
Raff, Joachim - De Profundis 130. Psalm, Op. 141
Probebohrung im Feld romantischer Kirchenmusik
Label/Verlag: Sterling
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Vermutlich kennen Sie Raff: Seine attraktiven Symphonien sind inzwischen fest im Tonträgerrepertoire verankert. Lohnt sich auch ein Blick auf seine sakrale Chormusik?
Die heute noch fest im Repertoire verankerten romantischen ‚Meisterwerke‘ lateinischer Kirchenmusik nach 1830 kann man an ein bis zwei Händen abzählen. Es handelt sich dabei einerseits um Requiem-Vertonungen; die vokalsymphonischen Inszenierungen des Mess-Ordinariums von Robert Schumann, Franz Liszt oder auch Anton Bruckner werden ebenso selten aufgeführt wie die ihrerzeit höchst prominenten Beiträge zur Kirchenmusik von Charles Gounod. Dass nun die katholische Kirchenmusik des Weimarer Liszt-Assistenten Joachim Raff (1822-1882) für Tonträger vom Staub der Archive befreit wird, verdankt sich allerdings weniger seiner Bedeutung für die kirchenmusikalische Landschaft zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, sondern wahrscheinlich vielmehr seiner inzwischen berechtigt erfolgten Etablierung als bedeutender Symphoniker und Kammermusiker (nebst ein wenig Schweizer Lokalpatriotismus, blickt man auf die Sponsoren der CD: v.a. die Züricher Zentralbibliothek). Chormusik macht – wie im ambitionierten 22-seitigen, leider nur englischsprachigen Booklet Dr. Avrohom Leichtling konstatiert – nicht einmal 10 Prozent seiner rund über 300 Werke aus, umspannt aber gleichwohl den Zeitraum von Raffs Zugehörigkeit zum Liszt-Kreis (1845 bis 1856) bis hin zum Apokalypse-Oratorium 'Welt-Ende – Gericht – Neue Welt' (uraufgeführt 1882). Das Ordinarium missae hat Raff zwar nicht für Chor und Orchester gesetzt, dafür aber haben mit einem kleinen 'Te Deum' (1853) und der Vertonung des 130. Psalms 'De profundis' op. 141 (1867) die beiden wichtigsten lateinischen Kompositionen ihre erste Präsentation auf Tonträgern erfahren, flankiert von Sätzen des 'Ave Maria' und 'Pater noster' (beide 1869) für achtstimmigen Chor a cappella und vier 'Marianischen Antiphonen' (1867).
Sakrale Oper und achtstimmige A-cappella-Literatur
Mit Brucknerscher Monumentalität hat Raffs knapp zehnminütiges, auf Solisten verzichtendes 'Te Deum' nur den blechbläserglänzenden Einstieg gemein; im zweiten Teil ('Te ergio quaesumus') dominiert Kantabalität der Oberstimmen, orchestral reich umrankt, die mit der Schlusslosung des 'In te, Domine, speravi' in ein fast opernhaftes Finale mündet, nicht fern der zeitgenössischen Produktion von Lortzing, Wagner und Gounod bis Meyerbeer.
Den Zug zum Dramatischen – nun konzeptionell eher in Nähe zu Liszts Christus-Oratorium – unterstreicht auch die Gestaltung des 130. Psalms: Einem längeren orchestralen Vorspiel folgen einerseits szenisch an emotionalem Gehalt orientierte, an gefühlsmäßige Identifikation appellierende Sätze – einnehmend das ariose Sopran-Solo 'Qia apud te' mit Frauenchorbegleitung, gut getroffen durch die einzige Solistin der Platte, Susanna Andersson – und andererseits kontrapunktisch gearbeitete Kanon- und Fugenabschnitte, in denen jedoch die Gefahr allzu rhythmischen Durchskandierens fast einkomponiert erscheint. Die klangliche Gewichtung zwischen der ‚großen‘ Chorbesetzung und der zumeist abwechslungreich-farbigen Orchestrierung stellt für Dirigent und Aufnahmeteam durchaus eine Herausforderung dar, der die Beteiligten in dieser Veröffentlichung leider nicht ganz gewachsen sind.
Gerade das Unbekannte bedarf bestmöglicher Vermittlung
Die beiden Werke für Chor und Orchester wurden in der 1935 erbauten Göteborger Konzerthalle mit dem Orchester der Göteborger Oper eingespielt; es dirigiert mit Henrik Schaefer ein langjähriger Berliner Assistent von Claudio Abbado. Hinsichtlich der Chöre ist das Booklet nicht eindeutig: Genannt werden – ohne Trackzuordnung – der Karlstad Kammerkör und die Stockholm Singers. Da laut Booklet Schaefer die Göteborger Aufnahmen von 2012 leitet und Bo Aurehl, Leiter der Stockholm Singers, das A-cappella-Programm, eine enstprechende Verteilung der Chöre wahrscheinlich; die Stockholmer könnten die Göreborger Kräfte aber auch verstärken. Besonders großbesetzt erscheinen weder das 'Te Deum' noch 'De Produndis', die Aufnahme ist aber auch alles andere als gut durchhörbar, was gleichermaßen an der Konzerthalle wie der Aufnahmetechnik liegen kann. Der Streicherklang wirkt – mit guten Kopfhörern wie auch einer durchschnittlichen Stereoanlage – wenig räumlich, ja oftmals etwas stumpf und eindimensional, einzig die Bläserstimmen sind besser zu verorten. Der Chor gerät zumeist etwas in den Hintergrund des ab mittlerer Lautstärke kaum noch transparenten, wattierten Gesamtklangs. Es wird zwar hinreichend sauber und kontrolliert musiziert, aber auch zu neutral und statisch (das besagte Skandieren in Steigerungsabschnitten fällt besonders in den Finalabschnitten beider Kompositionen auf). Somit kann die Einspielung nur schwach befriedigen.
Das gilt auch für die in der Kirche von Stora Kil auch aufgrund eines für meinen Geschmack etwas zu großbesetzten Chores gleichwohl sehr kompakt und interpretatorisch uneitel eingespielten A-cappella-Stücke, unter denen mich das doppelchörige 'Ave Maria' – ungeachtet trotz vorhandener Emphase sogar noch intensiver vorstellbarer Spannungskurven – am meisten beeindruckt hat.
Raff ist kein Avantgardist, sondern (wie Brahms) ‚Historist‘
Lob schließlich für das grafisch wie inhaltlich ansprechende Booklet: Mit Avrohom Leichtling wurde ein ausgeprochener Raff-Experte verpflichtet. Über den Begriff eines ‚neo-classicism‘ gerade der A-cappella-Chorwerke Raffs sollte man aber diskutieren: Leichtling verweist tatsächlich auf die entsprechende Strömung im frühen 20. Jahrhundert, aber auch die Orientierung an barocker und präbarocker Musik (insbesondere in den Marien-Antiphonen). Die in allen Werken zu beobachtenden Phänomene einer Auseinandersetzung mit älteren Kompositionsstilen kann man aber auch – wie etwa in der deutschen und englischsprachigen Brahms-Forschung inzwischen üblich – auf den Begriff eines kompositorischen Historismus bringen: auf den Versuch, sich in ältere Stile einzufinden und auch ‚einzufühlen‘. Gerade das ist ein Kennzeichen nicht nur dieser Raff’schen Beiträge, sondern des breiten, weitenteils unbekannten Feldes der Kirchenmusik, die es weiterhin noch zu entdecken gilt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Raff, Joachim: De Profundis 130. Psalm, Op. 141 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Sterling 1 12.02.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
7393338109822 |
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Sterling Sterling is a record label specialising in orchestral music from the Romantic era, founded by Bo Hyttner. Most of the CDs released by Sterling contain previously unrecorded works. After setting out with Swedish romantics, Sterling is now spreading out towards the musical heritage of other European countries. In Sweden, the label is represented through CDA.
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