
Meyerbeer, Giacomo - Robert Le Diable
Komplex
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Es ist verdienstvoll, sich eines der kaum je im Theater zu hörenden Werke von Giacomo Meyerbeer anzunehmen. Das Ergebnis ist trotz einiger sehr guter Sängerleistungen nicht vollauf überzeugend geraten.
Die Opern Giacomo Meyerbeers stellen an die heutigen Interpreten teilweise nahezu unlösbare Anforderungen. Nicht dass Meyerbeers Musik extrem kompliziert wäre, doch besitzt sie ganz eigene ästhetische Parameter, die der Oper des Belcanto zwar verwandt, doch durchaus eigener Art sind. Wir haben hier Musik, die sich essenziell dem Konzept des so genannten Regietheaters und all seiner Implikationen verweigert, Musik, die ihre Zeit braucht, gleichzeitig verständnisvolle Interpreten, die nicht nur die klangliche und musikdramatische Seite des Werkes bestens verstehen, sondern auch die historischen Aspekte – das Erlebnis der ‚Grand Opéra‘ als gesellschaftliches Ereignis mit eigenen Regeln und Ritualen (wie dem berühmten Ballett in einem der Binnenakte).
Hiermit widerstehen Meyerbeers Opern wie viele andere derselben Tradition anhängenden Werke heute zumeist der gewerkschaftlich bedingten Orchesterverfügbarkeit – sie sind eben kaum je in weniger als vier Stunden zuzüglich Pausen aufführbar und verursachen damit Kosten, die sich Opernhäuser heute zumeist nur bei mutmaßlich finanziell sicheren Unternehmungen wie großen Wagner-Opern leisten (auch Wagners 'Rienzi', ebenfalls der Tradition der Grand Opéra angehörend, wird aus diesem Grund heute selten programmiert, und Verdis 'Don Carlos', in seiner französischen Originalfassung ursprünglich auch in dieser Tradition konzipiert, wurde über lange Jahre in der angeblich verbesserten, gestrafften italienischen Fassung gegeben).
Bei Meyerbeer und vielen seiner Zeitgenossen kam hinzu, dass eine wissenschaftlich gesicherte Ausgabe ihrer Werke nicht vorliegt; nur in wenigen Fällen wurde diesem Mangel mittlerweile abgeholfen (die 2010 vorgelegte Neuausgabe von 'Robert le diable' errang nach Erscheinen den begehrten Deutschen Musikeditionspreis BEST EDITION, trotz des stattlichen Preises von knapp 3.000 EUR für die Partitur!). Dennoch bleibt rein praktisch immer wieder die Notwenigkeit (oder das Bedürfnis), die Opern zu straffen, um sie heutigen Hörgewohnheiten akzeptabler zu machen. Eine ‚Erziehung zur Grand Opéra‘ ist – auch weil heutige Opernhäuser vor den erforderlichen Personal- und Ausstattungskosten zurückschrecken – nicht zu erwarten.
So ist es umso verdienstvoller, wenn – selbst mit alten Aufführungsmaterialien – ein Versuch gemacht und dieser auch noch mitgeschnitten wird. Ja, es gibt ein paar Nebengeräusche, aber die gibt es in der bisherigen Referenzproduktion (einem Mitschnitt aus der Pariser Oper 1985 mit Alain Vanzo, June Anderson, Samuel Ramey und Michèle Lagrange unter Thomas Fulton) zur Genüge.
In der Rolle des Robert ist der amerikanische Tenor Bryan Hymel zu hören, der jüngst den Beverly Sills Artist Award der Metropolitan Opera erhielt und nun für den Olivier Award 2013 nominiert wurde. 2012 war er an Covent Garden bereits als Einspringer für Jonas Kaufmann zu erleben. Und die französische Oper liegt ihm in der Tat. Hymels Stimme hat die Wärme eines Domingo und bereits das Gewicht eines jugendlichen Heldentenors. Der Robert verträgt auch einen etwas leichteren Zugriff, etwa wie jenen Alain Vanzos (dessen Stimme schon nicht die feinkörnigste war). Ein wenig fehlt Hymel noch die vokale Individualität, doch spricht seine vokale Poesie (etwa in 'Du magique rameau' aus dem vierten Akt) für sich. Die große Mezzosopranpartie der Oper ist Roberts Halbschwester Alice übertragen – hier der Italienerin Carmen Giannattasio. Sie hat eine warme, etwas gaumige Stimme mit sicherer Höhe – doch fehlt ihr ein wenig das französische Flair, das Michèle Lagrange zur Verfügung steht, das Flutende ihres herrlichen Legatos – kurz, Giannattasios Französisch klingt nur wenig idiomatisch. Ähnliches muss leider auch über die Sopranistin gesagt werden, trotz ihrer feingliedrigen, höhensicheren Stimme, die qualitativ deutlich über June Anderson einzuordnen ist, klingt Patrizia Ciofi ebenfalls fraglos wie eine Italienerin, die Französisch zu singen versucht. Warum nur wird bei solch ambitionierten Produktionen nur immer wieder am Sprachcoach gespart?
Derartige Einschränkungen treffen nicht auf den eigentlichen Star dieser Aufführung zu – den Bass Alastair Miles in der Rolle des (Teufels) Bertram, der vielleicht nicht ganz die dramatische Expressivität Samuel Rameys besitzt, dessen Stimme mit ihrem balsamischem Wohllaut aber eine ganz eigene, unterschwellige Dämonie vermittelt (ähnlich wie dies auf seine Art José van Dam möglich war). Und was für eine Wohltat: Miles versteht es, Französisch zu singen. Durch Miles wird der dritte Akt (bekanntlich teilweise Vorbild für den zweiten Akt von Wagners 'Parsifal') mit dem Bacchanal der toten Nonnen völlig zu Recht zum dramatischen Zentrum der Oper.
Daniel Oren bemüht sein Äußerstes, Meyerbeers Partitur zum Leben zu erwecken. Zwar ist das Orchester (ähnlich wie das Pariser) nicht immer präzise, doch hilft ihm die Aufnahmetechnik, das Werk lebendig zu präsentieren. Besonders die Posaunen des Orchestra Filarmonica Salernitana ‚Giuseppe Verdi‘ sind ein besonderer Bonus. Der Chor unterstützt zuverlässig, das Booklet ist (auf Englisch und Französisch) von akzeptabler Qualität.
Doch als neue Referenzeinspielung kann man die neue Produktion denn trotzdem nicht bezeichnen – dafür ist zu viel ‚Unfranzösisches‘ in dieser urfranzösischen Oper anzutreffen. Wo bleiben die Opernfestivals im frankophonen Raum, die sich des Werks endlich einmal exemplarisch annehmen – am besten gleich im Studio?
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Meyerbeer, Giacomo: Robert Le Diable |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 3 04.01.2013 |
Medium:
EAN: |
CD
5028421946047 |
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