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Freitag, 31. März 2023

Verdi, Giuseppe - Don Carlo

Eine Klasse für sich


Label/Verlag: ORFEO
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Das Label Orfeo hat einen Mitschnitt von Verdis 'Don Carlo' aus Wien 1979 veröffentlicht, mit Herbert von Karajan und der fast identischen Besetzung der berühmten EMI-Studioaufnahme mit Carreras, Freni, Cappuccilli und Baltsa.

Die EMI-Studioaufnahme des 'Don Carlo' unter Herbert von Karajan – vom 15. bis 20. September 1978 in der Berliner Philharmonie aufgenommen – zählt für mich zu den schönsten Verdi-Aufnahmen überhaupt. Weil das Ensemble ideal aufeinander abgestimmt ist, weil Mirella Freni und der jugendliche José Carreras eines der ergreifendsten Liebespaare sind, das man sich denken kann, weil Piero Cappuccilli als Posa Töne von so unglaublicher Schönheit von sich gibt, dass man beim Zuhören dahinschmelzen möchte, weil Nicolai Ghiaurov als Philip II. schlichtweg ein Naturereignis ist, das an imposanter vokaler Größe nur wenige übertroffen haben. Dazu kommt eine durch Karajan genau ausbalancierte Klangregie, die die Musik so differenziert und brillant, so explosiv und dann wieder so einschmeichelnd leise erklingen lässt, wie ich sie sonst nirgendwo gehört habe. Kurz: Es ist ein Verdi-Fest allererster Güte. Nun ist beim Label Orfeo ein Mitschnitt aus Wien erschienen, vom 6. Mai 1979, der ebenfalls unter Karajan die (fast) gleiche Besetzung aufbietet und damit zu interessanten Vergleichen einlädt. Statt der Berliner Philharmoniker und des Chors der Deutschen Oper Berlin, wie bei den Salzburger Festspielen und bei EMI, werden Chor und Orchester der Wiener Staatsoper aufgeboten. Und statt Ghiaurov erlebt man Ruggero Raimondi als Philip, der in Salzburg bzw. bei EMI noch den Großinquisitor gab, den hier Matti Salminen übernimmt.

Es ist schon extrem eindrucksvoll zu erleben, wie viel Karajan von dem, was er im Studio mit einem Riesenstab an Technikern herbeigezaubert hat, auch live im Theater hinbekommt. Allerdings sind etliche orchestrale Details, die auf der EMI-Einspielung so atemberaubend klingen, hier nicht ganz zu markant umgesetzt. Das Orchester tritt in Wien merklich zurück und überlässt den Sängern die Pole Position. Aber diese Sänger klingen nach wie vor spektakulär. Auch live. Besonders Carreras und Baltsa wiederholen das, was man aus dem Studio kennt. Nur mit etwas mehr ‚Thrill‘ wegen der Live-Umstände. Cappuccilli klingt in Wien genau sonor wie im Studio, wirkt aber im Vergleich manchmal etwas lethargisch. Was besonders dann auffällt, wenn er mit dem noch lethargischeren Raimondi zusammentrifft. Der ist, für mich, der einzige echte Schwachpunkt dieser Aufnahme, da sein König weitgehend unbeteiligt wirkt. So fehlt dem Wiener 'Don Carlo' ein Zentrum, das Ghiaurov spielend füllte.

Bemerkenswert ist, wie es Karajan schafft, dass seine Sänger sich stimmlich immer wieder zurücknehmen und Höhen so weich und zart wie möglich angehen, dabei aber vom Orchester niemals zugedeckt werden. Das ist die hohe Schule des Operndirigierens. Karajan hatte sie im Fall des 'Don Carlo' bereits 1958 demonstriert, als er in Salzburg seine Produktion mit Sena Jurinac, Giulietta Simionato, Cesare Siepi und Ettore Bastanini mitschneiden ließ. Für mich ist das, neben der EMI-Einspielung, das non plus ultra in Sachen 'Don Carlo'. (Das Duett zwischen Siepi und Bastianini sucht in der Verdi-Diskographie seinesgleichen. Und Posas Tod mit Bastianini, live in Salzburg, ist schlichtweg ‚wow‘.)

Dass Karajan in beiden Fällen die vieraktige italienische Fassung gewählt hat, stört mich nicht. Man kann argumentieren, dass doch in Akt 1 die Vorgeschichte erzählt wird, die fürs Verständnis des Rests wichtig ist. Mag sein, aber so blöd sind Zuhörer weder heute noch damals, als dass sie sich diesen Teil nicht denken könnten und zusammen mit Karajan bereitwillig gleich zu den echten ‚Goodies‘ gehen. Ob man die Oper lieber auf Italienisch oder Französisch hört, bleibt Geschmackssache.

Amüsant an der Wiener Aufnahme ist Edita Gruberova als ‚voce dal cielo‘. Die gute Edita müht sich da im Schnürboden der Staatsoper mit ihrem kurzen Solo doch ziemlich und hat keine Sternstunde – vorsichtig formuliert. Allerdings stört sie das Gesamterlebnis dieses 'Don Carlo' in keiner Weise. Und der Jubel am Ende der Autodafe-Szene ist gigantisch, soweit man das auf der CD hören kann.

