
Weingartner, Felix - Sinfonie Nr. 7 op. 88
Felix Weingartners Letzte
Label/Verlag: cpo
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Weingartners letzte Sinfonie vervollständigt als Ersteinspielung den Zyklus all seiner Sinfonien beim Label CPO. Die gute Aufführung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nicht sein stärkstes Werk ist.
Nach zehn Jahren liegen mit der letzten, 1942 nur wenige Monate vor seinem Tod in Basel uraufgeführten Siebten Sinfonie nun alle Sinfonien Felix Weingartners in einer vorbildlichen Edition beim Osnabrücker Label cpo vor. Noch einmal wurden dafür alle Kräfte gebündelt, handelt es sich bei diesem Opus summum Weingartners doch um eine groß angelegte Sinfonie mit Chor, vier Gesangssolisten, solistisch eingesetzter Orgel und groß besetztem Orchester (mit dreifachen Blechbläsern und vier Hörnern). Die mittlerweile auf zwölf CDs angewachsene, ambitionierte Reihe mit den unbedingt wiederzuentdeckenden Werken Felix Weingartners ist bisher leider an den großen Orchestern, die sich einer langen romantischen Tradition in ihrer Klangsprache rühmen, spurlos vorbeigezogen. Dabei wären Weingartners Sinfonien eine großartige Abwechslung zu den ewiggleichen Beethoven-Brahms-Bruckner-Zyklen für die Berliner, Münchner, Dresdner, Leipziger, Wiener …
Dies sagend, gestehe ich, dass ich mich mit der letzten Sinfonie Felix Weingartners im Gegensatz zu seinen anderen schwergetan habe. Das beginnt mit der CD-Edition beim überlangen, sich in Details verlierenden und ungewöhnlich persönlich werdenden Booklet-Beitrag von Eckhardt van den Hoogen. Van den Hoogen hat in den Beiheften der Weingartner-Reihe sehr verdienstvoll sein enormes, erarbeitetes Wissen ausgebreitet und Weingartner als Theoretiker, Autor, Dirigent und Komponist gewürdigt. Das hat sicherlich entscheidend zum Verständnis der Werke mit beigetragen, auch wenn immer wieder der Eindruck entstand, dass hier so etwas wie eine Hassliebe zu Weingartner verschriftlicht wird. Ein Dokument ganz eigener Prägung ist der Begleittext dieses Mal geworden, überlang sich verlierend und auch vor der Schelte einer Kritikerin nicht zurückschreckend, weil sie bei der Wiederaufführung, die der Aufnahme zugrunde liegt, Assoziationen zu anderen Komponisten (Schubert, Mahler, Bruckner) hatte; sonderbarerweise schreibt van den Hoogen wenig später selbst ausführlich über Vorbilder und musikalische Wendungen, die in dieser Sinfonie auf andere Komponisten verweisen.
Damit sind wir auch schon bei der Crux von Weingartners sinfonischem Schaffen: Seine spätromantische Tonsprache war und ist stets dem Verdacht der Epigonalität ausgesetzt, gerade im Rückblick von heute, wo Brahms, Bruckner, Mahler & Co. so allgegenwärtig sind. Letztlich schreibt van den Hoogen genau gegen solchen Vorurteilsballast an. Der international gefeierte Dirigent Felix Weingartner kannte diese Werke natürlich bestens. Der schmale Grat zwischen Epigonalität und fortschaffendem Kunstwerk ist ohnehin oft ein schmaler. Ihn zum Qualitätskriterium zu machen, ist allerdings eine im kanonischen Denken des Bildungsbürgertums verankerte Sichtweise aus dem 19. Jahrhundert, die bedauerlicherweise manch konservativen und reaktionären Gedanken noch heute nährt.
Die Gewollte
Dann aber vor allem klingt die hier im Februar 2012 in Basel, 70 Jahre nach ihrer Uraufführung am gleichen Ort mitgeschnittene (wohl erst zweite) Aufführung von Weingartners Siebter etwas bemüht. Sie entwickelt nicht die Selbstverständlichkeit und die großen Bögen der vorangegangenen sinfonischen Aufnahmen, die ebenfalls alle mit dem Radio-Sinfonieorchester Basel unter Marko Letonja entstanden. Mit etwas mehr als einer Stunde Spielzeit ist sie die am größten dimensionierte Sinfonie Weingartners. In Struktur und Organisation verweist sie deutlich auf die große romantische deutsch-österreichische Sinfonie bis hin zu Bruckner, hat aber auch Beethoven im Kopf und bezieht mit den Gesangspassagen im zweiten und im vierten Satz Impulse Mahlers mit ein. Beim ersten Höreindruck jedoch fehlen Spontaneität und Frische, ja Inspiration, die die früheren Sinfonien ausgezeichnet hatten. Das Opus wirkt hier sehr konstruiert und überlegt, ist sperrig und die Proportionen wollen nicht so recht funktionieren. Man merkt der Sinfonie das Wollen des Komponisten an, das große Unternehmen der Synthese seiner Erfahrungen am Ende einer (auch musikalischen) Epoche. Weingartner, Jahrgang 1863, hatte das 70. Lebensjahr bereits deutlich überschritten, als er die Sinfonie schrieb, und um ihn herum tobte der Zweite Weltkrieg.
Gleich zu Beginn werden Fuge und Sonate miteinander verquickt, doch weder die virtuose Verbissenheit jener Fuge, die die Fünfte beschloss, noch der Melodienreichtum der mittleren Sinfonien will sich einstellen. Alles klingt richtig und will doch nicht so recht gefangen nehmen, Am ehesten gelingt Weingartner das noch im Scherzo, dem dritten Satz. Friedrich Hebbels gottgläubiges ‚Zwei Wanderer‘ und Hölderlins ‚Hymne an die Liebe‘ sind zusammen mit den toderfüllten Verse über irdische Tage von Weingartners Ehefrau Carmen Suter die bedeutungsschwangeren, irdische und göttliche Liebe besingenden Texte, die der Komponist ausgewählt hat und auf Soli und Chor verteilt.
Doch Weingartner erweist sich hier nicht als Talent der Vokalvertonungen. Die Texte wirken immer wieder isoliert in ihrem Klangbett und stehen ein ums andere Mal in einem merkwürdigen Verhältnis zum großen Orchesterapart. Da finden sich transparente Instrumentierungen und zart erfühlte Wortumspielungen neben volltönenden Passagen. So recht will sich das nicht zusammenfügen. Es gibt wunderbare Effekte wie der Solosopran, der von der Orgel (Babette Mondry) begleitet singt, doch den Eindruck des Gewollten, des Unbedingt-etwas-aussagen-Wollens wird man selten los. Vielleicht liegt es aber gerade daran, dass die Faszination an dieser Sinfonie mit jedem Hören wächst; jedes Mal entdeckt man dabei neue, bemerkenswerte Details.
Die Solisten Maya Boog (Sopran), Franziska Gottwald (Alt), Rolf Romei (Tenor) und Christopher Bolduc (Bariton) machen ihre Sache leider allenfalls ordentlich. Vieles klingt dabei zu erarbeitet, zu wenig natürlich und zu unüberlegt in der Textdarbietung. Nur in Maya Boogs Sopransolo zur Orgel ändert sich das, mit beseeltem Leuchten, zum Positiven hin. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn klingt kräftig und ist in den choralartigen Passagen klangschön eingesetzt.
Marko Letonja und sein Basler Orchester setzen sich erneut merklich für diese Musik mit vollem, attraktivem Klang, exzellentem Holz und warmen Blech, einer wunderbar ausgesteuerten Balance der einzelnen Orchestergruppen untereinander und viel Überzeugungskraft ein. Letonja hat das alles gut im Griff, formt und setzt Akzente, markiert formale Sinnzusammenhänge, scheint aber in diesem Mitschnitt auch immer wieder auf Nummer sicher zu gehen, wie etwa im Scherzo, das man sich drängender, belebter denken könnte.
Diese letzte Sinfonie Weingartners wirkt in ihrer Gesamtheit nicht so überzeugend wie die vorangegangenen. Dennoch, missen möchte man sie keinesfalls, denn der Zyklus aller sieben Sinfonien gehört zu den (leider viel zu wenig gewürdigten) Großtaten des Labels cpo. Wo bleibt hier ein Preis wie beispielsweise der ECHO Klassik? Solche Produktionen hätten das viel mehr verdient als das nächste von der Medienindustrie gepuschte Klassiksternchen, das die dreihundertachte Aufnahme eines populären Stücks einspielt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Bisherige Kommentare zu diesem Artikel
Echo ist kein Qualitätspreis
Der Echo ist nun wirklich kein Preis auf den sich irgendjemand was einbilden kann. Er ist ein reiner Verkaufspreis. Bekommen tut ihn die Aufnahme die in der jeweiligen Sparte am meisten verkauft worden ist.Farlis, 11.11.2013, 21:04 Uhr
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Weingartner, Felix: Sinfonie Nr. 7 op. 88 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
cpo 1 20.12.2012 |
Medium:
EAN: |
SACD
761203710324 |
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Weingartner, Felix |
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cpo Wohl kaum ein zweites Label hat in letzter Zeit soviel internationale Aufmerksamkeit erregt wie cpo. Die Fachwelt rühmt einhellig eine überzeugende Repertoirekonzeption, die auf hohem künstlerischen Niveau verwirklicht wird und in den Booklets eine geradezu beispielhafte Dokumentation erfährt. Der Höhepunkt dieser allgemeinen Anerkennung war sicherlich die Verleihung des "Cannes Classical Award" für das beste Label (weltweit!) auf der MIDEM im Januar 1995 und gerade wurde cpo der niedersächsische Musikpreis 2003 in "Würdigung der schöpferischen Leistungen" zuerkannt.
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