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Sonntag, 1. Oktober 2023

Liszt, Franz - Transkriptionen nach Wagner & Verdi

Pianistische Poesie


Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Insgesamt muss man - bei aller pianistischen Brillanz Michele Campanellas - leider von einer vertanen Chance sprechen.

Mitte der 1980er-Jahre spielte Michele Campanella für Acanta auf Wagners Flügel in Wahnfried eine CD ein, auf der sich auch drei Transkriptionen aus Wagner-Opern fanden: Elsas Brautzug aus 'Lohengrin', das Spinner(innen)lied aus 'Der fliegende Holländer' und 'Walhall' mit Themen aus dem 'Ring des Nibelungen'. Die damalige Einspielung brillierte durch den herrlichen Klang des Steinway-Flügels aus dem Jahre 1876. Für seine 2000/1 entstandene und hier als Lizenz wiederveröffentlichte (sowie um die Transkription der 'Tannhäuser'-Ouvertüre ergänzte) Gesamteinspielung der Wagner- und Verdi-Transkriptionen und -Paraphrasen Franz Liszts wählt Campanella ein etwas weniger geeignetes Instrument, einen 1892 entstandenen Steinway-Flügel aus der Sammlung von Roberto Valli und (für die 'Tannhäuser'-Ouvertüre einen im Booklet nicht datierten Yamaha-Flügel. Warum diese Instrumentenwahl, muss er sich fragen lassen, wo doch Liszts Musik nicht selten deutlich gewinnt, wenn man auf historisches Instrumentarium zurückgreift?

Nun, zunächst einmal beeindruckt der historische Steinway-Flügel durch Wärme und Farbenvielfalt; man kann nicht sagen, dass das Instrument für das Repertoire völlig ungeeignet sei. Allerdings verschwimmen gelegentlich die Klänge durch Pedalgebrauch auf unschöne Weise, der Anschlag ist an einigen Stellen (abermals keineswegs immer) ungewöhnlich trocken. So merkt man immer wieder, dass der Klang des Instrumentes offenbar nicht jene natürliche Virtuosität ermöglicht, die Liszts Musik so wesentlich inhärent ist und die wir auch von Michele Campanella gewöhnt sind. Allerdings profitiert der 'Feierliche Marsch zum heiligen Graal' (!) (1882) durch eben die glockenartig nachklingenden tiefen Register und schafft auf dem Flügel jenen berühmten mystischen 'Parsifal'-Klang nach.

Gleich bei der ersten Verdi-Paraphrase (zu 'Ernani', 1847) hat man dieses Problem, das bei Transkriptionen (etwa jener des 'Salve Maria' aus Verdis 'Jérusalem', jener des 'Agnus Dei' aus dem Requiem, 1877, jener des ‚Lieds an den Abendstern‘ aus 'Tannhäuser', 1848 oder jener der drei Stücke aus 'Lohengrin', 1852) nicht auftaucht, hier vielmehr Campanellas pianistische Poesie voll zum Zuge kommen lässt. Da bereitet die Transkription des 'Miserere' aus dem 'Trovatore' (1860), die in den tiefsten Registern des Instruments beginnt, wieder weitaus größere Probleme. Gelungener erscheint mir die 'Rigoletto'-Paraphrase (1859). Die Transkription des Autodafé aus 'Don Carlos' (1867-8) und die 'Réminiscences de Boccanegra' (1882) haben wunderbare poetische Momente, sind an anderen Stellen aber reichlich lärmend. Nicht vermeiden lässt sich dies auch bei Passagen aus dem Phantasiestück über Themen aus Wagners 'Rienzi' (1859) oder der Transkription der 'Tannhäuser'-Ouvertüre (1848); letztere wurde, wie bereits gesagt, auf Yamaha nachgetragen, und da sie mit dem Pilgerchor beginnt, fehlt Liszts Transkription eben dieser Pilgerchor in der sogenannten Gesamtaufnahme. Das Instrument klingt deutlich runder als der Steinway, doch fehlt der Einspielung jene Dringlichkeit, die ein historisches Instrument hätte vermitteln können.

Campanellas musikalischer Charme kommt auf das Herrlichste zur Geltung bei der Transkription des Spinnerliedes (so Liszt) aus dem 'Fliegenden Holländer' – und hier wie in den anderen Fällen zeigt sich, dass sich Campanellas Interpretation über fünfzehn Jahre kaum verändert hat; gerade bei Elsas Brautzug erweist sich, dass beide Instrumente hier optimal eingesetzt werden konnten und sich das Ergebnis eher marginal unterscheidet; bei 'Walhall' ist Wagners eigenes Instrument durch die klareren Bässe wohl zu bevorzugen.

Die Aufnahmetechnik tut nichts, die Probleme des Instruments zu mildern, das Booklet (nur auf Englisch und Italienisch) liefert nicht einmal grundlegendste Informationen zur Instrumentenwahl und der Wahl der Fassungen und Entstehung der einzelnen Paraphrasen oder Transkriptionen (etwa von der 'Ernani'-Paraphrase hat Leslie Howard für Hyperion immerhin zwei der drei Fassungen eingespielt, auch von der 'Jérusalem'-Transkription beide Fassungen), problematisiert auch nicht den fundamentalen Unterschied zwischen Paraphrase (die mit großer Freiheit mit dem Originalmaterial umgeht) und Transkription. Die Transkription war qua Titel bewusste (durchaus kunstvolle – man bewundert die klangliche Vielfalt von 'Danza sacra e duetto finale' aus 'Aida' oder der Ballade aus 'Der fliegende Holländer') Reduktion des Orchester- oder Chorwerkes auf das kammermusikalische Medium des Klaviers, in Ermangelung angemessener Schallaufzeichnung. Darüber hinaus stimmt das Tracklisting von CD 3 nicht – Track 7 und 8 (Transkription von 'Am stillen Herd' aus den 'Meistersingern' und Isoldens [nicht Isoldes] Liebestod) sind verkehrt herum zugewiesen. Schlicht deplatziert in dieser Box (wenn auch eine rechte Rarität auf Tonträger) ist 'Hagen und Kriemhild' sowie 'Bechlarn' aus Eduard Lassens Musik zu Hebbels ‚Nibelungen‘ (1878).

Insgesamt muss man leider – bei aller pianistischen Brillanz Campanellas – von einer vertanen Chance sprechen und – auch trotz Leslie Howard und seiner Liszt-Gesamteinspielung für Hyperion – auf mehr Liszt auf historischen Instrumenten hoffen.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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    Liszt, Franz: Transkriptionen nach Wagner & Verdi

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Brilliant classics
3
01.02.2013
Medium:
EAN:

CD
5028421946108


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