
Lüneburg, Barbara spielt - Werke von Bach & Scelsi
Spiegelungen
Label/Verlag: Coviello Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Geigerin Barbara Lüneburg kombiniert Bachs berühmte d-Moll-Partita mit Solowerken von Giacinto Scelsi und schafft dadurch ein spannendes Gegenüber historisch weit entfernter Kompositionen.
Was haben historisch so weit voneinander entfernte Komponisten wie Johann Sebastian Bach und Giacinto Scelsi miteinander zu tun? Diese Frage stellt die experimentierfreudige Geigerin Barbara Lüneburg mit ihrer neuesten, bei Coviello erschienenen CD-Produktion ‚Beyond‘ – nicht ohne aus ihrer Perspektive die Antwort gleich mitzuliefern: seien es doch, so Lüneburg in einem Gespräch mit Moritz Bergfeld, ‚die Absolutheit und die Spiritualität‘ in der Musik beider Komponisten, die eine Gegenüberstellung so faszinierend machen. In der Tat scheint es zunächst kaum größere Kontraste als jene zwischen den hier eingespielten Solowerken für Violine zu geben: Da ist einmal die verschwenderische, in der berühmten 'Ciaccona' gipfelnden Klangarchitektur von Bachs Partita d-Moll BWV 1004, während in Scelsis Diptychon 'L’âme d’ailée – L’âme ouverte' (1973) und in der dreiteiligen Komposition 'Xnoybis' (1964) eine nur auf wenige Klänge fokussierte Kargheit in den Fokus rückt. Und dennoch schafft es die Geigerin, zwischen den Werken beider Komponisten über die Jahrhunderte hinweg eine dialogische Situation herzustellen.
Diese Bemerkungen machen deutlich, dass es Lüneburg bei ihrer Bach-Interpretation nicht um die Rekonstruktion eines historisch informierten Musizierens geht, sondern dass sie sich als Zeitgenossin mit der Partita auseinandersetzt, um die Verbindung eines Repertoirewerks aus der Vergangenheit mit der Musik eines Komponisten, der zu den wichtigsten des 20. Jahrhunderts zählt, herzustellen. Daher muss Bachs Violinwerk nicht nur im Kontext mit Scelsis Werken gehört werden, sondern auch die spezifischen Zugangsweisen der Geigerin zu den einzelnen Kompositionen nehmen aufeinander Bezug. So hat beispielsweise die leichte Schärfe, die Lüneburg in ihrer Tongebung bei der Bach-Wiedergabe neben einem ansonsten oft wunderbar schlanken und zerbrechlichen Ton gelegentlich einsetzt, ihren Ursprung in der klanglichen Eigenart von Scelsis Komposition. Darüber hinaus scheinen aber auch Entscheidungen wie das ruhige Tempo in der eröffnenden Allemande und der abschließenden Chaconne Kennzeichen der jüngeren Werke zu spiegeln. Gerade die Temponahme führt dazu, dass Lüneburg die Bach’schen Phrasen genau ausformuliert, dass sie sich Zeit für die melodischen Verzweigungen lässt, ohne dabei den großen Bogen zu vernachlässigen. Und da die Gestaltung aus dem Klang und der Harmonik heraus im Mittelpunkt steht, strahlt die Komposition zudem eine Ruhe aus, wie man sie sonst heute selten zu hören bekommt.
All diese Elemente kann man gleichfalls – freilich auf ganz andere Weise – in den asketischen Stücken Scelsis wiederfinden: So werden die aufgrund der hervorragenden Aufnahmetechnik in eine räumliche Weite ausstrahlenden Klänge der Bach’schen Musik in Scelsis Stücken durch die Tendenz ersetzt, das Innenleben des Klangs zu erkunden und aus den auf Mikrointervallen basierenden Umspielungen weniger Tonhöhen sowie unter Einbeziehung vielfältiger farblicher und dynamischer Schattierungen möglichst viele Facetten zu gewinnen. Diese Situation erhält in 'Xnoybis' dadurch zusätzliche Prägnanz, dass Scelsi Timbre und Resonanzen der Violine durch eine extreme Veränderung der normalen Saitenstimmung modifiziert und dazu noch einen speziellen metallenen Resonator vorschreibt, der den Violinklang um eine ungewöhnliche Komponente, nämlich ein klirrendes Schwirren, bereichert. Ergebnis ist eine in sich kreisende Musik, deren subtile Veränderungen Lüneburg genau auszutasten weiß. Dass die Geigerin damit den Hörer herausfordert, den gegenseitigen Spiegelungen von Bach in Scelsi und Scelsi in Bach nachzuspüren und die beiden Komponisten aus dem jeweiligen Gegenpol heraus zu erkunden, ist die schönste Nebenerscheinung dieser hörenswerten Veröffentlichung.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Lüneburg, Barbara spielt: Werke von Bach & Scelsi |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Coviello Classics 1 01.02.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
4039956613022 |
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