
Kahn, Robert - Sämtliche Klaviertrios
Musik vor der Katastrophe
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Der hochengagierte Einsatz des Kölner Hyperion Trios für Robert Kahns Klaviertrios ist geradezu exemplarisch.
Ein opulentes Gemälde von Max Slevogt schmückt das Cover der vorliegenden Doppel-CD, darstellend einen in voller Blüte stehenden Garten am Wannsee nebst majestätischem Pfau. Dieses Gemälde spiegelt auf das Optimalste die hier vorliegenden vier Klaviertrios von Robert Kahn (1865–1951), die allesamt vor dem Ersten Weltkrieg entstanden und noch den Geist der scheinbar ‚heilen Welt‘ der Wilhelminischen Ära atmen. Kahn, Schüler u.a. von Ernst Frank, Emil Sauer, Vinzenz Lachner, Friedrich Kiel, Joseph Rheinberger, Heinrich Schwartz und Woldemar Bargiel, entstammte einer wohlhabenden Mannheimer Familie, und die finanzielle Sicherheit, in der er aufwuchs, spiegelt sich auch in dem musikalischen Stil. Wir haben hier keinen Komponisten, der auf Biegen und Brechen neue Wege gehen möchte, keinen, der das Rad neu erfindet. Manche Interpreten koppeln seine Musik gerne mit jener von Brahms. Das heißt nicht, dass er epigonal sei – im Gegenteil ist seine Musik ausgesprochen klangfreudig und inspiriert. Man muss nicht immer modern sein; gerade die Mischung der Geschmäcker trägt einen Zeitstil, der lange Zeit von der Musikgeschichte viel zu häufig zugunsten des ‚Leuchtturmstils‘ einiger weniger vernachlässigt wurde.
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg meinte es nicht gut mit Kahn. Auch wenn er seit 1916 Mitglied der Preußischen Akademie der Künste war, bedeutete dies naturgemäß auch, dass seine Musik von den folgenden Generationen als eher akademisch abgetan wurde. 1934 musste er von den Nazis in die Emigration nach England flüchten, und seine Musik geriet in Vergessenheit. Erst seit rund zehn Jahren werden seine Lieder und seine Kammermusik langsam wiederentdeckt – jene Bereiche, in denen Kahn am fruchtbarsten war.
Die drei ersten Klaviertrios, 1893, 1900 und 1902 entstanden, sind jeweils dreisätzig, teilweise ausgesprochen virtuos, teilweise von beeindruckender lyrischer Tiefe oder Leidenschaft, teilweise von überbordendem Humor. Jeden Moment spürt man, wie gut Kahn sein Medium beherrschte, wie sorgsam er Steigerungen aufzubauen wusste, wie klug er thematisches Material verarbeitete; immer wieder gibt es herrliche Momente zu entdecken. Das vierte Trio entstand um 1914, wurde aber erst 1922 veröffentlicht. Der Kopfsatz des fünfsätzigen Werkes, das Kahn als serenadenhaft bezeichnete, beginnt über weite Teile wie eine Art melancholische Reminiszenz an die vergangene Zeit, die nie mehr wiederkommen wird. Die weiteren Sätze sind von der Stimmung her weitgehend positiver, doch wird ihr lichter Tonfall gelegentlich durchaus gebrochen – und sei es im zweiten Scherzo nur durch das geringfügig verhaltenere Tempo. Stets bleibt Kahn ein ausgesprochen diatonischer Komponist; neben dem reichen Chromatismus mancher seiner Zeitgenossen vielleicht einmal eine überaus erfreuliche Abwechslung. Die Kontrapunktik des Finales bildet den äußerst befriedigenden Höhepunkt und Abschluss eines attraktiven Werkkorpus, das sich im Konzert gut auch mit großen Namen kombinieren lässt.
Bei dem Hyperion Trio, bekannt für unbekannteres oder vernachlässigtes Repertoire gerade auch der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist Kahns Musik in den allerbesten Händen. Von den ersten Takten hört man, dass den drei Musikern die Werke am Herzen liegen, dass sie sich aufs Liebevollste für sie einsetzen. Oliver Kipp (Violine), Katharina Troe (Violoncello) und Hagen Schwarzrock (Klavier) sind bestens aufeinander eingestimmt und bieten exemplarische Interpretationen, die aufnahmetechnisch insgesamt sehr gelungen eingefangen sind (nur in wenigen Momenten scheint die Violine hinter dem Violoncello aufnahmetechnisch einen Hauch zurückzustehen zu müssen). Ein ausgezeichnetes Booklet rundet die ausgesprochen empfehlenswerte Veröffentlichung ab.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Kahn, Robert: Sämtliche Klaviertrios |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 2 23.04.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
761203779123 |
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Kahn, Robert |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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