> > > Rachmaninoff, Sergej: Sonate Nr. 2 op. 36
Sonntag, 26. März 2023

Rachmaninoff, Sergej - Sonate Nr. 2 op. 36

Seismograph


Label/Verlag: Arts music
Detailinformationen zum besprochenen Titel


In unseren Zeiten akustischer Hochglanzpolitur kann der Wagemut des sizilianischen Pianisten Alessandro Mazzamuto kaum hoch genug geschätzt werden - auch wenn er manchmal fast übers Ziel hinausschießt.

Für gewöhnlich gehen bei Wettbewerben solche Künstler als Gewinner hervor, die eine technisch einwandfreie, aber weitgehend konsensfähige Interpretation abliefern, so dass sich keines der Jurymitglieder auf den Schlips getreten fühlen muss. Es sind dann meist sie, denen in der Folge Plattenverträge winken, nicht unbedingt jene jungen Künstler, die eine eigene Werksicht ohne Wenn und Aber zur Diskussion stellen. Ein Korrektiv zu dieser Situation bildet der Premio Ludovici, ein Sonderpreis des Internationalen Ferruccio Busoni Wettbewerbs, der im Gedenken an Gian Andrea Ludovici, den großen italienischen Musikproduzenten, ins Leben gerufen wurde. Im letzten Jahr wurde der Preis dem jungen sizilianischen Pianisten Alessandro Mazzamuto aus den Händen der Jurypräsidentin Martha Argerich, selbst eine streitbare Interpretin, verliehen.

Nun liegt beim audiophilen Label Arts Music Mazzamutos erste Einspielung vor, die sich ganz auf Werke von Sergej Rachmaninoff konzentriert. Das Programm ist schlüssig angelegt: Nach der Klaviersonate Nr. 2 b-Moll op. 36, die die ganze Aufmerksamkeit des Hörers einfordert, folgen die fünf 'Morceaux de fantaisie' op. 3, in denen die musikalischen Charaktere auf engem Raum zusammengedrängt werden, während die ausladenden, aber kurzweiligen 'Corelli-Variationen' op. 42 einen fulminanten Schlusspunkt bilden.

Im Vergleich mit den beiden erst vor Kurzem veröffentlichten Rachmaninoff-Einspielungen von Nareh Arghamanyan und Xiayin Wang, deren Programm sich mit dem Alessandro Mazzamutos teils überschneidet, fällt die geradezu wagemutige (und daher nur bedingt wettbewerbskompatible) interpretatorische Herangehensweise des Sizilianers auf. Mazzamuto spürt den musikalischen Charakteren, die oft nicht nur dicht gedrängt, sondern manchmal durch Motivschichtungen übereinander gelagert sind, seismographisch nach. Lyrisches, sachte Singendes wird im Tempo zurückgenommen, so dass zuweilen fast die Zeit stillzustehen scheint, lebhaft nach vorn Drängendes und Dramatisches entfesselt der Pianist mit Sturmgewalt.

Einem solchem Musizieren wohnt die Gefahr inne, musikalische Verläufe in rhapsodisch gestaltete Abschnitte zu teilen. Doch Mazzamuto entgeht ihr, indem er alles im Fluss hält – vor allem in der b-Moll-Sonate op. 36, die hier in der Erstfassung erklingt. Der Fantasie-Charakter von Rachmaninoffs zweiter Klaviersonate, in deren langsamen Mittelsatz Motive des Kopfsatzes nochmals durchgeführt werden, und deren melodische Verläufe wie losgelöst von jeglichen metrischen Schwerpunkten sich frei entfalten, wird durch Mazzamutos äußerst flexiblem Umgang mit dem Tempo noch gesteigert. Man verliert vollkommen den Halt und wird von dem ebenso kraftvoll wie sensibel artikulierenden Pianisten in einen Strudel gezogen, dessen Sog umso stärker wird, je mehr Mazzamuto der subkutanen Mehrstimmigkeit durch Überblick und hohe Anschlagskultur nachsteigt.

Ähnlich feinfühlig, wenn auch nicht ganz so frei in der Tempogestaltung, agiert Alessandro Mazzamuto in den fünf 'Morceaux de fantaisie' op. 3. Auch hier werden Stimmungsgegensätze ins Äußerste gesteigert, etwa im berühmten cis-Moll-Prélude, das hier mit Aplomb und stählerner Pranke erklingt. Stets jedoch wird das Pathos, das Mazzamuto keineswegs scheut, ausgeglichen und eingeführt durch ein weiches, lebendiges, dramaturgisch geschicktes Verbinden der unterschiedlichen Atmosphären und Werkabschnitte. Mazzamuto zieht es vor, zu entwickeln und stetig zuzuspitzen anstatt klare Schnitte zu setzen. In den großartigen 'Corelli-Variationen' op. 42 gerät Mazzamutos Kontraste betonende Lesart allerdings in die Nähe des Manierismus. Wo ein zumindest in den einzelnen Variationen durchgehender Puls notwendig wäre, um für Einheit und Zusammenhalt zu sorgen, leuchtet Mazzamuto manche Bassfigur wie mit einem agogischen Suchscheinwerfer aus.

