> > > Kirchner, Theodor - Klavierwerke: Johannes Wolff, Klavier
Mittwoch, 29. November 2023

Kirchner, Theodor - Klavierwerke - Johannes Wolff, Klavier

Musikalische Kleinkunst?


Label/Verlag: Hastedt
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Theodor Kirchners kleinformatigen Charakterstücken tut Johannes Wolff durch einen über weite Strecken abgezirkelten, hermetisch kleine Einheiten aneinanderreihenden Vortrag keinen großen Gefallen.

Obgleich er ein umfangreiches Œuvre hinterlassen hat, ist es um den Nachruhm von Theodor Kirchner (1823–1903) nicht gut bestellt. Meist hört und liest man von ihm im Kontext bekannterer Zeitgenossen, wenn nicht gar in deren Abhängigkeit. Letzteres darf an dieser Stelle ganz wörtlich verstanden werden, denn Kirchner befand sich mehrmals in argen Geldnöten und pumpte seine Bekannten an. Zu seinem Freundeskreis zählten in seinen frühen Leipziger Jahren Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann, später knüpfte er enge Bande zu Johannes Brahms. Auch stilistisch lässt sich Kirchner, dessen hauptsächliches Schaffen sich auf Klavier und Kammermusik beschränkt, hier aber von beeindruckender Breite ist, in die Tradition der genannten Komponisten einordnen. Manche Werke der ungleich höher geschätzten Freunde hat Kirchner sogar mit viel Fingerspitzengefühl auf eine neue Ebene gehoben; man denke etwa an seine Klaviertrio-Bearbeitung von Schumanns Studien für Pedalflügel op. 56.

Als ‚Aphoristiker der Romantik‘ wird Theodor Kirchner auf dem äußerst schlichten Cover einer jüngst beim Bremer Label Hastedt erschienenen Einspielung apostrophiert. Diese Formulierung knüpft eng an den Titel einer Biographie Theodor Kirchners: Otto Klauwell untertitelt sein 1909 erschienenes Lebensbild des Komponisten mit ‚ein Großmeister musikalischer Kleinkunst‘. Diese Überschrift könnte auch die hier von Johannes Wolff aufgenommenen Klavierstücke treffend charakterisieren, handelt es sich doch um knappe Charakterstücke, die von zwei einzeln stehenden Scherzo-Allegros (opp. 8 und 54) eingerahmt werden. Den Hauptteil bilden Kirchners Capricen op. 27 und Romanzen op. 22, die wiederum die kleinstformatigen Stücke dieser Zusammenstellung umschließen, die als reizvolle, abwechslungsreiche Übungsstücke fungierenden Miniaturen op. 62.

Johannes Wolff tut wenig dafür, diese ‚musikalische Kleinkunst‘ interpretatorisch auf das Niveau geistreicher Aphoristik zu heben. Im Gegenteil: Er macht aus den kleinteiligen, aber mitunter sehr stimmungsstarken Formen noch kleinere, weil er zwar rhythmisch präzise spielt, aber die zusammengesetzten und wiederholten Abschnitte sorgsam abzirkelt und aneinanderreiht, ohne größere Spannungsbögen zu bilden. So gerät schon das einleitende kraftvolle A-Dur-Scherzo mit seinen gleichbleibenden Akzentstrukturen in die Nähe des Tretmühlenhaften. Der Pianist macht nicht nur hier die Taktstriche gleichsam hörbar und segmentiert dadurch, was musikalisch zusammengehört und sich zu übergeordneten Einheiten formen ließe. Noch deutlicher macht sich die interpretatorische Parzellierung etwa im Walzer (Nr. 5) aus den Capricen op. 27 bemerkbar, dessen Bewegungen wesentlich fließender und runder ausfallen könnten. Auch agogisch ließen sich einige der Capricen weitaus lebendiger, drängender angehen. Johannes Wolff nutzt Tempounterschiede vornehmlich zur Markierung formaler Abschnitte. Der Charme vor allem des eleganten Walzers könnte durch Binnenagogik auf Taktebene indes feinsinnig unterstrichen werden.

Wolffs analytischer, auf Deutlichkeit ausgehender Zugriff hat aber freilich auch seine positiven Seiten. So wird etwa im 'Maestoso cantabile' (Nr. 2) aus den Capricen der Klaviersatz sorgfältig und strukturklar aufgefächert, ebenso im 'Andante' (Nr. 3) aus den Romanzen. Auch harmonische Überraschungsmomente hebt Wolff deutlich und in angemessener Weise hervor. Allerdings lässt die dynamische Differenzierung, zumal auf engem Raum, deutlich zu wünschen übrig. Dem Vorwurf einer konturlosen Deutung entgeht Johannes Wolff durch einen Zugriff, der von einem zum Staccato tendierenden Grundanschlag ausgeht (Akzente geraten dadurch umso spitzer und schärfer) und ihn nur in Piano-Kontexten und fließend Bewegungen (etwa op. 22/1) zum Weicheren und Sanglichen hin abrundet. Die weite Strecken beherrschende klangliche Kühle und Abgezirkeltheit des Vortrags beraubt Kirchners pianistische Miniaturen leider ihrer Reize. Dieser Eindruck wird durch einen auffallend hellen, gleißend-stählernen, harten, kalten und weitgehend ohne Raumanteil auskommenden Klavierklang noch verstärkt.

Interpretation:
Klangqualität:
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Kirchner, Theodor - Klavierwerke: Johannes Wolff, Klavier

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
Aufnahmejahr:
Hastedt
1
08.11.2013
65:31
2013
Medium:
EAN:
BestellNr.:

CD
4037218066098
HT 6609


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Hastedt

Wiederentdeckung einer Musiklandschaft - Vier Jahrzehnte Musik in der DDR.

ACHTZEHN JAHRE - Hastedt - ACHTZEHN JAHRE <BR> Seit achtzehn Jahren stellt Hastedt wichtige KomponistInnen vor, die in der DDR gelebt und gearbeitet haben - mit exemplarischen Werken und in erstveröffentlichten Aufnahmen von Solisten/Orchestern aus der ehemaligen DDR. Aber auch KomponistInnen aus Berlin, Bremen, Brünn, Bukarest oder Glasgow finden Sie in unserem Programm.

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Jenny Abel, Violine mit Roberto Szidon (1941-2011) am Klavier mit Brahms' dritter Sonate, Medtners 1. Sonate, der Violinsonate von Poulenc sowie zwei hinreißenden kleineren Werken von Messiaen und Rachmaninow werden in Rundfunkproduktionen der achziger Jahre vorgestellt. <P>

Max Rostal (1905-1991), ein legendärer Geiger in der ersten Jahrhunderthälfte - und nach seiner Rückkehr aus dem Exil ein ganz wichtiger Lehrer für eine ganze Geiger"generation". An ihn wird in exemplarischen Kammermusik-Aufnahmen aus den fünfziger Jahren erinnert. <P>

 


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