> > > Rachmaninov, Sergei: The Welte Mignon Mystery Vol. XX
Dienstag, 28. März 2023

Rachmaninov, Sergei - The Welte Mignon Mystery Vol. XX

Rachmaninoff von einst


Label/Verlag: Tacet
Detailinformationen zum besprochenen Titel


In der Welte-Mignon-Reihe von Tacet widmet sich die jüngste Folge Klavierwerken von Sergej Rachmaninoff.

Wer Sergej Rachmaninoffs eigene Aufnahmen – sei es als Pianist bei Solowerken oder seinen Klavierkonzerten, sei es als Dirigent eigener Werke – mit Einspielungen der letzten Jahre vergleicht, wird seinen Ohren kaum trauen. Heute kommt Rachmaninoffs spätestromantische Musik meist im Klang aufgeplustert und mit breitem Pinsel gemalt und zähflüssig phrasiert daher; formale Abschnitte werden zumeist als überdeutliche Tempoebenen voneinander abgegrenzt. Dagegen zeichnet sich der Zugang Rachmaninoffs zu seinen eigenen Werken (aus der Perspektive der Gegenwart) durch auffallende Nüchternheit aus – allerdings nur solange man sich von dem, was heute als ‚romantische‘ Interpretation gilt, die Ohren verkleistern lässt und nicht offen ist für das Espressivo, das sich hinter Rachmaninoffs auf den ersten Blick sachlich erscheinender Musizierweise verbirgt. Dann zeigt sich nämlich eine griffige Phrasierung, eine traumwandlerisch sichere Auffächerung der polyphonen Satzanlage und vor allem ein ausdrucksvolles Rubato, das sich im Mikrobereich einzelner Zählzeiten eines Taktes bewegt.

Allerdings hat nicht nur der Komponist selbst seine Musik so aufgefasst. Das zeigt die jüngste Folge der von Tacet edierten Reihe ‚The Welte Mignon Mystery‘, die sich ganz auf das Werk von Rachmaninoff konzentriert. Von ihm selbst sind freilich keine Klavierrollen erhalten, zumindest nicht von Welte Mignon; er arbeitete in den USA mit Weltes Konkurrenz Ampico zusammen. Das ist aber kein Nachteil, denn auch so ist eine spannende Aufnahme mit Klavierrollen-Einspielungen von Rachmaninoffs Zeitgenossen entstanden. Einige davon standen in direktem Kontakt mit ihm oder lassen sich, der ‚russischen Schule‘ entstammend, dem gleichen klavierästhetischen Umfeld zuordnen. Ein anderer – Paul Strecker – steht für einen ganz anderen, (neu-)sachlichen Zugang, der (nicht nur) bei der ersten Begegnung befremdet. Und dann gibt es noch Vladimir Horowitz, der zur Zeit der Aufnahme für einen Zugang der jungen Generation steht – und seine Rollenaufzeichnungen von 1926 sind in der Tat außerordentlich.

Angeordnet ist das Programm nach Werk bzw. Werkgruppe. So sind vier Nummern der 'Morceaux de fantaisie' op. 3 (auf dem Cover fälschlich als ‚fantasie‘ angegeben) zu hören, gespielt von unterschiedlichen Pianisten, von den Préludes op. 23 erklingen fünf Nummern, von den Préludes op. 32 nur zwei. In toto ist die Zweite Klaviersonate b-Moll op. 36 zu hören, und zwar in der ausladenden Erstfassung (die revidierte Fassung war zum Zeitpunkt der Rollenaufzeichnung noch gar nicht hergestellt).

Auch bei dieser Folge der Welte-Mignon-Aufzeichnungen sind typische Merkmale des Klavierspiels Anfang des 20. Jahrhunderts zu hören, etwa der asynchrone Anschlag der beiden Hände, wodurch das ausdrucksvolle Herausheben melodischer Spannungen erleichtert wird und die Satzschichten klanglich getrennt werden. Man hört das etwa in Alexander Borovskys Aufnahme der es-Moll-Elegie aus op. 3. Dort sind auch rhythmisch ungleiche Präsentationen eigentlich gleich notierter Notenwerte zu hören – auch dies eine charakteristische Gestaltung von Pianisten der Zeit. Das führt allerdings hier zu dem Eindruck einer etwas ungelenken Handhabung der Begleitung. Manchmal ist die Asynchronität sogar innerhalb einer Hand zu hören, insbesondere der rechten; parallel geführte Melodielinien erklingen dann wie ein Arpeggiando. Auch dies ist bei Borovsky zu hören.

Am erstaunlichsten ist indes, wie frei zuweilen mit den Vorgaben des Notentextes umgegangen wird, nicht nur in dynamischer Hinsicht. Allerdings führt die subjektive Auffassung des Werkganzen in den meisten Fällen zu einer schlüssigen Dramaturgie. Man nehme nur etwa Anatol von Roessels auffällig zurückhaltende Annäherung an das weltberühmte cis-Moll-Prélude aus op. 3. Im schnellen Mittelteil wechselt das Tempo nicht sofort, sondern entwickelt sich über mehrere Takte zu einem Höhepunkt hin. Dieses ‚Überspielen‘ von formalen Schnittstellen zugunsten einer flüssigen Verbindung der Werkteile ist hier allenthalben anzutreffen – und führt zu Deutungen, die von heutigen Werkdarstellungen oft meilenweit entfernt sind.

