
Offenbach, Jacques - 3 x Offenbach
Carlos Kleiber als Operettendirigent
Label/Verlag: Profil - Edition Günter Hänssler
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das ist eine CD-Ausgabe, bei der ich aufgrund der unzähligen Striche von Anfang bis Ende schreien könnte vor Frustration.
1962 dirigierte der junge Carlos Kleiber seine erste eigene Musiktheaterpremiere in Düsseldorf. Auf dem Programm standen drei wundervolle Offenbach-Einakter, von denen besonders die herrlich queere 'Insel Tulipatan' nicht in einer brauchbaren modernen Aufnahme vorliegt. Bei diesem nun veröffentlichten Mitschnitt sind viele der Vorzüge jeder Kleiber-Aufnahme zu loben. Aber: Diese scheinbar ehemals vom Zweiten Deutschen Fernsehen übertragene Premiere ist von der Klangqualität als CD-Transfer nicht wirklich überzeugend. Das hätte ich natürlich sofort und gerne überhört, wenn die Interpretation aufregend wäre. Die Sänger des Düsseldorfer Ensembles sind aber allesamt nur passabel und Fritz Ollendorff als Komiker in 'Tulipatan' ist als Name berühmter denn als Klangerlebnis beeindruckend.
Was aber jeden an Offenbach und/oder Kleiber interessierten Hörer in die Verzweiflung treiben dürfte, ist nicht der Sound und die Besetzung, sondern die radikal gekürzte Fassung der drei ohnehin schon kurzen Einakter. Es fehlt bei allen Stücken schlichtweg mehr als die Hälfte (!) der Musik. Wieso sich Kleiber vom Regisseur Renato Mordo seinen Offenbach derart hat zerstören lassen, bleibt sein Geheimnis. Womöglich hatte er als junger Kapellmeister kein Mitspracherecht? Womöglich war ihm das alles egal? Dem modernen Hörer sollte es jedenfalls nicht egal sein. Denn gerade 'Die Verlobung bei der Laterne' und besonders die 'Insel Tulipatan' enthalten so viel herrliche Musik, so viele bemerkenswerte Spielszenen, dass es schlichtweg unfassbar ist, was hier alles gestrichen ist.
Von der 'Verlobung' gibt’s immerhin eine gute historische Aufnahme unter Dirigent Kurt Schröder von 1949, die dem Stück weit eher gerecht wird als Kleiber (gleichwohl die Stücke, die zu hören sind, von Kleiber durchaus packend dirigiert werden). Auf der Schröder-Doppel-CD beim Label Line ist auch 'Tulipatan' drauf – ebenfalls vollständig, wenn auch angesichts der ziemlich modernen Gender-Thematik etwas arg brav ausgespielt. Aber es ist halt 1949.
Von 1958 gibt es auch noch eine gleichfalls recht brave Gesamtaufnahme von 'Tulipatan' mit Dirigent Paul Burkhard und Anneliese Rothenberger als Kronprinz Alexis, der als Frau in einer Männerrolle gefangen ist – und in eine andere Frau verliebt ist, die aber wiederum eigentlich ein Mann ist: Verwirrung der Gefühle. Auf dieser Line-Alternativausgabe ist als zweites Stück die ‚Kleine Zauberflöte‘ unter dem Titel 'Regimentszauber' zu finden, ebenfalls mit Rothenberger, ebenfalls mit Burkhard. Auch diese Aufnahme ist – allein schon wegen der Vollständigkeit und wegen der besseren Solisten – weit besser als Kleibers Einspielung hier. Trotz der Trutschigkeit, die bei Burkhard und dem NDR 1958 herrschte. Sie ist nicht so sehr viel anders als die Trutschigkeit in Düsseldorf 1962.
