
Schubert, Franz - Sinfonien Nr. 6 & 7
Ein dynamischer und ein unvollendeter Schubert
Label/Verlag: Pentatone Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Philippe Herreweghe hat mit dem Royal Flemish Philharmonic zwei weitere Schubert-Sinfonien aufgenommen, die "Kleine" C-Dur-Sinfonie und die "Unvollendete". Dass der Beschäftigung mit Schubert ein Beethovenzyklus vorangegangen ist, ist deutlich hörbar.
Schon nach wenigen Takten dieser Schubert-CD ist es deutlich zu hören, dass hier der Beethoven im Detail steckt. Und zwar nicht alleine auf die kompositorische Nähe von Schubert zu Beethoven bezogen, nein, diese Nähe offenbart sich auch im Zugriff der Interpreten auf die Musik. Tatsächlich hat das Royal Flemish Philharmonic unter Philippe Herreweghe zuvor einen gesamten Beethovenzyklus erarbeitet und eingespielt. Entsprechend klingt es nun, wenn sie Schuberts Sechste Symphonie in C-Dur, die sogenannte ‚Kleine‘ C-Dur-Sinfonie spielen: erfrischend dynamisch und voller Energie.
Warum eigentlich ‚klein‘?
Schubert selbst übertitelte seine Partitur mit ‚Große Sinfonie in C‘. Lediglich zur Unterscheidung von der später komponierten Sinfonie, die heute als ‚Große‘ bekannt ist, wird die Sechste nun nachträglich als ‚Kleine‘ bezeichnet. Dabei ist sie keineswegs klein. Und klein hört sie sich auch beim Royal Flemish Philharmonic unter Philippe Herreweghe nicht an. Der den Kopfsatz beherrschende Dialog zwischen Holzbläsern und Tutti wird dynamisch fein aufgefächert. Auch Pauken und Blechbläser dürfen hier immer wieder markante Akzente setzen. Zwar finden sich keine Angaben zur Besetzung im Booklet, aber der Streicherapparat scheint von Herreweghe entschlackt worden zu sein, was dazu beiträgt, dass sich die Bläser besser durchsetzen können. Schon im ersten Satz kann man deutlich hören, wie gut die einzelnen Register des Orchesters disponiert sind. Die Pauken klingen präzise, aber nie aufdringlich, die Hörner obertönig und frisch, aber nicht zu frech. Es fällt auch keinesfalls negativ auf, dass das Orchester auf modernen Instrumenten spielt, unaufdringlich im positiven Sinne.
Auch im zweiten und dritten Satz ist die Anlehnung an Beethoven deutlich hörbar: im Puls der Akkorde und in deren Harmonik im hier zuweilen sogar keck klingenden 'Andante'. Oder aber auch in der Gesamtanlage des Scherzos, das Parallelen zum dritten Satz von Beethovens ‚Eroica‘ aufweist; so stehen auch bei Schubert rhythmische Spannungen im Scherzo-Teil einem deutlich ruhigeren Trio-Teil gegenüber. Der letzte Satz flacht kompositorisch leider ein wenig ab und verliert sich gegen Ende ins Triviale. Da kann Herreweghe auch nicht mehr rausholen als drinsteckt. Im Gegensatz zu vielen anderen Interpreten, die durch extreme Überzeichnung Effekte erzielen, ist es hier wiederum Herreweghes bewährter Zugriff, die Extreme zu meiden, aber bewusst Akzente zu setzen. Dadurch gelingt ihm eine transparente und musikalisch schlüssige Darstellung der Sechsten Symphonie von Franz Schubert. Hörenswert und spannend erzählt!
Unvollendet
Mit der ‚Unvollendeten‘ steht es allerdings etwas anders, denn das namensgebende Prädikat trifft in diesem Fall nicht nur auf Schuberts Symphonie in h-Moll zu, sondern auch auf Teilaspekte von Interpretation und Aufnahme. So hätte das 'Allegro moderato' ruhig einen Hauch lebendiger sein dürfen. Der interpretatorische Zugriff ist hier etwas gemäßigter, der Klang weniger transparent, vielmehr rund im Sinne von romantischer. Im Gegensatz zur vorangegangenen Symphonie klingt hier alles etwas kontrastärmer und weniger dynamisch. Das fällt gerade dann auf, wenn man beide Symphonien direkt hintereinander hört. Höhepunkte des ersten Satzes von Herreweghes ‚Unvollendeter‘ sind die singenden Celli und eine wunderschöne Soloklarinette. Die gelungensten Momente dieses Satzes sind folglich in den gesanglichen Passagen zu verorten. An anderen Stellen, insbesondere vor so manchem Höhepunkt, ist wiederum zu hören, wie sich die Interpreten an der Musik abmühen. So zeichnet sich ein durchwachsenes Bild dieses berühmten ersten Satzes der Unvollendeten. Schlussendlich immer noch gut, aber das Niveau der fulminanten Sechsten kann diese Siebte nicht halten.
Auch klanglich fällt die ‚Unvollendete‘ gegenüber der vorangegangenen Sinfonie deutlich ab. In der C-Dur-Sinfonie kann man sich an einem direkten und transparenten Klang eines gut dispositionierten und nicht zu groß besetzen Orchesters erfreuen. Die einzelnen Instrumente sind durch Nebengeräusche, etwa den subtil hörbaren Luftanteil der Flöte, gut im Klangbild zu verorten. Ein Phänomen, das bei Aufnahmen unter Karajan undenkbar gewesen wäre, dem Gesamtklang hier aber eine gewisse Natürlichkeit verleiht. In der Sinfonie h-Moll hingegen fallen in den Piano-Passagen die Nebengeräusche durchaus negativ auf, während es im Tutti ordentlich wummert, vor allem wenn die Pauke beteiligt ist. Und wenn dann auch noch das Mundstück eines Doppelrohrbläsers mehrfach ins Cellosolo kiekst, wünscht man sich, dass der Tonmeister an dieser Stelle doch besser eingegriffen hätte.
Im 'Andante con moto' sind es auch wieder die Instrumentalsolisten, die diesen Satz zum regelrechten Genuss machen. Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott geben sich da sprichwörtlich die Klinke in die Hand. In diesem letzten Satz kommen dann auch die Klangfarben des Orchesters wieder sehr viel besser zum Vorschein, und auch der gute Beethoven scheint in den Tutti-Passagen nochmal durch. Damit gelingt Herreweghe und dem Royal Flemish Philharmonic ein gelungenes CD-Finale. Wenngleich insgesamt kein ganz großer Wurf, dennoch eine hörenswerte Einspielung dieser beiden hörenswerten Schubert-Sinfonien.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schubert, Franz: Sinfonien Nr. 6 & 7 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Pentatone Classics 1 20.08.2012 |
Medium:
EAN: |
SACD
827949044663 |
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