
Europakonzert 2013 - Werke von Williams, Dvorak & Beethoven
Selbstbespiegelung
Label/Verlag: EuroArts
Detailinformationen zum besprochenen Titel
So wirklich heimisch fühlen sich die Berliner Philharmoniker bei ihrem Prager Europakonzert 2013 offenbar nur bei Beethoven. Vaughan-Williams gerät etwas unidiomatisch, die 'Biblischen Lieder' von Dvorak überzeugen vor allem wegen Magdalena Kozena.
Seit 1991 feiern sich die Berliner Philharmoniker am 1. Mai immer selbst, in einem sogenannten Europakonzert, das in wechselnden Städten gegeben wird. 2013 fand ein solches Europakonzert zum zweiten Mal in Prag (diesmal im ‚Spanischen Saal‘ der Prager Burg, im Booklet irrigerweise Schloss genannt) statt, Orchester und Chefdirigent Sir Simon Rattle wurden unterstützt durch Rattles Ehefrau Magdalena Kozená. Auf dem Programm standen Werke, die die Heimat des Dirigenten, der Solistin und des Orchesters widerspiegeln sollten.
Ralph Vaughan Williams‘ 'Fantasia on a Theme by Thomas Tallis' für Streicher (1908) fehlte bislang in der Diskografie des Orchesters, ein Standardwerk der englischen Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Nun hat sich Rattle bislang nur selten mit britischer Musik wirklich profiliert hervorgetan, am ehesten mit zeitgenössischer Musik. Sein Vaughan Williams ist denn auch nicht in einer Reihe mit den weltbesten Interpretationen zu sehen, und zwar gleich aus mehreren Gründen. Rattle hat einen vergleichsweise verkopften Zugang zu der Musik; es ist nichts, das er regelmäßig dirigiert hätte, der Stil des Komponisten ist ihm im Grunde fern. Gerade bei der Tallis-Fantasia ist Linie alles; agogische Verschiebungen stören die Grandeur des Werks, beeinträchtigen die große Geste, die gleichzeitig symphonisch und intim sein muss. Offenkundig konnte Rattle diese Wesenseigenschaften des Werks auch dem Orchester nicht vermitteln, das sich selbst genügt und sich nicht der Musik unterordnet. Dass die Streicher der Berliner Philharmoniker nicht die Wärme und Raffinesse etwa des London Symphony Orchestra besitzen, wird schnell offenkundig.
Der zweite Programmpunkt ist in tschechischen wie in internationalen Programmen eine Rarität und wenn, dann der Hauptgrund, warum man die DVD besitzen sollte: Antonín Dvoráks 'Biblische Gesänge' op. 99 von 1884 in der Orchesterfassung des Komponisten von 1894. Magdalena Kozená nutzt alle interpretatorischen Möglichkeiten ihrer herrlichen Mezzosopranstimme und überflügelt mit Leichtigkeit das Orchester, das Dvorák allerdings vornehmlich zu Begleitdiensten heranzieht; auch ist schön zu hören, wie natürlich und doch künstlerisch raffiniert die Sängerin den acht Gesängen eine nahezu ideale Interpretation angedeihen lässt. Wenige herrliche Orchestersoli (vornehmlich der Bläser) komplettieren den insgesamt guten, aber nicht überragenden weil teilweise (gerade orchestral) um Nuancen zu äußerlichen Eindruck.
Zum Schluss ureigenstes Terrain der Philharmoniker: Beethovens ‚Pastorale‘ in einer unprätentiösen, charmanten, auch tiefgründigen und dramatischen Darbietung, in der auch viele ansonsten eher kaum zu hörende Mittelstimmen erfreulich klar erkundet werden. Es ist eine Darbietung, die in erfreulicher Weise Rattles Gesamteinspielung der Beethoven‘schen Sinfonien mit den Wiener Philharmonikern um eine weitere Lesart ergänzt. Sie sprüht vielleicht nicht übertrieben vor Leben, aber es wird äußerst differenziert musiziert; zudem sind agogische Feinheiten organischer umgesetzt als bei der englischen Komposition. Erfreulich hier (mehr noch als beim Vaughan Williams) die aufnahmetechnische Klarheit, die weiträumige Akustik, die das Werk voll zur Geltung kommen lassen. Umso ärgerlicher aber, dass ganz offenkundig die beiden anderen Werke eher tentativ als wirklich reif dargeboten werden – als müsse der Beethoven durch blassere Interpretationen anderer Werke umso strahlender hervortreten. Umgekehrt gesagt: Schuster, bleib bei deinem Leisten oder übe, bis du auch dir ansonsten ungewohntes Schuhwerk bearbeiten kannst. Seinem großen Namen alle Ehre macht das Orchester in diesem Programm jedenfalls nur bei Beethoven.
