
Ensemble Carion - Schauspiel
Gestisches Musizieren - musikalische Gesten
Label/Verlag: ARS Produktion
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Der Bläserquintett-Formation Carion gelingt mit dieser Einspielung ein diskographisches Ereignis. Sehr zu empfehlen!
Die dänische Bläserquintett-Formation Carion zählt zu den spannendsten Kammermusikensembles der Gegenwart – und wird es wahrscheinlich auch in Zukunft tun. Es ist schon erstaunlich, dass sich in heutiger Zeit ein Bläserquintett abseits des gelegentlichen Zusammentretens von Bläsersolisten eines Sinfonieorchesters als stehendes Kammermusikensemble zusammenfindet. Doch weitaus bemerkenswerter ist die Art und Weise, wie sich das Ensemble Carion der Musik nähert bzw. diese vermittelt: Die vier jungen Musiker haben es zu ihrem Markenzeichen entwickelt, auf der Bühne nicht nur auswendig zu spielen, sondern die dadurch erleichterte musikalische Interaktion durch Bewegungen auf der Bühne zu verdeutlichen. Wer nun denkt, dass eine dergestalt ‚choreographierte‘ Deutung redundant wirke, weil sie den musikalischen Ausdruck ins Gestische spiegelt, rechnet die Kreativität und künstlerische Redlichkeit des Ensembles Carion nicht mit ein. Denn wie von den Musikern Ausdrucksgesten mal mit Witz, mal ganz ernsthaft, aber stets ohne Überzeichnung in gewissermaßen konzert-szenische Interaktion überführt werden, ist äußerst spannend und eröffnet neue Dimensionen ‚ganzheitlicher‘ musikalischer Wahrnehmung.
Freilich fällt die visuelle Ebene bei einer CD-Einspielung weg, auch wenn sie als hybride SACD die Möglichkeit bietet, die Stereo-Perspektive durch größere Räumlichkeit zu erweitern. Die nun bei Ars Produktion Schumacher erschienene Einspielung nennt sich ‚SchauSpiel‘; der Titel verweist natürlich auf die von diesem Ensemble zum Markenkern erhobene visuelle Komponente des Musizierens. Mit dem Programm, das von klassischen Werken (Beethoven, Rosetti), über die Klassische Moderne (Ligeti, Ibert) bis in die Gegenwart reicht, hat der beliebig wirkende Titel kaum etwas zu tun. Allerdings wird vom Ensemble Carion das Besondere der in Konzerten eingezogenen visuellen Ebene auch in der nur hörenderweise wahrzunehmenden musikalischen Gestaltung deutlich: Die jungen Musiker pflegen nämlich ein geradezu gestisches Musizieren, was dazu führt, dass Phrasen als musikalische Gesten erfahrbar werden.
Das zeigt sich paradigmatisch in György Ligetis Sechs Bagatellen für Bläserquintett (1953), die den Höhe- und Mittelpunkt dieser Einspielung bilden. Es ist zum Schwärmen, wie von den Musikern die melodische Frische, die klangfarbliche Reichhaltigkeit und vor allem der rhythmisch-tänzerische Elan in ebenso glühende wie gelenkige Ausdrucksgesten überführt wird. Dabei gehen geradezu musikantisch zupackende Bewegungsenergie und rhythmische Überlagerungen (wie im vierten Satz 'Presto rubido') eine beinahe süchtig machende Verbindung ein. Von großem Nuancenreichtum, insbesondere im Hinblick auf die Klangfarbenmischung, ist auch die Umsetzung von Eurico Carrapatosos 'Cinco Elegias' op. 11 (1997). In den fünf Miniaturen ruft der portugiesische Komponist verstorbene Kollegen der Klassischen Moderne, sehr feinfühlig deren musikalisches Idiom nachbildend, musikalisch in Erinnerung. So wird der Duft Tailleferres mit feinen Strichen von der Archaik Bartóks und den verdichteten Ausdrucksgebärden Weberns abgesetzt.
Das enorme spieltechnische Niveau sowie stilistische Flexibilität werden in Antonio Rosettis Es-Dur-Quintett und in Ludwig van Beethovens in gleicher Tonart stehendem Bläserquintett op. 103 (eine Bearbeitung des Hornisten von Beethovens frühem Oktett) deutlich. Die schnellen Sätze atmen eine mit feinen Linien verbundene Leichtfüßigkeit; schnelle Läufe, die hoch liegende Hornpartie im Rosetti-Quintett sowie dynamische Abstufungen unter den Stimmen bereiten dem Ensemble Carion offensichtlich keinerlei Probleme. Was aber darüber hinaus erstaunt, ist die wunderbar geschlossene Klanggestaltung. Im Gegensatz zu vielen anderen Bläserquintetten, deren Gesamtklang durch die mit und ohne Vibrato spielenden Instrumente mäandernd erscheint, gleichen die fein ausgehörten und blitzsauber gespielten Akkorde hier einem Blick in klares, frisches Wasser. Die exzellente Klangtechnik, die den Musikern genügend Raum verleiht, aber doch einen kompakten Ensembleklang fördert, unterstützt diesen Eindruck.
Der Bläserquintett-Formation Carion gelingt mit dieser Einspielung ein diskographisches Ereignis. Selbst wenn man den Musikern hier nicht zuschauen kann – ihre musikalische Gestaltung atmet so viel Lebendigkeit, dass man von der Spielfreude und dem Ausdrucksreichtum mitgerissen wird. Sehr zu empfehlen!
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Ensemble Carion: Schauspiel |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ARS Produktion 1 08.11.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
4260052381434 |
![]() Cover vergössern |
Beethoven, Ludwig van |
![]() Cover vergössern |
ARS Produktion Das exquisite Klassiklabel ARS Produktion wurde 1987 von Annette Schumacher mit dem Ziel gegründet, jungen, aufstrebenden Künstlern und interessanten Programmen gleichermaßen eine individuelle musikalische Heimat und entsprechende Marktchancen, u.a. durch internationalen Vertrieb und Vermarktung zu geben. Die bei Paul Meisen ausgebildete Konzertflötistin hat sich damit nach langer aktiver Musikerlaufbahn einen geschäftlichen Traum erfüllt.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag ARS Produktion:
-
Authentischer Grenzgänger: Alois Mühlbacher überrascht – wieder einmal – mit für ihn ungewöhnlichem Repertoire. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
-
Um den jüngsten Sohn: Varvara Manukyan ringt mit historischen Ästhetiken in aufnahmetechnisch problematischer Umgebung. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Makellose Stimme und brummelnde Orgel: Klaus Mertens lässt seinen hellen Bariton in barocker und romantischer Musik erklingen und überzeugt durch Klarheit und Intensität. Weiter...
(Diederich Lüken, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Tobias Pfleger:
-
Tiefe persönliche Betroffenheit: Das Atos Trio nimmt mit einer glühend intensiven Aufnahme zweier tschechischer Klaviertrio-Meisterwerke für sich ein. Weiter...
(Dr. Tobias Pfleger, )
-
Durchdringung: Das Wiener Klaviertrio eröffnete mit gewohnter Klasse eine neue Reihe der Brahms-Klaviertrios. Weiter...
(Dr. Tobias Pfleger, )
-
Geist der Vergangenheit: Masaaki Suzuki nähert sich Strawinskys Neoklassizismus im Geist der Alten Musik. Weiter...
(Dr. Tobias Pfleger, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Verspätete Geburtstagsgabe: Das Jahr 2021 sah eine einigermaßen nachhaltige Auseinandersetzung mit Ruth Gipps. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Bob van der Ent scheitert an Bachs Sonaten und Partiten : Challenge Classics wirft noch einmal eine Doppel-CD mit Bach auf den Markt. Der niederländische Violinist Bob van der Ent kann aber den hohen Ansprüchen an das Werk nicht gerecht werden. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
-
Im Geiste Mendelssohns und Schumanns: Das Klaviertrio Then-Bergh/Yang/Schäfer entdeckt mit Berthold Damcke einen erstklassigen Romantiker, der auf den Spuren Mendelssohns und Schumanns wandelte. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
Portrait

"Auf der Klarinette den Sänger spielen, das ist einfach cool!"
Klarinettist Nicolai Pfeffer im Portrait
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich