
Unterm Lindenbaum - Aurelius Sängerknaben Calw
Alte Volkslieder mit farbenreichem Orchester
Label/Verlag: Animato
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Aurelius Sängerknaben Calw singen Volks- und Kunstlieder, begleitet vom Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim. Das ist heimelig schön - vom Wandern bis zum ruhigen Abend.
Im Nordschwarzwald gibt es einen vergleichsweise jungen Knabenchor, der 1983 von Hans-Jörg Kolmbach gegründet wurde: die Aurelius Sängerknaben Calw. Der Gründer griff die alte Tradition auf, geistliche und weltliche Chormusik zu pflegen und sogar bei Opernproduktionen mitzuwirken. Seit 2008 steht der Chor unter der Leitung von Bernhard Kugler. Aurelius war der erste Patron des Klosters Hirsau in Calw, das über Jahrhunderte hinweg entscheidende Impulse für die abendländische Kultur gegeben hat. Seit Bestehen des Knabenchores haben die Sänger mit namhaften Dirigenten gearbeitet, wie Abbado, Gielen, Rilling und Barenboim, um nur einige zu nennen. Solistische Auftritte an wichtigen Opernhäusern im In- und Ausland sowie bei Festivals gehören ebenfalls zu ihren Aufgaben. Die Sängerknaben sind nicht an ein Internat gebunden, wie es bei solchen Institutionen oft der Fall ist, sondern sind eine Abteilung der städtischen Musikschule Calw, was für eine gelungene musische Arbeit und Erziehung spricht.
Leiter und Orchester
Bernhard Kugler leitet die Sängerknaben seit 2008. Nach seinem Kirchenmusikstudium in Stuttgart übernahm er als Kantor die St. Johanniskirche in Tübingen, worauf er 1992 als Domkantor nach Rottenburg am Neckar ging. Dort sammelte er Erfahrung mit den Domsingknaben. Darüber hinaus ist er Lehrbeauftragter für Orgelimprovisation und Chorleitung an der Hochschule für Kirchenmusik in Rottenburg. Wie man auf dieser CD auch hören kann, arrangiert er zudem Chor-, Orchester- und Orgelwerke.
Das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim, im Jahre 1950 gegründet, besteht aus einer Basis von 14 internationalen Mitgliedern. Bei Bedarf wird die Grundbesetzung mit weiteren Streichern und Bläsern erweitert, die immer wieder dort spielen, um das etablierte Klangbild und Homogenität zu erhalten.
Der Solist
Der Tenorsolist Andreas Kramer ist ein ehemaliger Sängerknabe dieses Chores. Also ein ‚Eigengewächs’, das mit seinem Heimatchor heimatliche Lieder einspielen darf. Er hat in Trossingen an der Musikhochschule Gesang studiert und hat sich im jungen Ensemble Stuttgart fortgebildet. Danach, im Jahr 2000, beschloss er, zurückzukehren, um als Gesangslehrer, Chorleiter und künstlerische Stellvertreter seinem ehemaligen Chor zur Seite zu stehen. Zudem hat er das Amt als künstlerischer Leiter des Festivals Wildberg Classic Open.
Dreigeteilte programmatische CD
Der erste Teil der CD ‚Unterm Lindenbaum’ nennt sich ‚Auf Wanderschaft’. Das 'Wanderlied' von Rheinberger ist vom Leiter selbst arrangiert. Leicht und flockig geführt, versetzt einen das Orchester in einen sonnigen Frühling, mit Vogelgezwitscher in den Flöten. Da setzen auch schon die wandernden Jungs ein, mit ‚Früh am Morgen auf zu Fuß’ mit dem typisch unschuldig-runden weichen Klang eines Knabenchores. Die Absprachen könnten allerdings etwas besser zusammen sein. Die Bläser spielen weich im Hintergrund, ohne die Knaben zu überdecken. Es folgt 'Das Wandern ist des Müllers Lust', was natürlich nicht fehlen darf. Wer kennt es nicht? Sicher aber nicht unbedingt im Arrangement von Bernhard Kugler. Es hüpft und springt neu, mit der zarten Orchestrierung. Schade nur, dass beim Subitopiano die Knaben leicht auseinanderfallen und die Intonation ganz minimal abfällt. Um etwas Abwechslung zu bringen, darf der Knabensolist David Rother die zweite Strophe singen, die er sicher und stimmschön bewältigt. In der vierten Strophe setzt dann zum ersten Mal der Tenorsolist ein und lässt die Steine rollen. Was klappert denn da? Natürlich die Mühle, in einem Arrangement von Hans-Jörg Kalmbach. Interessant ist, dass man durch eingefügtes Schlagwerk wirklich einiges Geklapper hört. Das Nachklappern ‚Klippklapp’ lässt er von zwei Knaben singen – allerliebst. Mit 'Hoch auf dem gelben Wagen' und 'Ein Lied geht um die Welt' schließt der erste Teil. Er wird homogen gesungen, ist allerdings nicht immer ganz zusammen.