Für alle, die ihre Lieblingsstars aus der EMI-Aufnahme live erleben wollen, zum Vergleich, ist die Orfeo-Ausgabe ein Muss. Als Mitschnitt kommt die Aufnahme nicht wirklich an die alte Salzburger Version von 1958 heran, in der sich der junge Karajan ebenfalls zurücknimmt und den Sängern den Vortritt lässt. Die sind allerdings ‚in a league of their own‘. Besonders Sena Jurinac entfaltet einen lyrischen Zauber, den Freni live nur ansatzweise hinbekommt, weil ihr die Farben fehlen und die vokale Größe fehlen, die Jurinac hatte.

Wer eine echte Alternative zu Ghiaurov will – den man auch auf der Decca-Aufnahme unter Georg Solti hören kann, mit Renata Tebaldi in großer Form, allerdings mit schrillen Höhen – der sollte sich an Boris Christoff halten. Dessen Einspielung auf Deutsche Grammophon bietet ebenfalls Ettore Bastianini, der aber live in Salzburg besser klingt. Und zwischen Siepi und Christoff wählen zu müssen, geht nicht. Beide sind, zusammen mit Ghiaurov, die bedeutendsten Philips des 20. Jahrhunderts (plus Ezio Pinza).

Und: José Carreras bleibt für mich der beste Carlo der Plattengschichte, der bei Orfeo seine Meisterschaft nur bestätigt. Mit anderen Worten: Die Orfeo-Ausgabe ist eine interessante Ergänzung der bestehenden Diskographie, aber letztlich bleibt sie mehr eine Fußnote statt ein eigenständig bedeutender Beitrag, der als Alternative zu den bekannten Klassikern gelten kann.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Bisherige Kommentare zu diesem Artikel

  1. Wie häufig knapp daneben
    Da erzählt uns der Autor wieder einmal seine höchstpersönliche Meinung zu einer CD-Aufnahme. Wie schön, dass sie ihm gefällt oder auch nicht. Ghiaurov gefällt ihm besser als Raimondi, Gruberova hatte angeblich nicht ihren besten Tag, Das Ganze ist geschmäcklerisch, die Substanz fehlt. Sorry, aber die Kritik hat leider das Niveau von "Stehplatztratsch", insgesamt eher dürftig.

    Tempest, 17.06.2014, 22:27 Uhr
    Registriert seit: 20.04.2028

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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Verdi, Giuseppe : Don Carlo

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
ORFEO
3
09.01.2014
Medium:
EAN:

CD
4011790876320


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ORFEO

Erschienen die ersten Aufnahmen des 1979 in München gegründeten Labels noch in Lizenz bei RCA und EMI, produziert und vertreibt ORFEO seit 1982 unter eigenem Namen. Durch konsequente Repertoire- und Künstlerpolitik konnte sich das Label seit seinem aufsehenerregenden Auftritt am Anfang der Digital-Ära dauerhafte Präsenz auf dem Markt verschaffen. Nicht nur bekannte Werke, sondern auch weniger gängige Musikliteratur und interessante Raritäten - davon viele in Ersteinspielungen - wurden dem Publikum in herausragenden Interpretationen zugänglich gemacht. Dabei ist es unser Bestreben, auch mit Überraschungen Treue zu klassischer Qualität zu beweisen.
Der Musik der Moderne wird mit den gleichen Qualitätsstandards Beachtung geschenkt - in exemplarischen Neuaufnahmen wie in Mitschnitten bedeutender Uraufführungen. Wichtige Akzente setzen dabei die Serien Edition zeitgenössisches Lied, die bis in die unmittelbare Gegenwart vorstößt, und Musica Rediviva mit Werken verbotener oder zu Unrecht vergessener Komponisten.
Zu den Künstlern zählen die besten Sängerinnen und Sänger, Instrumentalisten, Orchester und Dirigenten der letzten drei Jahrzehnte. Die Förderung aufstrebender Künstler der jüngeren Generation war und ist ORFEO stets ein Anliegen. Viele, die heute zu den Großen der Musikszene zählen, errangen bei uns ihre ersten Schallplattenerfolge.
Mit der Serie ORFEO D'OR wird auf die große interpretatorische Vergangenheit zurückgegriffen; legendäre Aufführungen u.a. aus Bayreuth, München, Wien und Salzburg werden dokumentiert. Hierbei wurde von Anfang an besonderer Wert auf sorgfältige Edition gelegt; durch - das dürfte auf dem Markt für historische Aufnahmen heute sehr selten sein - offizielle Zusammenarbeit mit den Künstlern, Erben und Institutionen hat ORFEO D'OR jeweils exklusiven Zugriff auf die besten erhaltenen Originalquellen.
Unser Ziel: Die Faszination, die klassische Musik ausüben kann, über die Generationen lebendig nahe zubringen.


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