> > > Bach, Johann Sebastian: Ach süßer Trost ! Vier Kantaten des ersten Leipziger Jahrgangs
Samstag, 23. September 2023

Bach, Johann Sebastian - Ach süßer Trost ! Vier Kantaten des ersten Leipziger Jahrgangs

Subtiler Bach


Label/Verlag: Phi
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Philippe Herreweghe und sein Collegium Vocale Gent überzeugen mit einer vielschichtigen, an interpretatorischer Substanz reichen Deutung vierer Bach-Kantaten.

Auf der aktuellen Produktion seines Labels Phi wendet sich Philippe Herreweghe nach Einspielungen der Motetten und der h-Moll-Messe erneut Werken Johann Sebastian Bachs zu – vier Kantaten des ersten Leipziger Jahrgangs, im Werkverzeichnis unter den Nummern 25, 46, 105 und 138 geführt. Es sind dies bemerkenswert komplexe, gedankenvolle Kantaten von einiger Schwere. Bach zeigt sich in diesen Werken im Vollbesitz seiner kompositorischen Möglichkeiten: Er setzt variantenreich, alle Idiomatiken sind auf höchstem Niveau ausgeprägt, die Sätze sind dicht und doch klar. Jene Unverkennbarkeit des Personalstils, die sein Schaffen für die noch folgenden zweieinhalb Lebensjahrzehnte prägen sollte, ist in diesen Kantaten voll etabliert. In ihnen finden sich etliche kompositorische Kleinodien, genannt sei nur der Eingangschor von BWV 46 'Schauet doch und sehet, ob irgendwo ein Schmerz sei', der später zur Keimzelle des eindrücklichen 'Qui tollis' der h-Moll-Messe werden sollte.

Erlesene Klangkultur

Den Chor, das Kernstück seines Collegium Vocale Gent, hat Philippe Herreweghe für diese Produktion mit drei Stimmen je Part besetzt, die Vokalsolisten eingeschlossen. Diese Formation ist personell hochkarätig zu nennen und versiert. Die komplexen Eingangschöre werden luzide und strukturklar gedeutet, in dieser gelegentlich verhaltenen Anlage durchaus auch substanzreichen Klang entfaltend. Die grundsätzliche Musizierhaltung ist schlicht in den Chorälen, von feiner Expressivität in den Chören, dies auch dank sehr sprachnaher Diktion. Insgesamt steht dieses Vokalensemble für eine erlesene Klangkultur.

An diese Sphäre knüpft die Instrumentalformation an: In voller Besetzung entfaltet sie eine ansprechende klangliche Wirkung, wirkt aber in der Vielgestaltigkeit der Konstellationen vor allem konzentriert, klar, klug disponiert und geschmackvoll dosiert. Posaunen oder Flöten bringen sehr aparte Farben ein, der Basso continuo wird kontrolliert und in knapper Artikulation gespielt. Insgesamt gelingt Herreweghe mit seinem überaus stilkundigen Instrumentalensemble ein eminent delikater Bachklang.

Große Expertise vereinen auch die Vokalsolisten: Hana Blažiková bringt ihren schlanken Sopran mit gleißendem Leuchten zur Geltung, ohne je scharf oder hart zu werden. Besonders ihre zauberhafte Arie 'Wie zittern und wanken' aus BWV 105 zeigt sie in geradezu zärtlicher Verschlingung mit Marcel Ponseeles Oboe und dokumentiert nebenbei ihre technische Brillanz mit größter Leichtigkeit. Damien Guillon hat sich in den Bach-Interpretationen vergangener Jahre eine respektable Position als Altist ersungen, die er hier unterstreicht – mit rezitativischer Leichtigkeit und arioser Geschmeidigkeit. Der englische Tenor Thomas Hobbs überzeugt mit schlanker, gleichwohl klangintensiver Stimme, deren Eigenschaften arios besser zur Geltung kommen als in den Rezitativen, in denen eine gelegentlich leicht unidiomatische Aussprache und ein präsenter s-Fehler merklich sind. Schließlich zeigt sich Peter Kooij souverän, seine Mittel klug disponierend, mit überzeugender baritonaler Eleganz. Dabei agiert er in den Rezitativen besonders kundig, gelingen die Arien aber gleichfalls sicher, auch wenn ihm exaltierter Stimmglanz hier vielleicht abgeht.

Herreweghe fügt die Kantaten in fließenden, entspannten Grundtempi zusammen, die sich zu einem stimmigen Gesamttableau verdichten. Das Klangbild ist klar, dabei angenehm erwärmt und in reich nuancierter Staffelung realisiert. Alle klingenden Sphären werden plastisch und natürlich in harmonischer Balance abgebildet. Im viersprachigen Booklet wird umfassend und fundiert informiert, in sehr ansprechender Gestaltung.

Phillippe Herreweghe und sein Collegium Vocale Gent beleben die eminente Komplexität der Sätze mit klanglicher Delikatesse und lassen sie durch die plastische Gestaltung der Linien doch fasslich wirken. Im Ergebnis sind subtil ausgeleuchtete Bachkantaten zu hören – denn Herreweghe versammelt die klanglichen Möglichkeiten und die ästhetisch-stilistische Geschmackssicherheit der Akteure zu einer bemerkenswert feinsinnigen Deutung.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Bach, Johann Sebastian: Ach süßer Trost ! Vier Kantaten des ersten Leipziger Jahrgangs

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Phi
1
01.10.2012
Medium:
EAN:

CD
5400439000063


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Phi

Der griechische Buchstabe φ (PHI - die Übereinstimmung mit den Initialen von Philippe Herreweghe ist nicht ganz zufällig) versinnbildlicht die Ambitionen des Labels. Er ist das Symbol für den goldenen Schnitt, für die Perfektion, die man in den Staubfäden der Blumen findet, für griechische Tempel, Pyramiden, Kunstwerke der Renaissance oder für die Fibonacci-Zahlenfolge. Seit der frühesten Antike steht dieser Buchstabe im eigentlichen Sinne für Kontinuität beim Streben nach ästhetischer Perfektion.
Mit der Realisierung dieses Katalogs erfüllt sich Philippe Herreweghe seinen Herzenswunsch, die Ergebnisse seiner musikwissenschaftlichen Forschungen und der im Laufe einer langen Karriere gewonnenen Erfahrungen hörbar werden zu lassen.
Mit vier bis fünf Neuproduktionen pro Jahr wird der Katalog Aufnahmen des wichtigsten symphonischen und chorischen Repertoires umfassen, Polyphonisches und natürlich die Werke von Johann Sebastian Bach, die Philippe Herreweghe in dem Bestreben wieder aufgreifen wird, immer vollendetere Versionen zu schaffen.


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