
Gesualdo, Carlo - Responsorien zum Karfreitag (1611)
Klagegesänge
Label/Verlag: Phi
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Gesualdos späte geistliche Musik: Philippe Herreweghe und das Collegium Vocale Gent legen eine souveräne Interpretation der Responsorien für die Karwoche vor.
Weil er als Fürst sein eigener Herr war, konnte Carlo Gesualdo komponieren, wie er wollte. Wer seine Musik vor allem mit spektakulären Effekten und proto-modernen Klangskandalen verbindet, könnte von den Responsorien für die Karwoche aus dem Jahr 1611 enttäuscht werden (und sollte lieber zu den Madrigalen greifen). Gesualdos späte geistliche Musik mutet vergleichsweise zahm an.
Das chorisch besetzte Collegium Vocale Gent gestaltet die Vokalkomposition so aussagekräftig wie ausdruckstief. Philippe Herreweghe, ein Veteran der Historischen Aufführungspraxis, dirigiert. Neben den vollständig eingesungenen Tenebrae-Responsorien (27 sind es an der Zahl) runden zwei kurze geistliche Werke die Einspielung ab. Die Doppel-CD erscheint auf Herreweghes Label Phi. Die Aufmachung ist nobel, der Klang konturiert; manchmal wäre weniger Hall für die Textverständlichkeit von Vorteil.
Extravaganzen gibt es gleichwohl auch in den Klagegesängen. Der Komponist sorgt für Gänsehaut, wenn er im sechsten Responsorium von Karsamstag dort, wo die Gerechten hinweggerafft werden (‚viri justi tolluntur‘), die Melodie fast vergnügt hinabhüpfen lässt. Wenn die Jünger fliehen (‚Vos fugam capietis‘ im zweiten Responsorium von Gründonnerstag), ist das ein Aufruhr, doch der Rahmen wird nicht gesprengt. Andere Interpreten mögen diese und vergleichbare Stellen greller, ja krasser herausstellen – das Collegium bindet sie in ihre Umgebung ein und behält dabei immer das Ganze im Blick.
Keine Besprechung eines Gesualdo-Werks ohne den Mord! Der Fürst brachte seine Ehefrau und deren Liebhaber um, was zum berühmt-berüchtigten Ruf des Komponisten wahrscheinlich mehr beigetragen hat als die Musik selbst. Doch es führt nicht weit, auch dieses Werk auf das Ereignis zu beziehen und Bekenntnis und Bitte um Gnade heraushören zu wollen, vielmehr: Es mag funktionieren, schränkt jedoch den Blick auf die Komposition und ihre Faktur unnötig ein.
Gesualdos delikate Harmonik bringt immer wieder Dissonanzen hervor: Sauber und ganz natürlich singt sie das Collegium Vocale Gent. Herreweghes Interpretation lebt nicht nur von einer sensiblen Textdeutung, sondern auch von einem bewussten Umgang mit dem, was sich als das Verhältnis von Ballung und Öffnung des Satzes bezeichnen ließe. Gefühlvoll werden die Pausen gesetzt. Die Stimmen mischen sich gut. Die Wärme und Homogenität des Vokalklangs zeigt sich besonders deutlich im 'Recessit pastor noster' von Karsamstag: Wie die Mittellage mit der Dur-Terz die tragfähige Basstiefe komplettiert, das ist einer der Höhepunkte dieser Einspielung.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Gesualdo, Carlo: Responsorien zum Karfreitag (1611) |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Phi 2 01.09.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
5400439000100 |
![]() Cover vergössern |
Phi Der griechische Buchstabe φ (PHI - die Übereinstimmung mit den Initialen von Philippe Herreweghe ist nicht ganz zufällig) versinnbildlicht die Ambitionen des Labels. Er ist das Symbol für den goldenen Schnitt, für die Perfektion, die man in den Staubfäden der Blumen findet, für griechische Tempel, Pyramiden, Kunstwerke der Renaissance oder für die Fibonacci-Zahlenfolge. Seit der frühesten Antike steht dieser Buchstabe im eigentlichen Sinne für Kontinuität beim Streben nach ästhetischer Perfektion. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Phi:
-
Edel: Kundig, subtil, gelassen: So gerät diese Deutung einiger Bach-Kantaten durch einen der Pioniere der historisch informierten Praxis. Herreweghe macht keine halben Sachen. Die Diskografie seines exquisiten Labels Phi gleicht einer edlen Perlenkette. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Reichtum: Es gibt eine große Reihe erstklassiger Einspielungen der Marienvesper. Philippe Herreweghe und seine Ensembles treten gelassen und selbstbewusst in ebendiese erste Reihe. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Edel: Was wird Philippe Herreweghe getan haben, nachdem er seine Protagonisten zusammengeholt und das Programm mit ihnen studiert hatte? Vermutlich hat er einfach begeistert gelauscht, wie sich seine Vokalisten zu einem Gesualdo-Ensemble geformt haben. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Dennis Roth:
-
Zu verbindlich: Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Christoph-Mathias Mueller und die chinesische Geigerin Tianwa Yang widmen sich Wolfgang Rihms Werken für Violine und Orchester. Weiter...
(Dr. Dennis Roth, )
-
Monumentaler Mahler: Mariss Jansons und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks präsentieren Mahlers Zweite Sinfonie auf höchstem Niveau. Weiter...
(Dr. Dennis Roth, )
-
Ausdruckstiefes Meisterwerk: Wolfgang Rihms 2017 uraufgeführte 'Requiem-Strophen' in einer geradezu mustergültigen Interpretation unter der Leitung von Mariss Jansons. Weiter...
(Dr. Dennis Roth, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Vokal unterbesetzt: Die im Orchesterpart historisch informierte Einspielung eines wichtigen Oratoriums des 19. Jahrhunderts krankt an nicht hinreichender vokaler Charakterisierung. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Bachs Frühwerke in gültiger Interpretation: Oft etwas vernachlässigte Frühwerke J. S. Bachs werden in dieser Aufnahme versammelt und mit großem Ernst und Können musiziert. Weiter...
(Diederich Lüken, )
-
Drei Edelsteine für die Flöte: Drei sehr schöne Flötenkonzerte aus dem mittleren 20. Jahrhundert in höchst gelungenen Interpretationen: Clara Andrada und das hr-Symphonieorchester Frankfurt brillieren mit Nielsen, Ibert und Arnold. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
Portrait

Das Klavierduo Silver-Garburg über Leben und Konzertieren im Hier und Heute und eine neue CD mit Werken von Johannes Brahms
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich