
Beethoven, Ludwig van - Missa in C op. 86
Heterogen
Label/Verlag: Carus
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Frieder Bernius legt seine Interpretation der "kleinen" Beethovenschen Messe vor. Als Zugabe gibt es eine Cherubini-Motette aus Paris in Ersteinspielung.
Als Ludwig van Beethoven dem Fürsten Nikolaus II. von Esterházy stolz seine erste Messe vorlegte, soll dieser lakonisch erwidert haben: ‚Aber, lieber Beethoven, was haben Sie denn da wieder gemacht?‘ Offenbar war ihm die Modernität der Messe, die sich bereits von den strengen Formvorgaben ihrer Zeit zu lösen begann, sauer aufgestoßen. Die Messen von Joseph Haydn galten ihm als Klangideal, das Auftragswerk von Beethoven schien ihm zur Feier des Namenstages seiner Frau Maria Josepha Hermengilde ungeeignet. Hofkapellmeister Johann Nepomuk Hummel soll auf den fürstlichen Spott in schadenfrohes Lachen ausgebrochen sein, während Beethoven wütend die Stadt verließ. Als Beleg für diese kleine Anekdote gilt die Widmung des Erstdrucks an Fürst von Kinsky – anstelle von Esterházy. Stellt man sich nun vor, der Fürst würde seine Frage, die eigentlich keine ist, an Frieder Bernius stellen, so müsste man antworten: eine im Ganzen überzeugende, im Detail jedoch nicht komplett ausgegorene Aufnahme, bei der die Zugabe eher überzeugt als das Hauptwerk.
Die ‚kleine‘ Messe verschwindet häufig im Schatten, den die 'Missa solemnis' op. 123 als das geistliche Werk Beethovens wirft. Naturgemäß weist die C-Dur-Messe auf den großen Bruder in D-Dur voraus, sie ist jedoch auch als eigenständiges Werk modern, wenn nicht gar revolutionär im Detail. Ziel einer guten Aufnahme muss es also sein, die für Beethovens Zeitgenossen wie Esterházy, Hummel und Haydn akute Modernität hörbar zu machen. Bernius erreicht dieses hohe Ziel nicht, dafür ist der Klang zu rund und wohlgefällig. Diese Aufnahme scheint viele expressive Stellen wie Harmoniewechsel im 'Gloria' und 'Credo' eher zu nivellieren und sie in den kultivierten Stuttgarter Wohlklang einzupassen als die beinahe romantische Modernität explizit zu betonen. Damit wird ein runder und angenehm ‚klassischer‘ Beethoven-Klang erzielt, zuweilen jedoch auf Kosten der Expressivität.
Ein entscheidender Faktor dürfte die Akustik der Klosterkirche Alpirsbach spielen. Ein etwas trocknerer Klang hätte der Ausdifferenzierung der Instrumente sowie auch der Textverständlichkeit gut getan. Zudem gerät die Absprache des Stuttgarter Kammerchors teilweise diffus, was vermutlich eher der Akustik als Ungenauigkeit aufseiten des ansonsten sicher agierenden Klangkörpers geschuldet ist. Der homogene Chorklang ist von Bernius wohl kultiviert gestaltet; ihm gegenüber wirkt das Spiel der Stuttgarter Hofkapelle überraschend scharf und kantig. Insbesondere das stellenweise etwas unsaubere Blech will nicht in das kultivierte Klangbild passen. Und doch rettet gerade diese Scharfkantigkeit die Aufnahme vor allzu großer Gefälligkeit und damit einhergehender Beliebigkeit. Unter Bernius‘ Dirigat schafft das Orchester die Spannungsbögen, unter denen Chor und Solisten ihren reichen Klang entfalten können. Das Ergebnis vermag zu überzeugen, wenn auch nicht auf ganzer Linie. Ein Zusammenspiel solch disparater Elemente würde es auch nicht anders vermuten lassen.