Der zweite Teil führt uns in die 1930er Jahre, in den titelgebenden Spielfilm. Andreas Kramer zeigt, wie wunderbar seine Operettenstimme dazu passt. Der zweite Teil soll die Idylle darstellen, durch die gewandert wird und wofür man sich heute zu wenig Zeit nimmt. Das Orchester spielt die 'Idylle' von Johann Abert (1832-1915) nach einer Bearbeitung von Widmar Hader. Im beschwingten Tempo zeigen dort sowohl das Orchester und als auch die Solovioline ihr Können. Die kurzen punktierten Pizzicati sind sauber und geschmackvoll voneinander getrennt, und das Ensemble spielt abgerundet, wie durch die Natur hüpfend. Da spürt man das Gras der Weide und den Spielspaß des Orchesters. Waren wir nicht gerade im Schwarzwald? Da wird man doch tatsächlich wieder entführt, diesmal nach Garmisch. Dort hat im Herbst 1894 das Ehepaar Elgar Urlaub gemacht, woraufhin die Dichterin Caroline Elgar, von der dortigen Natur und bayerischen Volksweise inspiriert, sechs Gedichte schrieb. Ihr Mann Edward Elgar komponierte einen Liederzyklus für Chor daraus. Zunächst mit Klavier- und später dann mit Orchesterbegleitung. In dieser Aufnahme werden drei Stücke daraus vorgetragen. 'Aspiration' (Sehnen), 'On the Alm' (Auf der Alm) und 'The Dance' (Der Tanz), natürlich nach einem Arrangement von Bernhard Kugler. Wieder ist sich der Sopran mit dem Anfangsvokal bei 'Aspiration' nicht ganz einig und lässt es etwas bröckeln. Der Männerchoreinsatz hätte etwas kräftiger sein dürfen, anstatt sich so verhalten von hinten anzuschleichen. Bei 'On The Alm' zeigt der Männerchor, was er kann. Homogen, keine Stimme fällt raus und die Dissonanzen sind schön heraushoben und rein. Man hört zwar, dass es junge Burschen sind, da die Bässe nicht so viel Fundament haben, aber sie singen locker und nicht forciert. Wunderbar – ein schönes Wechselspiel zwischen Männerchor und Knabenchor. Die Horneinsätze sind weich und wohlklingend gesetzt, die Tempi angenehm, und man kann sich als Zuhörer wirklich die Alpen vorstellen. In 'The Dance' wird das Dirndl geschwungen und die Lederhose ausgepackt. Knackig-griffig gespielt und gesungen. Wunderbare Legati lässt der Chor von sich hören.
'Der Lindenbaum' von Schubert/Silcher darf natürlich ebenso nicht fehlen: angenehm und weich gesungen und gut zusammen bei der Absprache vom Männerchor, zierlich begleitet vom Orchester, welches von Strophe zu Strophe neue Zwischenspiele erhält. Heimatlich geht es zu bei 'Vor meinem Vaterhaus' von Robert Stolz. Operettenschmalz mit dem Tenorsolisten Kramer, mit vielleicht etwas zu viel Vibrato und zu enger Höhe, zudem manchmal etwas überdeckt von Orchester und Chor. Die Pianostellen sind dagegen sehr zart und musikalisch überzeugend gemeistert. 'Im schönsten Wiesengrunde' ist genau das, was man sich unter einem Volkslied in Schwaben vorstellt. Es wird zart von einem Flötensolo begleitet. Der Chor lässt leider, wohl von der Einfachheit des Stückes verleitet, an Qualität nach: Schlüsse klappern, sie sind nicht ganz zusammen und die Intonation ist in sich unsauber; zudem hört man den einen oder anderen heraus.
Am Abend
Wie schon beim zweiten Teil, fängt der Dritte ebenfalls mit einem Stück für Orchester an: mit dem 'Notturno' H-Dur von Dvorak. Sehr innig und in sich gekehrt spielen die Geigen ein nie enden wollendes Legato: weit ausschwingende dynamische Wellen mit viel Gefühl und guter Linienführung. Knapp über sieben Minuten darf der Zuhörer träumen und entspannen. 'Im Abendrot' ist ein Solo für Tenor und Orchester. Kramer singt hier recht eng in der Kehle und setzt noch mehr Vibrato auf anstatt es lockerer, runder und lyrischer anzugehen und zu gestalten. 'Schon die Abendglocken klangen' verläuft ganz schlicht, das Arrangement für Orchester erinnert an Mozart. Die Aufnahme schließt mit 'Still ruht der See' von Heinrich Pfeil (1835-1899). Alpenhörnerklang wird nachgeahmt und der Chor singt samtweich dazu. Andreas Kramer singt die zweite Strophe; dies liegt ihm eindeutig viel besser. Eine schöne Nummer, was wohl auch am Arrangement liegt, das Chor und Tenor sanft einbettet.
Bernhard Kugler hält sehr gut die Balance zwischen Chor und Orchester, so dass der Chor sich zu keiner Zeit zu forcieren braucht. Eine runde Sache. Auf jeden Fall ist es offenbar vorbei mit der Hegemonie von nur drei oder vier Knabenchören in Deutschland. Es kommen andere nach, aus Gründen der immer besser werdenden musikalischen Früherziehung und durch gesunde und gepflegte Stimmbildung erfahrener Sänger in einigen Musikschulen. Die Aufnahme ist unbedingt hörenswert für jene, die Knabenchöre und Volkslieder mögen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Unterm Lindenbaum: Aurelius Sängerknaben Calw |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: |
Animato 1 01.11.2013 065:18 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
4012116614237 ACD6142 |
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