Die Höhepunkte dieser Zusammenstellung sind – neben einer komplett in Bewegungsgesten aufgelösten Musik des 'Polichinelle' von Leff Pouishnoff und wunderbar klaren, eleganten, den Aufnahmen des Komponisten sehr nah kommenden Deutungen Konstantin Igumnovs – die Rolleneinspielungen von Vladimir Horowitz, der mit jugendlichem Schwung und ansteckender Spiellust zu Werke geht. Wunderbar geraten sind die schnalzenden Staccati im g-Moll-Prélude aus op. 23, und auch die beiden Nummern aus op. 32 sind hinreißend. Der Kauf dieser mit einem umfangreichen Beihefttext ausgestatteten Edition lohnte sich allein schon, um mit Horowitz‘ frühesten Aufnahmen Bekanntschaft zu machen.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Rachmaninov, Sergei: The Welte Mignon Mystery Vol. XX

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Tacet
1
01.01.1970
Medium:
EAN:

CD
4009850020400


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Tacet

Das Wort TACET kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "er/sie/es schweigt". Es steht in den Noten, wenn ein Musiker für ein ganzes Stück nichts zu spielen hat. In einem solchen Fall steht in den Noten "TACET". Ein paradoxer Name für eine Plattenfirma?

Der Produzent des Labels, Andreas Spreer, liebt das Paradox. Im April 1989 gründete der Diplom-Tonmeister die Musikfirma TACET in Stuttgart/Germany. Seither produziert TACET Musik für höchste Ansprüche auf den verschiedensten Tonträgern (CD, LP, SACD, DVD-Audio, Blu-ray). Von Beginn an erhielten die Aufnahmen herausragende Rezensionen und höchste Auszeichnungen (u. a. mehrere Jahrespreise der deutschen Schallplattenkritik, Cannes Classical Award, Echo, Diapason d'or, Grammy-Nominierung und viele mehr; stöbern Sie ein wenig in den Kritiken auf den Produktseiten), aber was noch wichtiger ist, sie erfreuen sich größter Beliebtheit beim Publikum. Dabei ist noch kein Ende abzusehen: Die Zahl der TACET-Fans wächst immer weiter. Woher kommt dieser langandauernde große Erfolg?

Vielleicht liegt es daran: TACET arbeitet konsequent an der Synthese von zwei Ebenen, die häufig als sehr unterschiedlich oder sogar gegensätzlich angesehen werden: dem musikalischen Gehalt und der aufnahmetechnischen Qualität.

Als Begriff, der sowohl die musikalischen als auch die aufnahmetechnischen Vorzüge der TACET-Aufnahmen umfasst, bietet sich das Wort "Klang" an. Klang entsteht in einem Instrument, der Musiker bringt ihn daraus hervor, doch ob gewollt oder nicht - die nachfolgenden Apparaturen und Personen beeinflussen den Klang auch. Wenn alle Beteiligten, Musiker, Instrumente, Raum, Aufnahmegeräte und "Tonbearbeiter" gut zusammenpassen bzw. zusammenarbeiten, wächst in der Mitte zwischen ihnen wie von selbst etwas Neues empor, das dem Wesen einer Kompositon sehr nahe kommt. Davon handelt unser Slogan "Der TACET-Klang - sinnlich und subtil".

"This is one of the best sounding records you'll ever hear" schrieb das US-Magazin "Fanfare" über die TACET-LP L207 "oreloB". György Ligeti äußerte über die Kunst der Fuge "... doch wenn ich nur ein Werk auf die "einsame Insel" mitnehmen darf, so wähle ich Koroliovs Bach, denn diese Platte würde ich, einsam verhungernd und verdurstend, doch bis zum letzten Atemzug immer wieder hören.". "Entscheidend aber ist die Gemeinsamkeit des Geistes. Die Auryn-Leute beseelt die gleiche Kunstgesinnung..." (Rheinische Post). Stöbern Sie ein wenig in den Kritiken auf den Produktseiten oder noch besser hören Sie sich TACET-Aufnahmen an und überprüfen, was die Kritiker schreiben.

Bei uns darf Musik all das anrühren und ausdrücken, was das Leben ausmacht. Sie erlaubt dem Hörer Gefühle zu empfinden, ohne sentimental zu werden. Sie kann witzig sein und zum Lachen bringen. Sie kann auf ehrliche Weise "romantisch" sein, ohne den Hörer in einen Kaufhausmief von Wohlfühlklängen zu versenken. Sie darf in unendlichen Variationen geistreich sein. Sie darf zum Denken und zum Erkennen anregen, ohne musikalische Vorbildung zu erfordern. Sie darf effektvoll sein und um die Ohren fliegen, wenn es dem Wesen der Werke entspricht. Sie kann Revolutionen im Kopf auslösen, ohne ein einziges Wort. Sie kann widersprechen und korrigieren. Musik kann Verzweiflung wecken, aber auch trösten. Und und und. Die vollständige Liste wäre endlos.

Der TACET-Inhaber und -Gründer Andreas Spreer erhielt u. a. die Ehrenurkunde des Preises der deutschen Schallplattenkritik.


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