Die Fernsehumsetzung (Bildregie Henning Kasten) erfüllt heutige Erwartungen, ohne sonderlich innovativ oder störend zu sein; die Untertitelung ist gerade bei den Dvorák-Liedern äußerst hilfreich. Wie wenig musikbezogen die Präsentation der DVD ist, fällt schon bei der Menügestaltung auf; Bild und Ton sind völlig unabhängig voneinander, im Gegenteil einander widersprechend und auch nicht unterlegt mit dem gewichtigsten Werk des Konzerts. Der Booklettext bietet in der gebotenen Kürze alle wichtigen Informationen, geht aber in keiner Weise in die Tiefe, verfällt vielmehr in teilweise allzu arge Plattitüden, informatorische Grundausstattung sozusagen; von dem angeblich bei den Berliner Philharmonikern so groß geschriebenen Vermittlungsgedanken ist nichts zu spüren. Auch das der Titelei hinterlegte Jingle folgt diesem fehlgeleiteten Konzept.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Europakonzert 2013: Werke von Williams, Dvorak & Beethoven |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
EuroArts 1 07.10.2013 |
Medium:
EAN: |
DVD
880242594280 |
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EuroArts EuroArts Music International ist im Bereich audio-visueller Klassikproduktionen eine der weltweit führenden Produktions- und Distributionsfirmen. Das 1979 gegründete Unternehmen produziert jährlich 10-15 hochwertige Klassik-Programme darunter Konzertaufzeichnungen in aller Welt sowie aufwändige Dokumentationen. Renommierte, preisgekrönte Programme und Events haben EuroArts Music zu einem exzellenten internationalen Ruf verholfen. Eine intensive und langjährige Partnerschaft verbindet EuroArts Music mit führenden Klangkörpern wie den Berliner Philharmonikern, dem Mariinsky Theater Orchester, dem Lucerne Festival Orchestra, der Staatskapelle Berlin, dem Gewandhausorchester Leipzig und vielen anderen. Die alljährlichen Aufzeichnungen des EUROPAKONZERTs, des Waldbühnen- und Silvester-Konzerts der Berliner Philharmoniker sind erfolgreiche und weltweit etablierte Musikprojekte von EuroArts Music. Im August 2005 produzierte und übertrug EuroArts Music live das weltweit beachtete Ramallah-Konzert des West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim. Im Januar 2006 produzierte EuroArts Music die erste Klassik-Live-Übertragung von Peking nach Europa (u.a. mit Lang Lang). Die weltweit einmaligen Musik-TV-Formate 24hoursBach und 24hoursMozart wurden zu zwei international erfolgreichen Musikevents dieses Unternehmens. In 2012 wurde ein kompletter Prokofiev-Zyklus mit sämtlichen Sinfonien und Klavierkonzerten aufgezeichnet. Seit vielen Jahren verbindet EuroArts Music eine enge Zusammenarbeit mit herausragenden Künstlern wie Daniel Barenboim, Sir Simon Rattle, Valery Gergiev, Claudio Abbado, Martha Argerich, Yuja Wang und András Schiff sowie renommierten Regisseuren Bruno Monsaingeon, Frank Scheffer und Peter Rosen. Das Ergebnis sind Gesamtaufnahmen wie The Beethoven Symphonies (Abbado/Berliner Philharmoniker) und preisgekrönte Dokumentationen wie Claudio Abbado Hearing the Silence oder Multiple Identities Encounters with Daniel Barenboim. 2006 wurde die EuroArts Music Produktion Knowledge is the Beginning mit dem International Emmy Award (Arts Programming) ausgezeichnet. Der Dokumentarfilm wurde 2007 mit weiteren Preisen geehrt, darunter der FIPA D'OR Grand Prize 2007 (Kategorie Performing Arts) sowie als Best Arts Documentary bei dem renommierten 2007 Banff World Television Festival. Innovation und Qualität bildeten von Anfang an die Grundpfeiler der Firma. Zahlreiche internationale Auszeichnungen bestätigen dies, darunter: Oscar® für die Koproduktion von Journey of Hope Grammy Award für Kurt Weills: Rise and Fall of the City of Mahagonny Emmy Award und ECHO Klassik für Knowledge is the Beginning 2 weitere ECHOs für A Surprise in Texas (ECHO Klassik) und Django Reinhardt- Three-fingered Lighnting (ECHO Jazz) Peabody Award für Blue Note A Story of Modern Jazz National Education Award (USA) für Sir Peter Ustinov: Celebrating Haydn
Sowie folgende Nominierungen:
Emmy Award für Robbie Robertson Rocky und Grammy Award für Blue Note A Story of Modern Jazz
Der Katalog von EuroArts Music umfasst rund 1.800 Musikprogramme, darunter gehören neben EuroArts Eigenproduktionen auch Programme von zahlreichen unabhängigen Produktionsfirmen. Viele eigene Produktionen werden weltweit auf dem eigenen Label EuroArts als DVD und Blu-ray, sowie als digitales Produkt vermarktet. Seit 2016 werden die physischen Produkte durch Warner Music vertrieben. Mehr Info... |
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