
Scharwenka, Franz Xaver - Sämtliche Klavierkonzerte
Moll-Pathos und glitzernde Virtuosität
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Alexander Markovich und Neeme Järvi zeigen mit dieser Doppel-CD, dass Franz Xaver Scharwenkas vier Klavierkonzerte nichts von ihrer Strahlkraft verloren haben.
Ein kleiner, aber sehr erlesener Kreis von Pianisten hat sich in den letzten Jahren darum bemüht, das Werk von Franz Xaver Scharwenka (1850–1924) dem Vergessen zu entreißen. Vor allem Seta Tanyel und Marc-Andre Hamelin haben Einspielungen mit den Soloklavierwerken und Klavierkonzerten des einst als Klavierspieler wie als Pädagoge hochberühmten Bruders von Philipp Scharwenka vorgelegt. Und obwohl viele seiner Stücke in den Archiven verschwunden sind, kann man doch zumindest von einer kleinen Renaissance Scharwenkas sprechen; zumal sein Viertes Klavierkonzert op. 82 liegt sogar in zwei Aufnahmen vor. Alexander Markovich, ein anerkannter Spezialist für die Werke des Tondichters, ergänzt diese kleine Reihe nun um eine dritte Aufnahme und legt auch gleich die drei anderen Konzerte auf einer Doppel-CD vor – unterstützt wird er dabei vom Estonian National Symphony Orchestra unter Neeme Järvi.
Wie für praktisch jeden Pianisten seiner Generation war Franz Liszt ein Vorbild für Scharwenka. Sowohl die Virtuosität am Klavier als auch die neuen Wege in der Kompositionsweise Liszts beeindruckten Scharwenka tief, so dass es nicht verwundert, wenn das Erste Konzert op. 32 dem großen Meister ‚verehrungsvoll zugeeignet‘ wurde. Das Stück wurde zu einem triumphalen Erfolg für seinen Schöpfer, und wenn man sich das kraftvolle Eingangsthema dieser Aufnahme, gefolgt von einem beeindruckenden Klavier-Eintritt, anhört, kann man den Eindruck noch heute nachvollziehen. Markovich spielt hier seine ‚Löwenpranke‘ voll aus und meistert die höchst vertrackten Akkord- und Oktavgänge mit einer Souveränität, die keinen Vergleich scheuen muss. Dass es dem Pianisten in all dem Notendickicht zwischen Skalen, Trillern und rasanten Läufen auch noch gelingt, sensible dynamische Abstufungen zu integrieren, ist wahrlich keine Kleinigkeit.
Mit Järvi hat Markovich aber auch einen Veteranen an seiner Seite, der genau weiß, wie man ein Orchester in einem romantischen Solokonzert behandeln muss: dezente Begleitung in den meisten Fällen, aber auch bisweilen gleichrangiges Musizieren mit dem Solisten, wenn die Dichte des Satzes es zulässt. Angesichts dieses gelungenen Eindruckes fallen Scharwenkas formale Innovationen fast ein wenig unter den Tisch, so etwa das Integrieren eines langsamen ‚Satzes‘ in den ersten Abschnitt ('Piu animato'), so dass das dreisätzige erste Konzert sich doch irgendwie an die quasi-symphonische Viersätzigkeit annähert, der das vierte Konzert dann ‚offiziell‘ folgt. Der Analytiker mag sich daran erfreuen – der Hörer wird dies angesichts des schlüssigen dramaturgischen Konzeptes und einer höchst gelungenen Interpretation auf jeden Fall tun.
Ein wenig schablonenhafter und nicht ganz so überzeugend wirken die Konzerte Nr. 2 und 3, auch wenn sie sich immer noch deutlich vom Durchschnitt des späteren 19. Jahrhunderts abheben. Allerdings gleichen sich die Werke doch hörbar, was unter anderem an Scharwenkas Beharren auf einem (in der Romantik natürlich sehr beliebten) dramatischen Moll-Pathos liegen könnte – alle vier Konzerte stehen in einer Moll-Tonart. Markovich stört sich offenbar nicht an den vergleichbaren Tonfällen und bewältigt die strapaziösen Soloparts mit der gleichen Grandezza wie im ersten Konzert. Järvi vergisst nie, geistreiche orchestrale Details des Komponisten (wie etwa die Triangel im Kopfsatz des dritten Konzertes) ausreichend zur Geltung kommen zu lassen. Besonders zu loben ist zudem die nahezu ideale klangliche Balance, die Ausgewogenheit zwischen dem oft massiven Klaviersatz und dem Orchester könnte kaum besser sein.
Erfreulicher Höhepunkt der Aufnahme ist das Vierte Konzert, in seiner stilistischen Vielfalt und der gelungenen Verschmelzung von Solist und Orchester ein wahrhaft symphonisches Werk, das man getrost neben das Zweite Brahms-Konzert stellen kann. Neben den genannten Tugenden aus den ersten drei Konzerten gelingt Markovich und Järvi hier auch der Wechsel zu der (seltenen) heiteren Seite Scharwenkas, wie man sie vor allem im zweiten Satz (Intermezzo) bewundern kann. Nach all der Moll-Dramatik aus den ersten drei Werken ist dies eine willkommene Abwechslung für den Hörer. Der Erfolg des Vierten Konzertes war ähnlich wie der des ersten (‚honours were showered upon Schwarenka‘, schreibt Adrian Thomas im etwas knappen Beiheft-Text), so dass man das Fehlen dieses Werkes im heutigen Konzert-Repertoire nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen kann. Jeder Veranstalter, der es wagen würde, das vierte Scharwenka-Konzert ins Programm zu nehmen, sollte mit einem durchschlagenden Erfolg rechnen können. Einstweilen bleibt dem Musikfreund die vorliegende Doppel-CD, deren musikalische und klangliche Qualität mehr als nur ein Trost für das fehlende Konzerterlebnis ist.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Scharwenka, Franz Xaver: Sämtliche Klavierkonzerte |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 2 04.04.2014 |
Medium:
EAN: |
CD
095115181423 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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