
Dinescu, Violeta - Der Schlüssel der Träume
Klanggewordene Träume und traumatische Klänge
Label/Verlag: gutingi
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Mit romantischer Klangsinnlichkeit und struktureller Klarheit überzeugt die Komponistin Violeta Dinescu in Der Schlüssel der Träume und erzeugt starke Emotionen.
Die rumänische Komponistin Violeta Dinescu, 1953 in Bukarest geboren, kann durchaus als Universalkomponistin betrachtet werden. Ihre Vertrautheit mit den verschiedensten Musikgattungen, wie dem Musiktheater('Der 35. Mai' und 'Hunger und Durst'), Ballett ('Die versunkene Stadt'), Oratorien, Stummfilmmusiken und Kammermusik, zeigen die hohe kompositorische Flexibilität und die musikalische Bandbreite der mathematisch interessierten Komponistin. Durch ihre Präsenz bei Konzerten, Kompositionswettbewerben, Gastvorträgen und Plattenproduktionen in Deutschland, Südafrika und den USA erlangte die Komponistin daher auch internationales Ansehen in der zeitgenössischen Musikszene. Zahlreichen Stipendien und Auszeichnungen (Carl Maria von Weber Preis in Leipzig, 1986; NYU Prize for Composition in New York, 1995) sowie eine Professur für Angewandte Komposition an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg ab 1996 würdigten das Gesamtschaffen der Komponistin.
Das ursprünglich für Violine, Violoncello und Orgel komponierte Werk 'Der Schlüssel der Träume' (2011), wurde im Jahr 2013 vom Rundfunk Berlin-Brandenburg und der Charisma Musikproduktion mit dem rumänischen Trio Contraste für die Besetzung Flöte, Schlagzeug und Klavier neu eingespielt. Inspiriert von der Bilderreihe ‚Zehn lyrische Miniaturen‘ des belgischen surrealistischen Malers René Margrittes (1898-1967) erklingen auf der Platte ebenfalls zehn in vier Abschnitte unterteilte, musikalische Miniaturen, zwischen denen andere Kompositionen mit teils skurrilen Titeln (z.B. 'www.weiß.wirkt.wunder') zu hören sind. Daher wirkt 'Der Schlüssel der Träume' als wiederkehrendes Element wie ein Korridor zwischen den einzelnen Klangräumen der restlichen Stücke. Die verschwommenen Traumfragmente – lose, aber in sich stimmig und durchaus psychologisch wirkungsvoll – gestaltet die Komponistin sehr abwechslungsreich. Im Spannungsverhältnis zwischen Heimat und Fremde werden Melodien und Rhythmen rumänischer Folklore, aber auch exotische Instrumente, wie das chinesische Holzblasinstrument Suona, welches in 'Bindfaden' menschliche Schreie zu imitieren versucht, eingesetzt.
Als ‚eine Art führende oder erzählende Stimme, welche Unerhörtes und Unerwartetes ankündigt‘, beschreibt die Komponistin die teils irreführenden musikalischen Linien ihrer zehn Miniaturen im Klanglabyrinth, vergleichbar mit den absichtlich falsch bezeichneten Objekten der Bilderreihe Magrittes (z.B. wird ein Damenschuh als Mond deklariert). 'Der Schlüssel der Träume' darf somit gern wortwörtlich interpretiert werden, wenn die in tiefen Lagen mysteriös flatternde Flöte im ersten immer wiederkehrenden Stück gegenüber dem volksmusikalisch eingefärbten, stark rhythmisierten zweiten Stück kontrastreich bis zum letzten Stück stetig neue assoziative, ‚selbstgewollte‘ Traumzwischenwelten öffnet. Dabei wird der Zuhörer stets zwischen verinnerlichten Spannungsbögen, variierten Leitmotiven und ekstatischen Klanggebilden sowie verworrenen, abgebrochenen Melodien wandeln, gefangen in einem Traum, der nicht einzuschläfern, sondern zu wecken versucht.
Das für zeitgenössische Interpretationen bekannte Trio, bestehend aus dem Flötisten Ion Bogdan Stefanescu, dem Schlagzeuger Doru Roman und dem Pianisten Sorin Petrescu, weiß den Klangfarbenreichtum und die melodische Inspirationskraft der Kompositionen sehr gut umzusetzen. Mit den transparenten musikalischen Fäden in 'Bindfaden', inspiriert von den Draht-Bindfaden-Skulpturen des Plastikers Fred Sandback, schöpft das Trio virtuos alle gestalterischen Möglichkeiten der Instrumente aus, sodass sich Querflötenklänge mit den aufdringlichen Rufen der Suona mischen, tiefe Klaviercluster und schrille Triller im Pianissimo mit gezupften Harfenklängen zusammengehen, während das Schlagwerk vereinzelt Effekte einwirft.
In 'Le rocher tremblant de sept faux' wird eine südfranzösische Felsenformation auf die Ebene des akustischen transformiert, indem sich verschiedene Klanggebilde überlagern. Die daraus resultierende Skulptur, gebaut aus zartem Flötengesang über rasselnden Xylophonklängen, die wie kleine abbröckelnde Steinchen wirken, und starken Dynamikwallungen der atonalen Akkorde und Tremoli im Klavier, zeigt sich wandlungsfähig. Der Felsen, dessen Maserung, Farben und Strukturen das Trio musikalisch intensiv und mit höchster Präzision nachzeichnet, scheint dabei lebendig zu werden, und oft scheinen die Klänge surreal und kaum instrumental zuordnungsfähig. Zum geheimnisvollen Klangfarbenspiel gesellen sich im letzten Einzelstück 'www.weiß.wirkt.wunder' pfeifende, aufbrausende Vogelstimmen in der Flöte und sitarähnliche Klangkonstruktionen im Klavier hinzu, bei welchen die Interpreten nochmals ihre perfekte Instrumentaltechnik unter Beweis stellen. Mit den geflüsterten Worten ‚Nun träume ich nachts vom Fliegen‘ endet die Platte und versinkt in der Stille, in der klanglos weitergeträumt werden kann.
‚Der Schlüssel der Träume‘ ist eine ausdrucksintensiv dargebotene und sehr gut gelungene Einspielung, die vor allem durch ihre starke emotionale Wirkung für einnimmt. Die im gut gelungenen Booklet aufgedeckten philosophischen Hintergründe zu den jeweiligen Stücken unterstreichen zusätzlich die Wirkung und sensibilisieren für bestimmte Klangphänomene.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Dinescu, Violeta: Der Schlüssel der Träume |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
gutingi 1 21.03.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
4012652024811 |
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