
Haydn, Joseph - Die Jahreszeiten
Delikat
Label/Verlag: Phi
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Joseph Haydns 'Jahreszeiten' in einer sehr schönen Deutung durch Philippe Herreweghe und sein Collegium Vocale Gent das Orchestre des Champs-Elysées und tolle Solisten.
Joseph Haydns Oratorium 'Die Jahreszeiten' ist als Nachfolgearbeit der weit berühmteren 'Schöpfung' in der heutigen Wahrnehmung ein Werk der vermeintlich zweiten Reihe. Dabei spricht die musikalische Schönheit, sprechen Einfallsreichtum und expressives Können eine deutliche Sprache: In den 'Jahreszeiten' geht es nicht weniger inspiriert zu. Vielleicht trifft das nicht an allen Stellen auf das von Gottfried van Swieten aus dem Englischen adaptierte Libretto in gleichem Maße zu, das in seiner naturalistischen Schilderung des Jahreszyklus im ländlichen Leben Haydns Satzkunst nicht in allen Nuancen auf gleichem Niveau entspricht. Haydn mochte sich die pastorale Naturhaftigkeit der Textvorlage nicht recht zueigen machen, so will es immer wieder scheinen.
Der Qualität der musikalischen Umsetzung tut das keinen Abbruch: Da finden sich funkensprühende Ideen, sind die Arien immer wieder gespickt mit drastischen, auch dramatischen, lautmalerischen Elementen – das ist abwechslungsreich und affektiv stark. Vielleicht gibt es weniger Eingängiges, ist das ‚Ohrwurmpotenzial‘ kleiner als bei der Schöpfung. Das mag einer der Gründe sein, warum die 'Jahreszeiten' heute weniger präsent sind im Konzertleben als es die 'Schöpfung' ist. Doch auch das aus der Distanz etwas naiv und wenig überzeitlich wirkende Libretto reizt sicher weniger. Und: Wer soll das machen? Glaubensstrenge Kantoren mögen die weltlichen Züge abhalten, anderen dürften die chorischen Anteile vielleicht etwas zu gering dimensioniert sein – auch wenn es wirklich attraktive Einzelstücke wie den ausgelassenen Schlusschor des Herbstes gibt.
Bewährte Kräfte mit Inspiration
Philippe Herreweghe hat jetzt eine Einspielung der 'Jahreszeiten' vorgelegt, getragen von seinem Collegium Vocale Gent, dem Orchestre des Champs-Elysées und drei ganz starken Solisten: Christina Landshamer singt den Sopran, Maximilian Schmitt Tenor und Florian Boesch Bariton.
Herreweghes feinsinnigen, höchst differenzierten Ansatz greift der Chor wie stets überzeugend auf: In agilen, leichten Registern, mit einem eleganten Grundklang tritt er immer wieder selbstverständlich hinzu, setzt er die Sphäre des klar konturierten solistischen Musizierens gekonnt fort, ohne je als bloßer Klangverstärker zu wirken – für viele Chöre gerade bei Haydn eine eminente Gefahr. Das Orchester bietet ein luzides, sehr gut gestaffeltes Tutti und verfügt über einen Ensembleklang von einiger Expansionsfähigkeit. Die Register sind geschlossen und präzis gefasst, wirken auch artikulatorisch reich differenziert, von knapp konturierten Impulsen bis zu elegant durchgestalteten Linien – alles ohne überdrehtes Feuerwerk, eher in einem fein austarierten Tableau. Immer wieder sind erlesene Soli zu hören, beispielhaft mag der Oboist Marcel Ponseele genannt sein. Auch expressiv lässt sich ein breites Spektrum hören, vom feinen Strich bis zu voller Expansion. Der Basso continuo wird von Cello, Kontrabass und Fortepiano elegant und in knapper Artikulation beigesteuert.
Das Vokalterzett wird von Christina Landshamer angeführt: Sie bringt ihren schlanken, wunderbar leichten und beweglichen Sopran mühelos zur Geltung, ohne Force und in klarer Diktion. Maximilian Schmitt ist seit einiger Zeit eine der interessantesten Tenorstimmen im oratorischen Fach: Er vereint auf fast beiläufige, natürliche Weise einen blendend fokussierten Klang, vollendet verblendete Register und eine leichte Diktion. Florian Boesch ergänzt das harmonische Trio mit ausgeglichener Stimme und feinen Registerübergängen, mit insgesamt eleganter Tongebung auf der Basis eines kernigen Grundklangs.
Das Klangbild wirkt erwärmt, mit feiner Präsenz aller Anteile. Vor allem reduzierte Besetzungen geraten hervorragend, mit feinen Porträts einzelner Instrumentengruppen. Im Tutti scheinen tiefe Streicher und Pauken gelegentlich zu unpräzis, vielleicht zu wenig fokussiert. Dennoch überzeugt das enorm farbenreiche Gesamtbild.
Es ist dies eine feinsinnige, im besten Sinne klassische Deutung von Philippe Herreweghe: Mit vokaler und instrumentaler Delikatesse, in einem bemerkenswert modulationsfähigen Ensembleklang. Mag gerade im Herbstteil des Oratoriums manchem Hörer die Drastik des Ausdrucks nobel gemildert scheinen, reiht sich diese Produktion doch nahtlos insgesamt nahtlos in die Deutungen klassischer und romantischer Großwerke ein, die Herreweghe in den vergangenen Jahren vorgelegt hat.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Haydn, Joseph: Die Jahreszeiten |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Phi 2 02.05.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
5400439000131 |
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Phi Der griechische Buchstabe φ (PHI - die Übereinstimmung mit den Initialen von Philippe Herreweghe ist nicht ganz zufällig) versinnbildlicht die Ambitionen des Labels. Er ist das Symbol für den goldenen Schnitt, für die Perfektion, die man in den Staubfäden der Blumen findet, für griechische Tempel, Pyramiden, Kunstwerke der Renaissance oder für die Fibonacci-Zahlenfolge. Seit der frühesten Antike steht dieser Buchstabe im eigentlichen Sinne für Kontinuität beim Streben nach ästhetischer Perfektion. Mehr Info... |
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