
Koch, Tobias spielt - Werke von Chopin, Hiller & Liszt
Zueignungen
Label/Verlag: Genuin
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das musikalische Gipfeltreffen im Paris der 1830er Jahre, das Tobias Koch auf einem Flügel der Zeit stattfinden lässt, ist vor allem wegen der inspirierten Deutung der Werke von Ferdinand Hiller zu empfehlen.
Man kann sich das kaum ausmalen, was für ein anregendes gesellschaftliches Klima in der ‚Hauptstadt des 19. Jahrhunderts‘ geherrscht haben dürfte, als hochstehende Vertreter aller Kunstgattungen, politisch Interessierte und sonstige wachen Geister dort einen lebhaften Austausch pflegten. Unter den zig Geistesgrößen, die sich bei Gesellschaften in Salons zusammenfanden, befand sich auch ein Triumvirat junger Pianisten bzw. Komponisten, das für Furore sorgte: Frédéric Chopin, Ferdinand Hiller und Franz Liszt. Hiller ist heute, obgleich er im Musikleben des mittleren 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielte, kaum mehr bekannt – ganz im Gegensatz zu den anderen beiden. In den 1830er Jahren war die Unwucht der späteren Rezeptionsgeschichte noch nicht abzusehen. Freddy, Ferdi und Franz waren lange Jahre in Freundschaft verbunden, schrieben sich (zuweilen auch abwechselnd zu zweit) Briefe und widmeten sich gegenseitig neue Werke.
Ebendiese Werke hat der Pianist Tobias Koch nun unter dem Titel ‚Trois amis à Paris‘ auf einer sehr ansprechenden Einspielung zusammengefasst. Die Werke von Ferdinand Hiller, die im Gegensatz zu jenen von Chopin und Liszt weniger bekannt sind, stehen im Zentrum der Aufnahme. Eingerahmt von Chopins drei Nocturnes op. 15 (die Hiller gewidmet sind) und Liszts 'Apparitions' (einem seiner bedeutendsten frühen Werke) sowie 'Harmonies poétiques et religieuses' stehen die Werke von Hiller, die sich vor jenen Chopins oder Liszts keineswegs zu verstecken brauchen. Die vier ausgewählten Nummern aus den (Liszt gewidmeten) 'Rhythmischen Studien' op. 52 zeigen einen Komponisten, der Fünfvierteltakte mit geraden Metren melodisch so wunderbar verbindet, dass man jedes Gespür für Taktschwerpunkte verliert oder der über ein schräg schraffiertes Feld synkopierter Akkorde wilde Triolen jagen lässt, dass einem von ‚geraden‘ Nachschlägen und triolischem Vorwärtsstürmen ganz schwindelig wird. Neben dem Impromptu 'Zur Guitarre', das über arpeggierten Akkorden locker punktierte Melodik entfaltet, sind es insbesondere die 'Trois Ghazèles' op. 54 und die 'Huit Mésures variées' op. 57, an denen Hillers kompositorische Begabung deutlich wird.
Der Spezialist für historische Tasteninstrumente Tobias Koch setzt auch für dieses musikalische Gipfeltreffen in Paris ein Instrument des mittleren 19. Jahrhunderts ein. Der restaurierte Erard-Flügel aus dem Jahr 1842 zeichnet sich durch ein silbrig helles hohes Register sowie knackig ansprechende Bässe aus, ist trotz der klanglich getrennten Registerfarben aber für Flügel seiner Zeit vergleichsweise voluminös. Die klanglichen Qualitäten kommen in Liszts 'Apparitions' vielleicht am deutlichsten zum Tragen, erschließt Liszt hier doch eine ganz neue (und wegweisende) Art, mit den Klangmöglichkeiten des Claviers umzugehen, vor allem den schnell verklingenden, zarten Schimmer der höchsten Töne einschließend.
Musikalisch überzeugen jedoch vor allem die Stücke von Hiller, die Tobias Koch mit inspiriertem Spiel über die Werke der ungleich bekannteren beiden anderen Komponisten emporhebt. So gibt er der unregelmäßigen, frei schwebenden Melodielinie in der Nr. 1 der 'Rhythmischen Studien' mit feinem Rubato sachte Konturen oder macht in der Nr. 2, wenn in der Stückmitte die Rollen getauscht werden und die aufschießenden Triolenläufe in die linke Hand versetzt sind, die Forte-Piano-Wechsel zu einem klanglichen Ereignis werden. Die Variationen-Folge op. 57 gestaltet Tobias Koch nicht nur technisch bravourös, sondern auch mit einem die ausgearbeiteten Stimmungen der Einzelvariationen einbindenden Spannungsbogen. Auch hier kommen die charakteristischen Farben des Flügels sehr schön zum Tragen, etwa in der filigranen Brillanz der Arpeggio-Variation oder dem geradezu rasselnden Klang, wenn Hiller die Klangpotenzen eines Instruments seiner Zeit mit rasenden Bewegungen und dichten Klangtexturen auf die Probe stellt. Etwas lauer klingen die Chopin-Nocturnes op. 15. Vor allem das 'Larghetto' hätte etwas mehr rhythmische Freiheit, wie sie für die Aufführungspraxis des 19. Jahrhunderts charakteristisch ist, vertragen.
Diese Produktion, die einige Titel in Ersteinspielung enthält, nimmt neben der künstlerischen Qualität von Tobias Kochs Spiel – insbesondere bei den Werken von Ferdinand Hiller – auch durch das tadellose Booklet wie auch durch eine die Klangwirkungen des historischen Flügels sehr schön zur Geltung bringende klangtechnische Umsetzung für sich ein.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Koch, Tobias spielt: Werke von Chopin, Hiller & Liszt |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Genuin 1 01.10.2012 |
Medium:
EAN: |
CD
4260036252552 |
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