> > > Lucier, Alvin: No Ideas but in Things. Der Komponist Alvin Lucier
Sonntag, 4. Juni 2023

Lucier, Alvin - No Ideas but in Things. Der Komponist Alvin Lucier

Ruhiges Porträt eines stillen Künstlers


Label/Verlag: WERGO
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Der Dokumentarfilm "No Ideas but in Things" von Viola Rusche und Hauke Harder begleitet den Komponisten Alvin Lucier bei der Arbeit.

‚No Ideas but in Things‘: Dieses Zitat von William Carlos Williams gibt dem vorliegenden Filmporträt seinen Titel und dient zugleich dem Porträtierten, dem Komponisten Alvin Lucier (*1931), als Statement, um das Wesen seiner Kunst zu beschreiben. Seit den 1960er Jahren erforscht der Amerikaner als einer der profiliertesten Vertreter experimenteller Musik in seinen Arbeiten das Wesen und die Wirkung akustischer Klangphänomene wie Resonanzen, Echos und Interferenzen, wobei die Grenzen zwischen den Bereichen Installation, Performance, Komposition und Wissenschaft jeweils fließend sind und sich als durchlässig erweisen. Genau dies meint das titelgebende Motto: Alles, was Lucier wie unter einem akustischen Vergrößerungsglas ausbreitet, liegt in der Natur der Dinge selbst, ergibt sich aus einer Untersuchung und Abtastung der Resonanz- und Klangqualitäten von Alltagsgegenständen, während der Künstler selbst lediglich eine Art technische Hilfestellung leistet, um in Distanz zu jeglicher Expressivität die fokussierten Ereignisse zum Gegenstand einer ästhetischen Erfahrung zu machen.

Annäherung

Der Dokumentarfilm von Viola Rusche und Hauke Harder begleitet den Komponisten bei Konzertreisen nach Den Haag und Zug (Schweiz). Beginnend mit Aufführungen früher live-elektronischer Werke aus den 1960er und 1970er Jahren – etwa 'Music for Solo Performer' (1965), 'Bird and Person Dyning' (1975) oder 'Music on a long thin Wire' (1977) – und über Arbeiten wie 'Sferics' (1981) mit seiner Hörbarmachung atmosphärischer Störungen aus der Ionosphäre bis hin zu Stücken wie 'Nothing is Real' (1990) oder den für den Posaunisten Roland Dahinden komponierten Instrumentalwerken 'Panorama' (1993) und 'Panorama II' (2011) führend, kommentiert Lucier sein Schaffen. Darüber hinaus gibt er, teils unterstützt durch historisches Filmmaterial, Einblicke in die Anfänge seiner Pionierarbeit, in die Zeit als Gründungsmitglied des Komponistenkollektivs ‚Sonic Arts Union‘ (1966-76, gemeinsam mit Robert Ashley, David Behrman und Gordon Mumma), zu seiner Beziehung zu John Cage und David Tudor sowie zu seiner Lehrtätigkeit an der Wesleyan University in Middletown (Connecticut), die er seit 1970 ausübt.

Aufgereiht am roten Faden von Luciers wohl bekanntestem Stück 'I Am Sitting in a Room' (1970), dessen unterschiedliche Stadien im Verlauf immer wieder anklingen, lässt sich der Film viel Zeit, um den Erläuterungen des Komponisten zu folgen. Die ganze Machart – Einstellungen, Schnitt- und Bildfolgen sowie die für Gespräche gewählten Kameraperspektiven – stehen ganz im Dienst dieser Aufgabe und erweisen sich als filmtechnisch angemessene Annäherung an den Gegenstand. Dies führt dazu, dass man immer stärker mit Luciers Vorbereitungen und Aufbauten vertraut wird und die Essenz seiner Arbeit – dass sich der Komponist jeder Realisierung oder Aufführung wie einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung nähert und es ihm letzten Endes um das Einfangen von Selbstverständlichkeiten geht, die jedoch erst hörbar gemacht werden müssen, um eine ästhetische Erfahrung durch sie zu ermöglichen – sich wie von selbst erschließt. Entstanden ist dabei ein ebenso ästhetischer wie ruhiger Film von 97 Minuten Länge, der einem das Denken eines Pioniers nahebringt – eines Pioniers, der im Grunde nur das zeigt, was schon da ist, aber dies auf ganz besondere Weise.

