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Dienstag, 26. September 2023

The Music of 9/11 Vol. 1 - Eighteen Minutes

Flugzeuge im Bauch


Label/Verlag: Metier Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Kevin Malone setzt sich mit dem Schrecken von 9/11 musikalisch auseinander. Das Ergebnis ist emotional packend.

Der 11. September 2001 hat in den Vereinigten Staaten in vielfacher Hinsicht Spuren hinterlassen. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis wir auch musikalische Auseinandersetzungen mit dem schrecklichen Thema erwarten durften. Kaum ein Jahr nach den Ereignissen setzte sich der seit Langem in England lebende Kevin Malone, der sich schon in diversen Genres klar profiliert hat, offenbar zum ersten Mal mit der Thematik auseinander. Der Amerikaner, in Buffalo im Bundesstaat New York geboren (sein Geburtsjahr verschweigt er), hatte zunächst Mathematik und Informatik studiert, ehe er sein Kompositionsstudium bei Morton Feldman, William Bolcom und Stanley Glasser aufnahm; ein Fulbright-Stipendium ermöglichte ihm einen Aufenthalt in Paris. Heute leitet Malone die Kompositionsklasse an der Universität Manchester.

'Eighteen Minutes' (2002) entstand als Auftragskomposition und wird vom Komponisten beschrieben als ‚großstädtisches Konzert‘ für zwei Kontrabässe und Streicher; das Werk erlebte seine Uraufführung 2003 in Kiew und hat als zentrales Gestaltungselement die Zahl 18, den Zeitraum in Minuten, der zwischen den beiden Flugzeugkollisionen mit den Zwillingstürmen des World Trade Center verstrich. Die Komposition ist in achtzehn Abschnitte aufgeteilt, jeder von ihnen aus zehn Phrasen von 18 Sekunden Länge bestehend, die einander teilweise mehrschichtig überlagern. Das Eröffnungstempo ist Viertel=180, und das gesamte Werk umfasst 504 Takte, (18x10) + (18x18). Es würde zu weit führen, die konstruktivistischen Aspekte des Werkes hier ausführlich vorzustellen; viele der außermusikalischen Einflüsse auf das Werk sind wie diese im informativen Booklet hinterlegt. Stilistisch beginnt Malone nahe am Minimalismus und vermittelt so auf beeindruckende Weise den visuellen ‚Impakt‘ des Ereignisses, doch zerstört sich diese strenge Ordnung im Laufe der Komposition selbst, und wir enden in einer Elegie für die Toten. David Heyes und Dan Styffe bieten mit dem New World Ensemble unter Leitung des Komponisten eine Interpretation, die vermutlich exakt den Intentionen Malones entspricht, auch in der genauen Abstimmung des ‚Interplay‘ zwischen Soli und Tutti. Dass nicht alle Stimmen immer klar umrissen bleiben, liegt in der Natur der Sache, die komponierte Unschärfe bzw. Klanglichkeit; wenn Malone die Tonalität (und auch das chromatische System) verlässt, so geschieht dies nicht bloß zur Imitation von Sirenen, sondern auch um anderweitig die Erschütterung der Weltordnung zum Ausdruck zu bringen. Ich gehe davon aus, dass die Gesamtdauer der Komposition in der vorliegenden Einspielung (19 Minuten 50) nicht dem Titel des Werkes widerspricht.

'Requiem 77' für Tonband und Cello entstand 2012 nach einem Besuch Washingtons auf den Spuren des Crashs in das Pentagon; die Tonbandspur besteht aus Originalaufnahmen der Luftüberwachung vom 11. September sowie neu aufgenommenes Material vom Schauplatz des Ereignisses elf Jahre danach; im Verlauf der Komposition wird das Tonbandmaterial immer weiter verdichtet und teilweise fragmentiert. Leider muss ich gestehen, dass sich für mich der – äußerst lyrisch angelegte – Solopart und das Tonbandmaterial nicht zu einem Gesamten verbinden, das eine lenkt vom anderen ab. Dies liegt sicher nicht an dem beseeltem Spiel des Kanadiers Christian Elliott, eines ehemaligen Schülers u.a. von Matt Haimovitz und Ralph Kirshbaum, der durch die Tonbandspur im Konzert sicher ausgesprochen durcheinandergebracht würde.

'Angels and Fireflies' (Engel und Libellen), eine Tondichtung für Flöte und Streichorchester in vier einander unmittelbar folgenden Abschnitten, entstand 2011 fünf Jahre nach einem Besuch der Absturzstelle des United Airlines-Fluges 93 in Shanksville (Pennsylvania). Am Vorabend des fünften Gedenktages der Ereignisse hatte Malone die Absturzstelle besucht und die magische Stimmung der Abenddämmerung erleben können. Auch ohne die außermusikalische Komponente ist die Komposition ein ausgesprochen dichtes, wenngleich eklektisches Werk, in der Tradition Nicholas Maws etwa oder Richard Rodney Bennetts – was keinesfalls als Zeichen von Abschätzigkeit gemeint ist. Im Gegenteil funktioniert diese Komposition eben auch rein musikalisch gut. Victoria Daniel und die Manchester Sinfonia unter Richard Howarth bieten eine ausgesprochen stimmige, auch musikalisch den Punkt treffende Darbietung, voller Expression und musikalischer Schönheit, aufnahmetechnisch tadellos, auch klar durchhörbar und gestaffelt eingefangen.

Insgesamt eine Produktion, der man sich emotional kaum entziehen kann. 'Requiem 77' ist sicher ein interessantes Experiment, aber vielleicht kein gelungenes.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    The Music of 9/11 Vol. 1: Eighteen Minutes

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Metier Records
1
13.01.2014
Medium:
EAN:

CD
809730210624


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Metier Records

1992 gegruendet, hat METIER schnell einen Namen fuer eine augezeichnete moderne Repertoire- und Produktionsqualitaet erworben. Metier ist mittlerweile einer der wichtigsten Namen der heutigen klassischen Musik ? durch die Zusammenarbeit mit Tonkünstlern aus Grossbritannien, aber auch international mit grossen Komponisten der Welt wie Roberto Gerhard, Charles Ives, George Crumb, Walter Zimmermann, Georg Rochberg, unter anderen.

Metier stellt eine breite Auswahl von musikalischen Stilen und Ideen der ganzen heutigen Komposition vor und schliesst eine grosse Zahl von wichtigen Weltpremieren, insbesondere der Komponisten, welche von den multinationalen Firmen vernachlaessigt werden, mit ein. Metier legt keinen grossen Wert auf schwaermerisches Werbematerial, Prominenten-Empfehlungen und falsche Versprechungen, die die moderne Reklame charakterisieren, sondern einfach auf kuenstlerische Qualitaet. Metier ist daher ein unentbehrlicher Name fuer serioese Sammler.

Die Firma stellt in ihrer ?Re-appraisal? (Neubewertung) Serie auch Musik der Vergangenheit dar ? zum Beispiel Bach und Beethoven, aber mit neuen Herangehensweisen von hochrangigen Künstlern, deren Erfahrung und Innovationsgeist neue, faszinierende Interpretationen hervorbringen.

METIER hat 12 ?CD of the Year? und ?Critic?s Choice? Preise gewonnen und wurde 2007 ein Teil der Divine Art Gruppe. Eine neue Serie von wichtigen modernen Werken ist im Werden, abermals von sehr positiver Kritik begleitet.


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