
Arriaga, Juan Crisostomo de - Sämtliche Streichquartette
Delicatessen
Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Quartett La Ritirata erkundet das Schaffen Juan Crisóstomo de Arriagas mit Verve und Stilsicherheit auf historischem Instrumentarium. Das Ergebnis ist tadellos.
Keine zwanzig Jahre wurde der baskische Geiger und Komponist Juan Crisóstomo de Arriaga (1806–1826) alt. Sein naturgemäß überschaubares Œuvre (26 Werke sind bekannt) ist in mancher Hinsicht schon ausführlich erkundet, allen voran die drei Streichquartette (das einzige 1824 zu Lebzeiten gedruckte Werk), aber auch die Sinfonie D-Dur. Als besonders interessant gilt Arriaga wegen seiner stilistischen Verwandtschaft zum Zeitgenossen Schubert, ohne dass er dessen Schaffen hätte gekannt haben können. Das nennt man wohl Zeitstil – etwas, was Genieanhänger nicht ertragen können, da sich plötzlich ein Teil der Eigenart ihres Idols als Zeiterscheinung erweist und die Stildefinition überdacht werden muss. Für offene Ohren bedeutet dies aber immer eine Faszination – Musik über Landes-, teilweise Kontinentgrenzen miteinander in Beziehung zu setzen, teilweise sogar jenseits der etablierten Epochenbezeichnungen, die sich immer wieder als unzureichende Hilfsvokabeln ignoranter Musikhistoriker erweisen.
Wenn man so möchte, kann man Arriaga als Zeitgenossen des späten Haydn wie Schuberts ansehen (beides trifft zu), und so überrascht es nicht, dass er der spätklassischen und frühromantischen Formsprache anhängt, einer Sprache, die in Frankreich (einer von Arriagas Lehrern war François-Joseph Fétis), Böhmen oder England gleichermaßen anzutreffen ist. Die drei Streichquartette (in d-Moll, A-Dur und Es-Dur) entstanden um 1823 in Paris, sind jeweils viersätzig (mit dem Menuett an dritter Stelle) und folgen insgesamt dem damaligen Formenkanon. Ob die Forschung, wie im Booklet, recht darin geht, Arriagas Quartettkompositionen mit der Pariser Beethoven-Rezeption in Verbindung zu bringen, scheint dem Rezensenten zu kurz gegriffen – kaum ferner liegen als Vorbilder Boccherini, Pleyel, Cherubini oder Voríšek, aber sicher auch zahlreiche andere Quartettkomponisten der Zeit, die heute vergessen sind. Fraglos jedenfalls nahm Arriaga eine wichtige Position in Paris auf dem Weg zu George Onslows und Félicien Davids Streichquartetten ein. Vergleicht man mit Pleyel oder Gyrowetz, so ist Arriaga ein adäquater Zeitgenosse, mit ansprechenden, der Aufführung würdigen Beiträgen zur Gattung, ohne natürlich die Genialität des späten Beethoven zu spiegeln. Als besonderen Bonus bietet die vorliegende CD das delikate 'Tema variado en cuarteto' op. 17, das etwa 1820 entstand und in dem der Boccherini-Einfluss besonders klar zu spüren ist.
Das Quartett La Ritirata (Hiro Kurosaki, Miren Zeberio, Daniel Lorenzo und Josetxu Obregón) ist nicht das erste, das historisch informiert Arriagas Quartette erkundet. Qualitativ mag es einen Hauch hinter dem Quatuor Mosaïques zurückstehen, doch nur marginal, bietet es doch mit dem frühen Quartettsatz einerseits einen eindeutigen Mehrwert, aber ebenso einen dramatisch-mediterranen Zugriff, den das französisch-österreichisch-französische Quartett so nicht ganz bieten kann. Die Balance und das Zusammenspiel der spanischen Musiker ist tadellos, die Aufnahme im Königlichen Konservatorium Madrid 2013 unterstützt das Miteinander der vier Interpreten. Dahingegen ist der Booklettext (verfasst vom Cellisten des Ensembles) zwar ausschweifend, doch enthält er viel zu wenig Informationen zu den Werken, vor allem zu stilistischen oder musikalischen Besonderheiten der Werke. So müssen die Interpretationen für sich sprechen – was ihnen insgesamt auch gut gelingt. Für Freunde des mittleren Beethoven ist auch Arriaga eine attraktive Wahl, und es wäre schön, wenn auch Beethovens Schaffen mit so viel Verve von historisch informierten Streichquartettensembles erkundet würde.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Arriaga, Juan Crisostomo de: Sämtliche Streichquartette |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Glossa 1 04.04.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
8424562231023 |
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