Betrachtet man die einzelnen Sätze im Vergleich, lässt sich dies genauer erläutern. 'Kyrie' und 'Sanctus' können als Musterbeispiel für den gelungenen Einsatz des Stuttgarter Chorklangs gelten. In beiden Sätzen spielt der Chor seine Stärken aus, insbesondere der A-capella-Abschnitt zu Beginn des 'Sanctus' zeigt wahrhaft sakralen Charakter. Die beiden aufgrund des Textes traditionell längeren und dramatischeren Sätze 'Gloria' und 'Credo' bieten den Gegenpol, bei Beethoven auch das 'Agnus Dei', das E.T.A. Hoffmann als ‚Gefühl der inneren Wehmut‘ beschrieb. Hier ist es vor allem das Orchester, das den Spannungsbogen führt. Leider tritt hier auch besonders hervor, dass der Klang des Orchesters nicht mit dem Chor und den Solisten mithalten kann. Während das Holz sonor und leuchtend daherkommt, erklingt das Blech dröhnend, zuweilen fast lärmend. Möglich, dass die Akustik hier eine Mitschuld trägt. Die Streicher agieren sicher und differenziert; aber auch sie klingen etwas kalt. Hier könnten mangelnde Tiefen in der Aufnahme verantwortlich sein.
Gleiches lässt sich im übertragenden Sinn auch von den Solisten behaupten, denn hier tun sich besonders die Frauenstimmen hervor. Maria Keohane besitzt einen reinen, hell strahlenden Sopran, der von der Akustik getragen und auch aufnahmetechnisch gut eingefangen wird. Margot Oitzinger füllt die Alt-Partie mit viel Wärme, im Ensemble bietet sie den rundesten Klang auf. Thomas Hobbs ist als Tenor ein spannungsvoller Erzähler, wirkt jedoch in den längeren Solopassagen manchmal etwas überfordert. Sebastian Noack vermag als Bariton in der Bass-Partie nicht zu überzeugen. Ihm fehlen sowohl die kernige Tiefe als auch ein warmer Klang in der Mittellage, sodass er unvorteilhaft im Ensemble heraussticht. In den Solopassagen beweist er jedoch wie Hobbs ein Talent zum spannungsvollen Agieren.
Dies zeigt sich besonders in der Zugabe dieser Aufnahme, der Ersteinspielung des 'Sciant gentes' von Luigi Cherubini. Die kurze, aber dramatische Motette bietet nach der qualitativ heterogenen Messe einen versöhnlichen Abschluss. Einmal mehr tut sich hier der Chor im ersten und dritten Satz hervor; die wirbelnden Winde des zweiten werden sowohl vom Bariton Noack als auch vom Orchester exzellent ausgedeutet. Gerne hätte man mehr dieser dramatischen geistlichen Miniaturen gehört, genug Spielzeit wäre auf der mit 48 Minuten ziemlich knapp ausfallenden Aufnahme vorhanden gewesen. Eine Gesamtaufnahme aller Motetten, die Cherubini für die Königliche Kapelle in Paris schrieb, wäre mit dem Stuttgarter Kammerchor unter Frieder Bernius auf jeden Fall ein begrüßenswertes Projekt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Beethoven, Ludwig van: Missa in C op. 86 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Carus 1 01.03.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
4009350832954 |
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Carus Der Name Carus steht weltweit als ein Synonym für höchsten Anspruch und Qualität auf dem Gebiet geistlicher Chormusik. Dies betrifft nicht nur unsere zuverlässigen Noteneditionen vieler zu Unrecht in Vergessenheit geratener Werke. Es ist uns ein besonderes Anliegen, gerade diese Werke - oft als Weltersteinspielungen - auch in exemplarischen Interpretationen durch hochrangige Interpreten und Ensembles auf CD vorzulegen. Der weltweite Erfolg unseres Labels führte zur Erweiterung unseres Katalogs: Neben der Chormusik, die weiterhin den Schwerpunkt des Labels bildet, haben gerade in den letzten Jahren einige Aufnahmen barocker Instrumentalwerke internationale Beachtung gefunden. Unsere Zusammenarbeit mit erstklassigen Interpreten führte zu einer hohen Klangkultur, die mit der Verleihung vieler internationaler Preise honoriert wurde (Diapason d'Or, Preis der Deutschen Schallplattenkritik, Gramophone - Editor's choice). Mehr Info... |
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