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Sonntag, 1. Oktober 2023

Schütz, Heinrich - Musikalische Exequien & Motetten

Säkularisiert


Label/Verlag: MDG
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Diese Einspielung der 'Musicalischen Exequien' von Heinrich Schütz mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben ist konzeptionell geschlossen, in interpretatorischer Hinsicht aber mit den Referenzaufnahmen nicht konkurrenzfähig.

Heinrich Schütz‘ 'Musicalische Exequien' SWV 279–281 gelten als Höhepunkt der deutschen Kirchenmusik der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sie entstanden 1635-6 und wurden von Schütz selbst in überarbeiteter Version als Opus 7 im Druck veröffentlicht. Die hier vorliegende Interpretation ist durchaus diskussionswürdig, werden nämlich die kontrapunktischen Passagen teilweise solistisch, teilweise chorisch besetzt, werden die Passagen der 'Intonatio' von mehreren Sängern unisono vorgetragen – es scheint unwahrscheinlich, dass dies im Sinne der Komposition ist. Immerhin ist die Interpretation insofern in sich schlüssig, als gänzlich auf Frauenstimmen verzichtet wird (in der Einspielung des Knabenchors Hannover aus den Jahren 1998/9 wurden die Sopransolopartien von zwei Sopranistinnen übernommen, darunter immerhin der renommierten Dorothee Mields). Allerdings überzeugen die Stuttgarter Hymnus-Chorknaben von der Klangbalance her leider häufig nicht so ganz. Die Knabensopransoli klingen häufig deutlich weniger präsent als die Männersoli (das wäre bei englischen Knabenchören nicht passiert). Einen ganz eigenen Tonfall bringt der 15-jährige Knabenalt Simeon Allmendinger ein, dessen Stimme kein Kind mehr, aber auch noch kein Erwachsener ist. Erfreulich schlank das berühmte Tenorsolo 'Herr, wenn ich nur dich habe' (leider teilt das Booklet nicht mit, wer welches Solo singt).

Die gewichtige Komposition wird ergänzt durch die beiden Motetten 'Gesang der drei Männer im feurigen Ofen' SWV 448 und 'Das Wort ward Fleisch' SWV 385. Leider mangelt es dem Chor bei dem 'Gesang der drei Männer im Feuerofen' (einer Weltersteinspielung, da die Quellenlage der Komposition mehr als unbefriedigend ist) etwas an musikalischem Fokus – durch die Ausrichtung als Konzertchor fehlt der Interpretation hörbar die Erprobung im kirchenmusikalischen Kontext. So aber kann man Schütz‘ Musik nicht beikommen, die Interpretation bleibt ‚säkularisiert‘ oder anders gesagt: Die eigentliche Bedeutung der Musik kann nicht voll ausgekostet werden. Besser gelingt das stärker homophone 'Das Wort ward Fleisch', in dem sich die Stimmfarben runder mischen.

Umrahmt werden die Chorsätze durch drei Instrumentalsätze von Schütz sowie Kompositionen von Hans Hake und Johann Hermann Schein. Leider informiert uns der Booklettext, dass die Schütz-Sätze allesamt in der vorliegenden Version für Bläser und Basso continuo zum komponierten Anlass so nicht uraufgeführt worden sein können – eine Erklärung, warum hier keine Einspielungen mit Chor vorgelegt wurden, erfolgt nicht (es handelt sich selbstverständlich um die seinerzeit gängige Praxis, in anderem Zusammenhang vokale Musik auch rein instrumental darzubieten). Natürlich sprechen die Darbietungen des 1976 (!) gegründeten Ensembles Musica Fiata für sich. Die Musiker (die im Booklet leider nicht gelistet sind – auch sonst wird dieses durch zu viele Flüchtigkeitsfehler beeinträchtigt) kennen den Stil der Epoche und beleben sie äußerst stilvoll wieder. Schütz‘ Motette 'Das ist je gewisslich wahr' SWV 388 und die 'Cantica Simeonis' SWV 432/433 ebenso wie Hans Hakes 'Pavane a 8' und Johann Hermann Scheins Suite Nr. 10 aus dem ‚Banchetto Musicale‘ werden einfühlsam und klangschön dargeboten und bieten den Chorbeiträgen einen teilweise fast zu feierlichen Rahmen.