Zu DDR-Zeiten gab es in den 1980ern an der Staatsoper Berlin eine sensationelle Aufführung von 'Tulipatan', die im Fernsehen übertragen wurde. Die private Aufnahme davon, die ich besitze, ist Dokument eines der witzigsten und gelungensten deutschsprachigen Offenbach-Abende, die ich kenne. Leider ist, soweit ich weiß, der Mitschnitt bislang nicht professionell auf DVD und auch nicht auf CD erschienen. Er würde sowohl die Kleiber-Aufnahme als auch die mit Schröder/Burkhard weit in den Schatten stellen. Es singen die Stars der DDR-Zeit, u. a. Jutta Vulpius.
Wie gesagt, ich könnte vor Frustration bei dieser Kleiber-Doppel-CD von Anfang bis Ende schreien. Denn immer, wenn man glaubt, jetzt geht’s doch endlich mal richtig los, kommt schon wieder der nächste radikale Strich. Ob man dem Andenken an den von mir ansonsten hoch geschätzten Kleiber mit dieser Veröffentlichung einen Gefallen getan hat? Kleiber-Fans werden die Aufnahme mit dem spannenden Essay von seinem Biografen Alexander Werner trotzdem haben wollen, um sich ein kompletteres Karrierebild ihres Idols machen zu können. Offenbach- und Operettenfans sollten diesen Einakter-Abend aus Düsseldorf mit dem Orchester der Deutschen Oper am Rhein meiden. Leider!
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Offenbach, Jacques: 3 x Offenbach |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Profil - Edition Günter Hänssler 2 25.03.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
881488120660 |
![]() Cover vergössern |
Profil - Edition Günter Hänssler Profil - The fine art of classical music
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Profil - Edition Günter Hänssler:
-
Klangdokumente aus vier Jahrzehnten: Eine würdige Sammlung um Böhms Dresdner Schubert-Aufnahmen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Schwungvoll, aber auch etwas rabiat: Ekaterina Litvintseva ist eine gute Solistin in konzertanten Werken von Franck und Strauss, doch die übertriebene Dramatik des Orchesters unter Jonathan Bloxham tut den beiden Werken nicht gut. Etwas besser sieht es bei den Tondichtungen aus. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
-
Zehn zu Acht: Ein Streich-Doppelquintett und ein Oktett aus den 1840er-Jahren ergänzen eine auf Tonträger unterrepräsentierte Gattung. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Kevin Clarke:
-
Swarovski-Genitalien auf der Suche nach der Hölle: Zum Offenbach-Jubiläum 2019 spielten die Salzburger Festspiele erstmals eine Offenbach-Operette und übertrugen die Regie Barrie Kosky. Leider gaben sie ihm keine Besetzung, mit der dieser ein Wunder hätte vollbringen können. Weiter...
(Dr. Kevin Clarke, )
-
Zu erhaben: Eine neue Live-Aufnahme der 'Meistersinger von Nürnberg' von den Osterfestspielen Salzburg mit Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle zelebriert Wagner in epischer Breite – und verliert dabei den Blick für Komödiantische. Weiter...
(Dr. Kevin Clarke, )
-
Leuchtende Ohren: Beethoven geht ja offensichtlich immer und zum 250. Geburtstag auch doppelt, dreifach, vierfach, zehnfach, hundertfach. Weiter...
(Dr. Kevin Clarke, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Klavierwerke von israelischen Komponisten. Kolja Lessing: Kolja Lessing widmet sich eindrücklich den Klavierwerken israelischer Komponisten. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
-
All die schönen Märchen sind wahr: Die Sopranistin Rebecca Bromberg entdeckt die Lieder des Spätromantikers Erich J. Wolff. Weiter...
(Karin Coper, )
-
Klangdokumente aus vier Jahrzehnten: Eine würdige Sammlung um Böhms Dresdner Schubert-Aufnahmen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
Portrait

Das Klavierduo Silver-Garburg über Leben und Konzertieren im Hier und Heute und eine neue CD mit Werken von Johannes Brahms
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich