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Montag, 25. September 2023

Mozart, Wolfgang Amadeus - Don Giovanni

Ende einer Ära


Label/Verlag: Monarda Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Dieser 'Gon Giovanni' ist im Orchester etwas farblos, kann aber mit guten sängerischen Darstellungen punkten. Und dann ist da auch noch die feinnervige Inszenierung von Michael Hampe.

Am 2. Juni 1991 hatte in Köln Michael Hampes Inszenierung des 'Don Giovanni' Premiere, die die legendäre Produktion Jean-Pierre Ponnelles aus dem Jahr 1972 ablöste. Mit dieser Inszenierung endet eine Ära des Mozart-Gesangs an der Kölner Oper, einer unwiederbringlichen Ära, und dieses Ende weist schon deutliche Zeichen des Niedergangs auf. Michael Hampe, von 1975 bis 1995 Intendant der Kölner Oper und berühmt für seine sorgfältig choreographierten, zutiefst aus dem Geist des jeweiligen Werks erwachsenen Inszenierungen, hat in Köln nur wenige Mozart-Opern einstudiert, und sie alle in enger Zusammenarbeit mit anderen Häusern – die 'Entführung' mit Schwetzingen und 'Don Giovanni' mit Salzburg. Der Salzburger 'Don Giovanni' wurde 1987 unter der musikalischen Leitung Herbert von Karajans fürs Fernsehen mitgeschnitten, und viele Elemente der Inszenierung sowie ein Teil der Ausstattung wurden für die Kölner Produktion weiterverwendet. Auch ein Sänger der Salzburger Produktion blieb in Köln erhalten: Ferruccio Furlanetto als Leporello, der bereits im Jahr zuvor unter Daniel Barenboim den Giovanni höchstselbst eingespielt hatte.

Hampes feiner Geist reagiert seismografisch auf alle Aussagen und Andeutungen von Text und Musik, weiß auch die vorgegebenen komischen Situationen differenziert auszuarbeiten, bietet aber vor allem im besten Sinne werkgetreues, blut- und glutvolles Musiktheater. Wir sind hier am Vorabend der Französischen Revolution, wir haben einen Libertin schlimmster Couleur, der seinen Diener ausbeutet (warum nur den einen und nicht alle?), der die von ihm begehrten Frauen nach ‚Gebrauch‘ wegwirft, der sich voller Sarkasmus über tiefergehende Emotionen lustig macht. Hampe beschönigt nichts, spitzt aber auch nicht übertrieben zu – vielleicht einer der schwächsten Momente der Inszenierung ist das Ende des ersten Aktes, in dem Giovanni nicht so extrem in die Enge getrieben wird, wie es Libretto und Musik fordern. Auch Giovannis ‚Höllenfahrt‘ (inszenatorisch etwas anders gelöst als in der Salzburger Produktion, die bei Sony auf DVD erschien) gerät nicht ganz überzeugend. Hampe nutzt hier die bei ihm häufiger anzutreffende Technik (oder Manier?) der finalen Auflösung – die Ausstattung entschwindet, das Ende der Oper findet in einer Art archetypischem freien Raum statt, der das Erlebte gleichsam transzendiert. Hiermit entgeht er billiger Biederkeit des 'Quest è il fin di chi fa mal', doch gleichzeitig endet die Inszenierung, die zuvor so sorgsam realistisch ausgearbeitet war, denkbar unbefriedigend – als habe der Regisseur für den Schluss keine realistisch überzeugendes Schlussvorstellung entwickeln können. Insgesamt aber sucht die Inszenierung in Differenziertheit der szenischen Ausarbeitung ihresgleichen, war auch damals bereits eine Rarität, und heute kann man angesichts der Ignoranz vieler Regisseure der Oper und ihrem Libretto gegenüber natürlich keinerlei entsprechende Sorgfalt mehr erwarten.

Ist die Inszenierung (bis auf die genannten wenigen Momente) insgesamt von hohem bis höchstem Niveau, so verabschiedet sich die Produktion bereits teilweise beträchtlich von dem zuvor in Köln auch in Repertoirevorstellungen zu erlebenden musikalischen Höchstleistungen. Allen voran bleibt James Conlons Mozart-Verständnis weit hinter jenem seines Vorgängers als Kölner Opern-GMD John Pritchard (GMD in Köln von 1978 bis zu seinem Tod 1989) zurück. Der Zugriff ist zwar energiegeladen (so wie man es von Pritchard in früheren Jahren auch kannte, was aber in seinen letzten Lebensjahren nachgelassen hatte), aber Conlon hat weder die Eleganz noch die Wärme Pritchards. Ein wenig wirkt es, als habe ihn die Liebe zu Mozart ein wenig verlassen. Schon die Ouvertüre zeigt, dass die Tempi zwar zumeist den damals üblichen Gepflogenheiten entsprechend ‚stimmen‘, aber die Streicher des Kölner Gürzenich-Orchesters (dem Conlon damals den Namen Kölner Philharmoniker aufdrücken wollte) klingen seltsam unterkühlt, die Bläser an manchen Stellen recht grob. Es ist dies wohl das Klangideal, das Conlon vor allem mit Musik der Nachromantik (Mahler, Zemlinsky) entwickeln und pflegen wollte. Vergleicht man aber auch etwa mit dem Mozart-Stil des früheren Kölner GMD István Kertész, wirkt Conlons Mozart eher buchstabiert, ‚internationalisiert‘, nicht mehr europäisch empfunden. Da mag vieles richtig sein – aber vieles ist einfach ein wenig falsch. (Hierzu zähle ich auch das allzu zirpige Cembalo, das die Korrepetitorin Erika de Heer für die Rezitative spielen muss.)

Leider bezieht sich dies auch auf die Singdarsteller, mit denen Hampe offenkundig so außerordentlich sorgfältig gearbeitet hat. Gleiches scheint mit Conlon nicht geschehen zu sein. Vieles ist unpräzise (und vieles davon ist nicht der Liveaufführung geschuldet), vieles unschön – so hätte man Mozart in Köln zuvor nicht hören können. Betrachten wir zunächst Giovanni und Leporello, Thomas Allen und Ferruccio Furlanetto, die man auch auf CD in ihren Rollen genießen kann (unter Karajan bzw. Marriner). Furlanetto, ein Bühnentier sondergleichen, erfüllt den Leporello jeden Moment auf herrlichste Weise mit Leben. Keine Sekunde lässt er in der darstellerischen Intensität nach; gelegentlich mag er aufnahmetechnisch nicht glücklich eingefangen sein, doch packt seine Gestaltung; auch musikalisch spürt man, dass er den Part bestens kennt und sie intensiv studiert hat. Auf diese Weise stiehlt er auch Thomas Allen die Schau, der, vokal wie darstellerisch, in unkontrollierten Momenten, knapp aus der Rolle fallen kann (doch immer noch deutlich besser ist als Samuel Ramey in der Salzburger Produktion). Darstellerisch nur sehr wenig, im Grunde nur, weil er seine Mimik während des Singens nicht durchgängig unter Kontrolle halten kann. Es ist bedenklich, dass Arthaus Musik dieses Problem nicht einmal bei der Gestaltung des DVD-Covers gemerkt haben (aber die Covergestaltung ist ohnehin schlampig bis unverschämt sorglos, mit fehlender Nennung wichtiger Solisten und falscher Schreibung einer weiteren). Vokal ist Allen nicht so sorgfältig in der Schattierung seines Parts wie im Studio, gerade neben Furlanetto fällt auf, dass seine musikalische Gestaltung gelegentlich fast pauschal gerät. Doch vielleicht auch dies mitunter Teil des Regiekonzepts – noch eine weitere Merkwürdigkeit hat Hampe bei der Rolle des Giovanni eingebaut – er kleidet seinen Helden in zeitgenössischen Rock und nicht zeitgemäße lange Hose aus schwarzem Leder. Dieser bewusste Anachronismus (den sich Karajan in Salzburg verbeten hätte) ist also klares Statement zur Überzeitlichkeit des Sujets – ganz ohne plakative große Lettern.

Neben Allen und Furlanetto der unbestreitbare Star der Produktion ist Carol Vaness als Donna Elvira. In ihrer Intensität stellt sie Allen gar in den Schatten, hat aber auch entsprechende herrliche Momente: wunderbar ausgeleuchtete Arien im zweiten Akt (Hans Toelstedes Lichtgestaltung war in jenen Jahren in Köln ein Quell steter Freude). Auch wenn Vaness rein vokal (sie hat die Partie im Studio unter Muti eingesungen) nie ganz gewinnen mag – ihre Stimme hat einen starken metallischen Kern, doch sitzen ihre Koloraturen und Apoggiaturen –, ist ihre darstellerische Dichte eine wahre Freude. Wie fein ihre Mimik auf das von ihr Gesungene, auf die jeweilige Situation reagiert – hier spüren wir ebenfalls, dass eine Sängerin höchster Grade an der Aufführung mitwirkt.

Alle weiteren Mitwirkenden müssen sich mit der zweiten Reihe abfinden. Carolyn James ist eine Donna Anna ohne vokale oder darstellerische Differenzierung, ohne Kenntnis oder Fähigkeit zur Umsetzung angemessener Koloraturen oder Verzierungen, Andrea Rost eine darstellerisch zwar äußerst lebendige Interpretin, doch vokal leider ohne Farbenreichtum (sie stand damals noch am Anfang einer internationalen Karriere). Reinhard Dorn ist ein darstellerisch drolliger, bemitleidenswerter, insgesamt fast durchgehend überzeugender Masetto (am schwächsten nachdem er von Giovanni verprügelt wurde und jammern muss), vokal aber eher von der rauhstimmigen, aber immerhin zuverlässigen Sorte, Matthias Hölle ein von der Tonhöhe nicht immer exakter, aber wegen seiner sonoren Bassstimme damals häufig in Köln eingesetzter Sänger, der hier als Komtur wenig agieren muss. Der norwegische Tenor Kjell Magnus Sandve überzeugt als Don Ottavio zunächst vor allem durch sein gutes Aussehen und seine elegante Erscheinung, später erlangt er aber auch darstellerisch stärkeres Profil und macht ihn auf seine Weise durchaus zu einem Sympathieträger. Sandves Stimme hingegen klingt eher matt und irgendwie unfrei. Der Kölner Opernchor ist insgesamt zuverlässig, wenn auch nicht wirklich hervorragend, erst bei der Höllenfahrt auch regelrecht packend.

Insgesamt haben wir also eine darstellerisch sehr gute, vokal eher mittelmäßige, instrumental eher unterdurchschnittliche Interpretation, unaufgeregt eingefangen durch das Fernsehteam des WDR (Bildregie José Montes-Baquer) in einer durch Arthaus Musik lieblos präsentierten Wiederauflage einer zuvor bei TDK erschienen DVD-Produktion.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:
Features:
Regie:







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    Mozart, Wolfgang Amadeus: Don Giovanni

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Monarda Music
1
20.01.2014
Medium:
EAN:

DVD
807280231991


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Monarda Music

Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels.

Das Pionierlabel für Klassik auf DVD veröffentlicht nunmehr seit 13 Jahren hochkarätige Aufzeichnungen von Opern, Balletten, klassischen Konzerten, Jazz, Theaterinszenierungen sowie ausgesuchte Dokumentationen über Musik und Kunst. Mit bis zu 150 Veröffentlichungen pro Jahr sind bisher über 1000 Titel auf DVD und Blu-ray erschienen. Damit bietet Arthaus Musik den weltweit umfangreichsten Katalog von audiovisuellen Musik- und Kunstproduktionen und ist seit Gründung des Labels international führender Anbieter in diesem Segment des Home Entertainment Marktes.

In vielen referenzgültigen Aufzeichnungen sind die größten Künstler unserer Zeit wie auch aus vergangenen Tagen zu hören und zu sehen. Unter den Veröffentlichungen finden sich Aufnahmen mit Plácido Domingo, Cecilia Bartoli, Luciano Pavarotti, Maria Callas, Jonas Kaufmann, Elīna Garanča; mit Dirigenten wie Carlos Kleiber, Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt, Lorin Maazel, Pierre Boulez, Zubin Mehta; aus Opernhäusern wie der Mailänder Scala, der Wiener Staatsoper, dem Royal Opera House Covent Garden, der Opéra National de Paris , der Staatsoper Unter den Linden, der Deutschen Oper Berlin und dem Opernhaus Zürich.

Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011.

Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter.

Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von L’Arche Editeur, Preisträger des Prix de l’Académie de Berlin 2010.


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