
Mozart, Wolfgang Amadeus - Betulia liberata
Frischer Furor mit Grenzen
Label/Verlag: Challenge Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die engagierte Neueinspielung von Mozarts früher 'Betulia liberata' unter Michi Gaigg scheitert leider an einem jungen Sängerensemble mit gesangstechnischen Defiziten.
'Betulia liberata' ist das Jugendwerk des Wunderkindes Wolfgang Amadeus Mozart, 1771 im Alter von 15 Jahren komponiert. Ungeklärt ist, ob es zu Lebzeiten Mozarts überhaupt eine Aufführung dieser italienischen ‚Azion sacra‘ auf das oft vertontes Libretto Pietro Metastasios, das die alttestamentarische Geschichte um Judith und Holofernes erzählt, gab. Lange Zeit als monotone Arienabfolge abgetan, hat die historische Aufführungspraxis gezeigt, das dieses wie auch andere vokale Jugendwerke Mozarts einer neue Bewertung bedürfen.
Eine dieser Neubewertungen hat Michi Gaigg mit ihrem L’Orfeo Barockorchester bei den Europäischen Wochen in Passau und den donauFestwochen im Strudengau unternommen und das Werk mit jungen Interpreten szenisch zur Aufführung gebracht. In diesem Zusammenhang entstand im August 2012 auch die beim Label Challange erschienene Neuaufnahme.
Leider ist die junge Sängerbesetzung nicht gut geglückt und kann dem frischen, virtuosen Gestus der auf Ausdruck und Affekt gerichteten Lesart gesangstechnisch nicht immer folgen. Vor allem bei Christian Zanker (Ozia) wird dies schon in seiner ersten Arie deutlich, in der das rasche Tempo und die Koloraturen zu deutlichen Intonationstrübungen und unsauberen Läufen führen. Dabei kann Christian Zanker eigentlich mit einem freien, lyrischen Tenor mit schönem Timbre aufwarten, dessen Färbung für Partien des 18. Jahrhunderts prädestiniert scheint. Doch auch in der Aria Nr. 10 zu Beginn des zweiten Teils geraten ihm die Koloraturen unsauber und im oberen Register wird die Stimme bei Läufen doch reichlich eng. Er geht zudem etwas frei mit den Notenlängen und Pausen um, vor allem in den Rezitativen, was dann auch zu Betonungs- und damit Hervorhebungsunterschieden im Vergleich zur Partitur führt.
Die anderen Sänger hingegen machen das mit großer Sorgfalt. Ohnehin sind die Secco-Rezitative lebendig gehalten, ohne freilich den letzten dramatischen Ausdruck aus ihnen heraus zu kitzeln. Doch in den Arien wird es in Fragen kontrollierten Ausdrucks oft problematisch. Margot Oitzingers vom kompositorischen Ausdruck her völlig unterschiedliche Arien 'Del pari infeconda' und 'Parto inerme, e non pavento' sind dafür gute Beispiele, denn es gelingt ihrem Mezzosopran nicht, hier die Differenz durch unterschiedlichen Stimmfarben zu verdeutlichen. Zudem fehlt es ihr im unteren Register an Durchschlagskraft, es sei denn sie presst bewusst nach, wie in der Kadenz der hier zweitgenannten Arie. Dabei müsste gerade sie als Giuditta die dominante Sängerin der Aufnahme sein.
Auch Markus Volperts Achior wirkt trotz allem Enthusiasmus unsicher und Ulrike Hofbauer (Cabri) bleibt unscheinbar. Marelize Gerber (Amintal) kommt da mit ihrem warmen, in der jugendlichen Höhe etwas dünnen Sopran noch am Besten weg, gelingen ihr doch die Verzierungen und Läufe relativ sauber. Es ist bedauerlich, das so deutlich ansprechen zu müssen, doch trügt die Summe dieser Sängerleistungen das Hörvergnügen beträchtlich.
All dies ist ärgerlich und fällt besonders auf, da Michi Gaigg als musikalischer Geist dieser Produktion einen frischen Furor mitbringt, der von der eintönigen Nummernabfolge der alten Studioaufnahme von 1978 unter Leopold Hager angenehm weit entfernt ist. An Schwung und musikalischer Aggressivität fehlt es dem beherzt aufspielenden österreichischen L’Orfeo Barockorchester ohnehin nicht. Nur das Piano könnte gelegentlich sorgfältiger behandelt werden (z. B. in der Arie Nr. 7), doch Klangkultur und stilistische Sicherheit im Sinne der historischen Aufführungspraxis sind vorbildlich. Das energetische und impulsive Spiel geht wunderbar einher mit den alerten Achtel- und Sechzehntelläufen der Streicher. Aufbrausend und dann wieder mit zarten Pizzicato-Tupfern, mit herrlich integrierten, virtuosen Hörnern und geschmeidigen Holzbläserpassagen, sowie stets präsenten Mittelstimmen, gelingt das überaus farben- und abwechslungsreich.
Es ist bedauerlich, dass das Sängerensemble diese Vorgaben von klaren Akzentuierungen sowie kontrastreichen und lebendigen Phrasierungen nur bedingt aufnehmen kann, denn trotz aller vokalen Defizite wird deutlich, dass sich hier unter der schematischen Dramaturgie der Vorlage sehr genau gearbeitete Musiknummern finden, die mit den Seria-Vorbildern der Zeit virtuos umgehen.
Aufnahmetechnisch sind die beiden SACDs vorbildlich, mit präsentem und gut durchhörbarem Raumklang, nahe an den Instrumenten und Sängern, ohne jedoch aufdringlich zu wirken. Das Beiheft ist umfangreich ausgefallen, lässt aber eine deutsche Übersetzung des Librettos vermissen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mozart, Wolfgang Amadeus: Betulia liberata |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Challenge Classics 2 15.07.2013 |
Medium:
EAN: |
SACD
608917259025 |
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