
Rachmaninoff, Serge - Klaviersonaten Nr. 1 & 2
Getrennte Dimensionen
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die chinesische Pianistin Xiayin Wang überwindet den steilen Pass der beiden Rachmaninoff-Sonaten vor allem im Hinblick auf die mehrstimmige Auffächerung des dichten Klaviersatzes auf beachtliche Weise.
Die chinesische Pianistin Xiayin Wang hat offenbar ein Faible für Hochvirtuoses. Für ihr Debüt beim britischen Label Chandos suchte sie sich Bearbeitungen des legendären Tastenwirbelwinds Earl Wild aus. Weiter ging es mit einer beachtlichen Rachmaninoff-Platte. Nach einem Ausflug zu amerikanischen Klavierkonzerten, der allerdings weniger glücklich verlaufen ist, kehrt sie nun zum russischen Repertoire zurück. Wieder ist es eine reine Rachmaninoff-Einspielung, diesmal eine veritable Tour de force. Xiayin Wang hat sich die Aufgabe gestellt, den monumentalen Pass der beiden Klaviersonaten zu überwinden. Immerhin gibt es nach der kräftezehrenden Klaviersonate Nr. 1 d-Moll op. 28 ein Hochplateau, auf dem man ein wenig verschnaufen kann: drei beliebte Preludes aus op. 23. Auch für den letzten Aufstieg zum Gipfel wählt die Chinesin den kürzeren von beiden möglichen Wegen: Sie spielt Rachmaninoffs 1913 entstandene b-Moll-Sonate op. 36 in der revidierten, deutlich gestrafften Fassung aus dem Jahr 1931.
Xiayin Wang erscheint gegenüber ihrer ersten Rachmaninoff-Einspielung künstlerisch noch einmal ein ganzes Stück gereifter. Freilich, über virtuose technische Möglichkeiten verfügte sie bereits vor wenigen Jahren – und die setzt sie auch hier wieder in zum Teil schwindelerregender Manier ein. Das verschafft ihr den Freiraum, zu gestalten, während andere Kollegen oder Kolleginnen mit den technischen Anforderungen vollauf beschäftigt sind. Diesen Freiraum nutzt sie diesmal vor allem in der vertikaler Dimension: Die intrikate Mehrstimmigkeit, die in Rachmaninoffs opulenter d-Moll-Sonate unter pianistisch forderndem Rankenwerk versteckt ist, will erst einmal entdeckt, dann richtig verstanden und nicht zuletzt auch noch sinnvoll vermittelt werden. Das gelingt Xiayin Wang über weite Strecken auf wirklich beachtliche Weise. Sowohl in den pianistisch anstrengenden schnellen Außensätzen der Sonate op. 28, in denen der polyphone Tonsatz bis zum Äußersten des überhaupt Möglichen geführt wird, als auch im 'Lento'-Mittelsatz sind die Stimmen zumeist klar, sachdienlich und ausdrucksvoll in eine überzeugende Balance gebracht. Das gilt in gleicher Weise für die ebenfalls dreisätzige Klaviersonate Nr. 2 b-Moll, in der Xiayin Wang Präzision der Linienführung mit technischer Bravour zu verbinden weiß.
Bei aller Finesse in der vertikalen Auffächerung des dichten Klaviersatzes ist aber die horizontale Dimension nicht in gleicher Weise überzeugend gelungen. Rachmaninoff gibt freilich seinen Interpreten mit dem Riesenklotz der d-Moll-Sonate eine schwere Aufgabe, das ist klar. Doch gerade vor dem Hintergrund von Wangs gestalterischer Differenzierung in der Vertikalen fällt der weniger gut gelungene Umgang mit Spannungslinien übers Satzganze auf. Schon in den ersten Takten konstruiert die Pianistin einen riesigen Kontrast, der dann im weiteren Verlauf mit Kraft ausformuliert werden muss. Xiayin Wang bleibt da an mancher Stelle expressiv etwas im Mittelbereich, wo mancher Tenuto-Mittelstimme mehr Gravität und ein Gewicht, das den musikalischen Fortlauf gewissermaßen aufhält, gut vertragen könnte. In agogischer Hinsicht geht die Chinesin mitunter auf sinnvolle Weise frei mit dem Notentext um, doch könnte gerade im Hinblick auf Spannungsbögen, die über ganze Themenkomplexe und Satzphasen hinweg gespannt sind, mehr Stringenz walten. Wie sich Spannungswellen im Großen mit einem glasklaren Spiel, das auch den Scherzando-Charakter der Musik unterstreicht, auf schlüssige Weise verbunden werden kann, machte etwa Olli Mustonen in seiner fulminanten Einspielung der d-Moll-Sonate für Ondine deutlich.