Bonus

Ergänzt wird das Angebot dieser bei Wergo erschienen DVD durch ein achtminütiges Feature, in dem Lucier über die Entwicklung der Konzeption sowie die erste Realisierung von 'I Am Sitting in a Room' spricht, sowie durch einen vierminütigen Interviewteil über experimentelle Musik. Als weiterer Bonus sind im knapp 14-minütigen Beitrag ‚Voices of Friends and Colleagues‘ Statements über Lucier versammelt, die – von David Behrman, Gordon Mumma, Pauline Oliveros, Christian Wolff, Mark Slobin und Charles Curtis geäußert – einzelne Schlaglichter auf wichtige Lebensphasen oder Ereignisse werfen. Bedauerlich ist allerdings, dass das sowohl das Porträt als auch sämtliche Bonustracks und das Booklet (in dem nochmals alle im Film gezeigten Arbeiten kurz erläutert sind) lediglich in Englisch und ohne jegliche Untertitelungsoption vorliegen. Für ein interessiertes Publikum, das dieser Sprache nicht mächtig ist, dürfte dies eine herbe Enttäuschung sein.

Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:
Features:
Regie:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Lucier, Alvin: No Ideas but in Things. Der Komponist Alvin Lucier

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
WERGO
1
11.10.2013
97:00
Medium:
EAN:
BestellNr.:

DVD
4010228080957
MV 8095


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WERGO

Als 1962 die erste Veröffentlichung des Labels WERGO erschien - Schönbergs "Pierrot lunaire" mit der Domaine musicale unter Pierre Boulez -, war dies ein Wagnis, dessen Ausgang nicht abzusehen war. Werner Goldschmidt, ein Kunsthistoriker, Sammler und Enthusiast im besten Sinne, war es, der - gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Helmut Kirchmayer - den Grundstein zu dem Label legte, das seit inzwischen 50 Jahren zu den führenden Labels mit Musik unserer Zeit zählt.
Noch immer hält WERGO am Anspruch, unter den Goldschmidt seine "studioreihe neue musik" gestellt hatte, fest: die hörende wie lesende Beschäftigung mit der neuen Musik anzuregen und in Produktionen herausragender InterpretInnen und von FachautorInnen verfassten ausführlichen Werkkommentaren zu dokumentieren.
Auf mehr als 30 Schallplatten kam die Reihe mit roter und schwarzer Schrift auf weißem Cover, dann wurde die Unternehmung zu groß für einen Einzelnen. Seit 1967 engagierte sich der Musikverlag Schott zunehmend für das Label, 1970 schließlich nahm Schott das Label ganz in seine Obhut. Seither wurden mehr als 600 Produktionen veröffentlicht, die ungezählte Preise erhalten haben und ein bedeutendes Archiv der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts darstellen.
Kaum einer der arrivierten zeitgenössischen Komponisten fehlt im Katalog. Ergänzt wird dieser Katalog seit 1986 durch die inzwischen auf über 80 Porträt-CDs angewachsene "Edition Zeitgenössische Musik" des Deutschen Musikrats, die mit Werken junger deutscher KomponistInnen bekannt macht. Neben dieser Zusammenarbeit bestehen Kooperationen mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe ("Edition ZKM") und dem Studio für Akustische Kunst des Westdeutschen Rundfunks ("Ars Acustica"). Im Bereich "Weltmusik" kooperiert WERGO eng mit dem Berliner Haus der Kulturen der Welt und der Abteilung Musik des Ethnologischen Museums Berlin. Die "Jewish Music Series" stellt die vielfältigen Musiktraditionen der jüdischen Bevölkerungen der Kontinente in ihrer ganzen Bandbreite vor. Zahlreiche Veröffentlichungen mit Computermusik sind in der Reihe "Digital Music Digital" erschienen. Neue Editionen wie die legendäre "Contemporary Sound Series" des Komponisten Earle Brown oder die des Ensembles musikFabrik kamen in den vergangenen Jahren hinzu.
Die Diversifizierung, die das Programm von WERGO seit seiner Gründung erfahren hat, ist der Weitung des zeitgenössischen musikalischen Bewusstseins ebenso geschuldet wie sie zu dieser stets beitrug - eine Aufgabe, der sich WERGO auch in Zukunft verpflichtet fühlt.


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