Dennoch: Der Wagemut des Pianisten ist in unseren Zeiten der Hochglanzpolitur kaum hoch genug zu schätzen, gleiches gilt für die Konsequenz, mit der Mazzamuto seine interpretatorische Idee verfolgt. Zu dem tief bewegenden Eindruck trägt nicht zuletzt die exquisite Klangtechnik der als SACD produzierten Aufnahme bei. Der Klavierklang hat reichlich Raum, vermittelt aber gleichzeitig Alessandro Mazzamutos Anschlagsnuancen in bester Weise; vor allem aber begeistert eine riesige dynamische Bandbreite. Abgerundet wird die spannende Produktion durch ein mehrsprachiges Booklet.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Rachmaninoff, Sergej: Sonate Nr. 2 op. 36

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
Aufnahmejahr:
Arts music
1
14.09.2012
72:54
2012
Medium:
EAN:
BestellNr.:

SACD
600554776187
47761-8


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"Sergej Rachmaninoff (1873-1943) war einer der größten Pianisten aller Zeiten. Am Piano hatte er einen besonderen Anschlag, einen Klang, den Arthur Rubinstein als “golden tone” bezeichnet hat, und zweifellos eine Anziehungskraft, die das Publikum in ihren Bann schlagen und verzaubern konnte. In dieser Aufnahme kann man die Sonate Nr. 2 op. 36 in ihrer ersten Fassung hören, die er 1910 in Rom begonnen und 1913 in Moskau vollendet hat. Die 1892 geschriebenen fünf "Morceaux de Fantasie" stellen das erste wichtige Kompositionsprojekt des jungen Rachmaninoff dar. Die Variationen über ein Thema von Corelli op. 42 (1931) bilden das letzte pianistische Hauptwerk des Komponisten und zugleich einen der gelungensten Zyklen von Variationen für Piano. In seinen zwanzig Variationen zeigt er eine beispielhafte Klarheit und Geradlinigkeit in der Anordnung der Teile, eine Qualität, die er vielleicht seiner Erfahrung als Konzertpianist im klassischen und romantischem Repertoire verdankt und die er von 1918 an während seiner Jahre in Amerika gesammelt hat. Bei dieser Aufnahme gibt der junge sizilianische Pianist Alessandro Mazzamuto sein Debüt, Gewinner des Premio Lodovici, der im Busoni-Wettbewerb 2011 von Martha Argerich als der Kandidat mit dem größten Potenzial für ein Plattenprojekt bezeichnet wurde: das heißt mit Originalität der Interpretation und mit der Fähigkeit, den poetischen Gehalt der Partituren zu ergründen und zu vertiefen. Kurzum: ein wahrer Künstler. Freuen Sie sich auf diese Erstaufnahme von Alessandro Mazzamuto und der zweiten Zusammenarbeit der Organisation „Donatori di Musica“ (einem Netzwerk aus Musikern, Ärzten, Krankenschwestern, ehrenamtlichen Mitarbeitern, Patienten und deren Angehörigen deren Ziel es ist, regelmäßig kostenlose Konzerte in Krankenhäusern zu veranstalten) und Arts Music, die in überragender Soundqualität mit 24 bit/96 kHz-Technik auf hochwertiger Hybrid SACD im Mehrkanalton erscheint."


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Arts music

ARTS wurde 1993 gegründet. Seither haben wir mehr als 6200 Tracks (das sind über 400 Datenträger) mit Klassischer Musik der letzten 5 Jahrhunderte veröffentlicht. Neben Alter Musik und Zeitgenössischem befindet sich in unserem Katalog auch Musik der größten Interpreten der letzten Jahrzehnte sowie Musik sehr erfolgreicher junger Künstler, die Ihren künstlerischen Zenith noch vor sich haben und diesen mit uns verbringen werden. Die Musikrichtungen reichen von Sakral bis Oper, Kammermusik bis Symphonik, Lied bis Operette. Große Werke Mozarts, Beethovens, Schuberts usw. sind ebenso vertreten wie Raritäten von Rossini, Verdi, Händel und vielen mehr.
Die ARTS Produkte heben sich nicht nur durch ihre exquisiten Inhalte und den herausragenden Künstlern und Interpreten hervor, sondern zeichnen sich auch durch die bisher unübertroffenen, kristallklaren 24bit/96kHz Aufnahmetechnik sowie der außerordentlichen Gestaltung der Booklets in vier bis fünf unterschiedlichen Sprachen aus.
Jedes Jahr veröffentlichen wir zwischen 25 und 30 neue Titel auf CD, Hybrid SACD, DVD-Video oder DVD-Audio, die sowohl bei der nationalen als auch der internationalen Presse großen Anklang finden.
Mit unserem starken künstlerischen Hintergrund haben wir die höchsten erstrebenswertesten Ziele erreicht: den Aufbau eines internationalen Vertriebsnetzwerkes sowie die Etablierung und Platzierung der Marke ARTS im internationalen Markt.


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