Die ausgezeichnete Dabringhaus und Grimm-Aufnahmetechnik ist die herausragende Qualität der SACD, doch kann dies in Anbetracht beeindruckender Konkurrenz nicht ausreichen. So bleibt der Gesamteindruck leider ein durchaus gemischter, zu einer Referenzeinspielung kann es nicht reichen.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Schütz, Heinrich: Musikalische Exequien & Motetten

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
MDG
1
01.03.2013
Medium:
EAN:

SACD
760623178462


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MDG

Die klangrealistische Tonaufnahme

»Den beim Sprechen oder Musizieren entstehenden Schall festzuhalten, um ihn zu konservieren und beliebig reproduzieren zu können, ist eine Idee, die seit langem die Menschen beschäftigte. Waren zunächst eher magische Aspekte im Spiel, die die Phantasie beflügelten wie etwa bei Giovanni deila Porta, der 1598 den Schall in Bleiröhren auffangen wollte, so führte mit fortschreitender Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens ein verhältnismäßig gerader Weg zur Lösung...« (Riemann Musiklexikon)

Seit Beginn der elektrischen Schallaufzeichnung ist der Tonmeister als »Klangregisseur« bei der Aufnahme natürlich dem Komponisten und dem Interpreten, aber auch dem Hörer verpflichtet. Die Mittel zur Tonaufzeichnung sind hinlänglich bekannt. Die Kriterien für ihren Einsatz bestimmt das Ohr. Deshalb für den Hörer hier eine Beschreibung unserer Hörvorstellung.

Lifehaftigkeit

In der Gewißheit, daß der Konzertsaal im Wohnzimmer (leider) nicht realisierbar ist, konzentriert sich unser Bemühen darauf, die Illusion einer Wirklichkeit zu vermitteln. Die Musik soll im Hörraum so wiedererstehen, daß spontan der Eindruck der Unmittelbarkeit entsteht, das lebendige Klanggeschehen mit der ganzen Atmosphäre der »Lifehaftigkeit« erlebt wird. Da wir praktisch ausschließlich menschliche Stimmen und »klassische« Instrumente - auch sie haben ihren Ursprung im Nachahmen der Stimme - aufnehmen, konzentriert sich unsere Klangvorstellung auf natürliche Klangbalance und tonale Ausgeglichenheit im Ganzen, und instrumentenhafte Klangtreue im Einzelnen. Darüber hinaus natürliche, ungebremste Dynamik und genaueste Auflösung auch der feinsten Spannungsbögen. Weitestgehend bestimmend für die Illusion der Lifehaftigkeit ist auch die Ortbarkeit der Klangquellen im Raum: freistehend, dreidimensional, realistisch.

Musik entsteht im Raum

Um diesen »Klangrealismus« einzufangen, ist bei den Aufnahmen von MDG eine natürliche Akustik unbedingte Voraussetzung. Mehr noch, für jede Produktion wird speziell in Hinblick auf die Besetzung und den Kompositionsstil der passende Aufnahmeraum ausgesucht. Anschließend wird »vor Ort« die optimale Plazierung der Musiker und Instrumente im Raum erarbeitet. Dieser ideale »Spielplatz« ermöglicht nun nicht nur die akustisch beste Aufnahme, sondern inspiriert durch seine Rückwirkung die Musiker zu einer lebendigen, anregenden Musizierlust und spannender Interpretation. Können Sie sich die Antwort des Musikers vorstellen auf die Frage, ob er lieber in einem trockenen Studio oder in einem Konzertsaal spielt?

Die Aufnahme

Ist der ideale Raum vorhanden, entscheidet sich der gute Ton an den Mikrofonen - verschiedene Typen mit speziellen klanglichen Eigenheiten stehen zur Auswahl und wollen mit dem Klang der Instrumente im Raum in Harmonie gebracht werden. Ebenso wichtig für eine natürliche Abbildung ist die Anordnung der Mikrofone, damit etwa die richtigen Nuancen in der solistischen Darstellung oder die Kompensation von Verdeckungseffekten realisierbar werden. Das puristische Ideal »nur zwei Mikrofone« kann selten den komplexen Anforderungen einer Aufnahme mit mehreren Instrumenten gerecht werden. Aber egal wie viele Mikrofone verwendet werden: Stellt sich ein natürlicher Klangeindruck ein, ist die Frage nach dem Zustandekommen des »Lifehaftigen« zweitrangig. Entscheidend ist, es klingt so, als wären nur zwei Mikrofone im Spiel.

Ohne irgendwelche »Verschlimmbesserer« wie Filter, Limiter, Equalizer, künstlichen Hall etc. zu benutzen, sammeln wir die Mikro-Wellen übertragerlos in einem puristischen Mischpult und geben das mit elektrostatischem Kopfhörer kontrollierte Stereosignal linear und unbegrenzt an den AD-Wandler und zum digitalen Speicher weiter. Dadurch bleiben auch die feinsten Einschwingvorgänge erhalten. Auf der digitalen Ebene wird dann ohne klangmanipulierende Eingriffe mit dem eigenen Editor in unserem Hause das Band zur Herstellung der Compact Disc für den Hörer erstellt, für Ihr hoffentlich großes Hörvergnügen.


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