Dies ist eine in letzter Zeit allzu häufig zu beobachtende Tendenz – eine Sänger-Persönlichkeit, wie sie vor noch dreißig oder vierzig Jahren häufig anzutreffen war, wird heute immer seltener. Auch der Kammerchor Potsdam säuselt mehr statt dass er die Musik wirklich zum Leben erweckt; auch die Textverständlichkeit wäre verbesserungsfähig.
Im Bereich der Schubert’schen Instrumentalmusik ist durch die historisch informierte Aufführungspraxis neue Frische entdeckt worden. Den Brandenburger Symphonikern gelingt es nicht ganz, diese neuen Qualitäten kontinuierlich zu nutzen: Vielmehr bestätigt das unebene Spiel (Blechbläser zu laut, immer wieder unsaubere Intonation und unpräzise Einsätze) zwar das gute Bemühen, das aber nicht zu einer hervorragenden Einspielung gereicht hat. Auf das Sopransolo der Arianys hat die Ausgabe verzichtet, so erklärt sich umso weniger, wozu die SACD eine Sopranistin braucht.
Die zweite Hälfte der SACD wird nicht etwa mit einem anderen bislang noch nie auf CD erschienenen anderen Opernfragment Schuberts gefüllt (etwa 'Der Spiegelritter' D 11), auch nicht mit anderen Opernraritäten aus dem Schubert’schen Oeuvre, sondern mit Orchestrierungen von Schubert-Liedern durch Ernst Naumann, Johannes Brahms und Hector Berlioz, die zumeist schon auf CD greifbar sind. So attraktiv das Gesamtergebnis klingen könnte, so wenig überzeugend ist diese Zusammenstellung, ist man als Hörer vornehmlich an Schuberts Opernschaffen interessiert.
Vermutlich eine CD-Erstveröffentlichung ist Ernst Naumanns Orchestrierung der Szene aus 'Faust' D 126 ('Wie anders, Gretchen, war dir’s'). Hier überzeugt Lachenmann mehr als im Singspielfragment, chargiert weniger – und ein Vergleich zu dem Gegenpart in Schumanns 'Faust-Szenen' lohnt sich. Allerdings ist die Stimmung sogleich zerstört, wenn Barbara Berens einsetzt – alles andere als ein Gretchen, vielmehr eine klanglich schon nicht mehr ganz frische ‚Jugendlich-Dramatische’, der das Idiom rein vokal schon denkbar fern zu liegen scheint und bei der die Textverständlichkeit der Konsultation des Booklets bedarf. Leider beeinträchtigt auch der Chor durch viel zu unpräzisen Beitrag die Szene, die sonst ausgesprochen dramatisch hätte werden können.
Der weitere Beitrag Berens‘ auf der SACD ist Ellens Zweiter Gesang D 838, für Sopran, Frauenchor und Blasinstrumente bearbeitet von Johannes Brahms. Véronique Gens hatte diese Bearbeitung vor rund fünfzehn Jahren in Dresden unter Michel Plasson aufgenommen; die hier vorliegende Neueinspielung bleibt meilenweit hinter der älteren Aufnahme zurück, seien es die Solistin, der Chor oder die Bläser. Berens ist auch Solistin in Berlioz‘ Orchestrierung des 'Erlkönig' D 328 (2002 durch Anne Sofie von Otter und das Chamber Orchestra of Europe unter Claudio Abbado eingespielt) – auch hier sind Intonationsprobleme unüberhörbar.
Bleiben fünf Schubert-Lieder, die Brahms orchestriert hat. Drei von diesen sind ebenfalls durch Claudio Abbado eingespielt worden, zwei von ihnen mit Thomas Quasthoff (übrigens Lachenmanns Lehrer). Lachenmann singt die Lieder mit hohem Oratorienpathos – in beiden Vergleichsfällen ('Memnon' D 541 und 'An Schwager Kronos' D 369) ist er Quasthoffs Interpretation durchaus ebenbürtig. 'Geheimes' D 719 hat unter Abbado Otter gesungen, die das Lied natürlicher angeht als der Bariton, der hier auch (wie auch in 'Greisengesang' D 778) intonatorisch unsicherer ist; in 'Gruppe aus dem Tartarus' D 583 überzeugt Lachenmann deutlich stärker als das Orchester, das immer wieder etwas unsauber klingt.
Angesichts der eher mittelmäßigen Darbietung nivelliert sich so leider die Bedeutung dieser Einspielung. Da kann auch der brillante SACD-Klang und ein kaum mehr als passables Booklet nicht helfen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schubert, Franz: Entdeckungen Bearbeitungen: Adrast: Fragmente eines Singspiels |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ARS Produktion 1 06.06.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
4260052381144 |
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Schubert, Franz |
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