Wie in einem Brennspiegel zeigt sich das Dilemma von Xiayin Wangs Rachmaninoff-Deutung im oft aufgeführten g-Moll-Prelude op. 23/5. Da spielt Wang in bemerkenswert schneller Gangart ein wenig zu stark auf die Taktschwerpunkte hin und hängt die beiden Sechzehntel des daktylischen Grundrhythmus zu widerstandslos an die Achtelnote, wo sie doch gerade in Steigerungspassagen schrappnellhaften Charakter entwickeln könnten. Hinzu kommt ein in oberen dynamischen Regionen spitzer und etwas hohler Klang. Da wäre an vielen Stellen klangliches Volumen eher wünschenswert; was zu hören ist, ist artikulatorische Attacke, einhergehend mit einem recht dünnen Klang.
Diesen Einwänden zum Trotz ist Xiayin Wangs neue Rachmaninoff-Einspielung hörenswert. Wer auf die Vertikale achtet, kann hier mehr hören als bei einer Reihe anderer Aufnahmen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Rachmaninoff, Serge: Klaviersonaten Nr. 1 & 2 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 02.05.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
095115181621 |
![]() Cover vergössern |
Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Von Florian Schreiner zu dieser Rezension empfohlene Kritiken:
-
Geheimnislos: Xiayin Wangs Auseinandersetzung mit drei Klavierwerken von Sergej Rachmaninoff lässt einige Wünsche offen - sowohl in interpretatorischer wie auch in klanglicher Hinsicht. Weiter...
(Dr. Tobias Pfleger, 08.07.2012)
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Chandos:
-
Intereuropäischer Austausch: Nach vielen Jahren endlich wieder einmal eine Orgelproduktion aus der St Paul’s Cathedral London. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Weinberg für den Mainstream: Fulminante, aber emotional wenig involvierte erste Folge einer neuen Gesamteinspielung von Mieczyslaw Weinbergs Streichquartetten. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Harmonisches Echo: Abseits der gängigen und hierzulande viel zu selten gespielten Operetten Arthur Sullivans bietet dieses Doppelalbum die Chance, den 'anderen', nämlich den ernsteren Sullivan zu entdecken. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
Weitere CD-Besprechungen von Florian Schreiner:
-
Ordnende Hand: Interpretatorisch lässt sich Paavo Järvis Einspielungen mit dem Cincinnati Symphony Orchestra einiges abgewinnen. Klanglich gibt es aber bei einem großen Teil erhebliche Mängel. Weiter...
(Florian Schreiner, )
-
Sattes Fundament: Diese äußerst reichhaltige Sammlung historischer Aufnahmen eines Großteils des Schaffens von Carl Nielsen ist vor allem für jene, die Nielsen aus jüngeren Aufnahmen schon einigermaßen kennen, eine unverzichbare Bereicherung. Weiter...
(Florian Schreiner, )
-
Wiederentdeckung des Gesangs: Das Ensemble Armoniosa bringt Giovanni Benedetto Plattis Triosonaten zum Funkeln. Mitreißend vom ersten bis zum letzten Ton. Weiter...
(Florian Schreiner, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Aufgetürmter Neubau: Telemanns Michaelis-Oratorium 1762 zeigt den Hamburger Komponisten auch in seinem letzten Lebensjahrzehnt auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Zwei Komponisten des Hochbarocks begegnen einander: Heinrich Ignaz Franz Biber und Georg Muffat lebten etwa zur selben Zeit und könnten sich in Salzburg begegnet sein. Dora Szilágyi und Flóra Fábri spüren Verwandtes und Unterschiede in der Kammermusik beider Komponisten auf. Weiter...
(Diederich Lüken, )
-
Noch immer avanciert: Das Chorwerk Ruhr und die Bochumer Symphoniker präsentieren Musik von Stockhausen und Kagel mit Überzeugung und Vermögen – als noch immer relevante Positionen und kennenswerte Etappen musikalischer Entwicklung. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Portrait

Das Klavierduo Silver-Garburg über Leben und Konzertieren im Hier und Heute und eine neue CD mit Werken von Johannes Brahms
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich