
Casella, Alfredo - Sinfonie Nr. 3
Symphonische Wogen
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Gianandrea Noseda ist mit der Einspielung von Alfredo Casellas Sinfonie Nr. 3 ein kleines Kunststück gelungen: Mit sicherem Griff hebt er das hervor, was an Casellas Orchestermusik besonders gut gelungen ist.
Gianandrea Noseda hat sich bislang als solider Dirigent erwiesen, der sowohl bei Repertoirestücken als auch auf Nebenwegen zu guten Ergebnissen gelangte, doch ist er auf dem Tonträgermarkt noch nicht mit einem Kunststück aufgefallen. Ein solches ist ihm aber nun mit vorliegender Einspielung in der Reihe von Orchesterwerken Alfredo Casellas geglückt, die in loser Folge beim britischen Label Chandos erscheint. Denn Gianandrea Noseda gelingt es in glänzender Weise, genau das an Casellas Werken in den Vordergrund zu stellen, was am besten gelungen ist. Fast ist man geneigt zu sagen: Noseda macht aus diesen Stücken bessere Musik als sie eigentlich ist. Und dazu gehört schon einiges, vor allem aber Einfühlungsvermögen und ordnender Überblick.
Der italienische Dirigent schafft es zusammen mit BBC Philharmonic, Casellas Sinfonia op. 63, eigentlich seine Dritte Sinfonie, die den Abschluss und zugleich das Hauptgewicht dieser Einspielung bildet, zu wirklich ‚großer‘ Musik zu machen. Es ist bereits die dritte Einspielung dieser sinfonischen Rarität auf dem Tonträgermarkt, und es ist zugleich die überzeugendste. Denn während Francesco La Vecchia den Dreiertakt des Kopfsatzes zerhackt und Einzelmoment an Einzelmoment reiht (wobei die Härten der Instrumentation überdeutlich werden) und Alun Francis in seiner Aufnahme für cpo viele Details offenlegt, aber der übergeordnete Schwung ein wenig verloren geht, offenbart Gianandrea Noseda großes Gespür für die formale Dramaturgie und lässt schlüssig und auf hoch spannende Weise eins aus dem andern hervorgehen. Vor allem der erste Satz 'Allegro mosso – Calmato, tranquillo' entfaltet sich in großen Schubwellen, weil Noseda die sinfonischen Potentiale des Hauptthemas nutzt, der raumgreifenden Entwicklung ihnen freien Lauf lässt und den unaufhaltsamen Schwung des Dreiertaktes mit sachten metrischen Gegengewichten in der Schwebe hält.
Im duftigen Seitensatz drängt er klanglich die impressionistischen Girlanden der Bläser, die bei Francis etwas schönheitstrunkene prominent die lyrische Kantilene einweben, in den Hintergrund – sehr zum Vorteil. Casellas kontrapunktisches Geschick kommt in der Durchführung zum Ausdruck, während die Coda auf das Oboenmotto des Anfangs zurückweist. Letzteres erweist sich als roter Faden einer strukturell engmaschigen sinfonischen Entwicklung. In den ruhigen, elegischen langsamen Satz (der fast ein wenig lang geraten ist) bringen Anklänge des Oboenmottos eine unheilvoll wirkende Stimmung ein, die sich zunehmend breitmacht, während das Scherzo in hart geschnittener Rhythmik und morbiden Xylophonen Schostakowitsch-Nähe zeigt.
Problematisch allerdings ist der eigentümliche Jubelton in C-Dur, den Casella im Finale dieser Sinfonie anschlägt, die am Beginn des Zweiten Weltkriegs auf Bestellung von Frederick Stock anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Chicago Symphony Orchestra entstand. Die Konzentration auf den rhythmischen Vorwärtsdrang und die überdrehte Stimmung erinnern an Mahlers Siebte, von der sich Casella sogar einige Gesten ausborgt. Dieser in schnellem Marschtempo Militärisches assoziieren lassende Finalsatz ist etwas beklemmend, wenn man an Casellas Ruhmesworte für Mussolini denkt. Allerdings verlegt sich Noseda hier auf die Herausarbeitung der kontrapunktischen Kombinatorik, die neben instrumentatorischen Effekten ohnehin das Interessanteste dieses hochgestimmten Finalsatzes ausmacht.
Auch die Tondichtung 'Italia' op. 11 verrät Casellas Kunst kontrapunktischer Arbeit. Wer bei diesem Werk, das die Aufnahme eröffnet, allerdings ein frühlingshaftes Stück musikalischer Italianità erwartet, sieht sich enttäuscht. Es ist ein höchst eigenartiges, über weite Strecken pathetisches, düsteres, mit klagenden volkstümlichen Melodien aufwartendes Werk, das nicht richtig in die Gänge zu kommen scheint, bis am Ende ‚Funiculi, funiculà‘ für einen orgiastisch orchestrierten Abschluss sorgt. Die Dramaturgie dieses einsätzigen, aber vierteiligen Werks gleicht einem Prolog zu einem Vorspiel zu einem Intermezzo zur Hauptsache, die zugleich der Schlussteil ist.
Klarer gezeichnet ist da der Dreisätzer 'Introduzione, Corale e Marcia' op. 57 für Holz- und Blechbläser, Schlagwerk, Klavier und Kontrabässe, der hier erstmals eingespielt wurde. Das Strawinsky-nahe Stück ist neben den bescheidenen Ausmaßen auch von relativ kleiner künstlerischer Größe.
BBC Philharmonic zeigt sich unter der Leitung von Gianandrea Noseda als ein hoch engagierter Klangkörper. Der sinfonische Strom wird wunderbar in Schwung gehalten, die kontrapunktischen Finessen kommen bestens zur Geltung. Der größte Pluspunkt der Aufnahme ist allerdings das technisch sichere und energiegeladene Spiel, mit dem sowohl die exzellenten Holz- und Blechbläser als auch die bissig zu Werke gehenden Streicher begeistern und so die ganze Stimmungs- und Farbpalette vor allem der großartigen Dritten Sinfonie offenbaren.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Casella, Alfredo: Sinfonie Nr. 3 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 01.06.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
095115176825 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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