
Spohr, Louis - Lieder Vol. 1
Generationenübergreifende Brücke
Label/Verlag: ARS Produktion
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Felicitas und Judith Erbs Bemühungen um Spohrs Lieder ist nicht nur musikhistorisch interessant, sondern bietet auch ästhetische Genüsse.
Was wir an deutscher Musik des 19. Jahrhunderts kennen, ist, betrachten wir es genauer, beschämend wenig. Neue Generationen haben das Schaffen der vorherigen immer wieder zu verdrängen versucht, und was sich durchsetzte, ergab sich teilweise durch musikalischen Ausnahmestatus, teilweise aber auch durch schieres Glück. Die Lieder von Louis Spohr gehörten nicht dazu, Lieder, die das Schaffen etwa Felix Mendelssohn Bartholdys nicht im geringsten zu fürchten brauchen. Doch Spohr bietet mehr; gelegentlich verbindet er Elemente von Mozart und Brahms und bietet so eine wichtige generationenübergreifende Brücke, die uns bislang verloren gegangen war. Die Kölner Edition Dohr hat vor einiger Zeit damit begonnen, alle Spohr-Lieder in einer Neuedition vorzulegen, ein musikhistorisch wie musikalisch wichtiges Unterfangen. Nun als die erste CD einer entsprechenden Reihe.
Spohr schuf kaum Lieder mit Texten etablierter Dichter (viele heute vergessene Dichter lassen sich entdecken), von einer ganz eigenen Ästhetik, die jenen Louis Spohr, den wir bislang kennen, geradezu neu verorten, ihm eine klarere Ausrichtung geben. Nun sind Spohrs Lieder auf der vorliegenden CD vornehmlich lyrischer Natur – Ausbrüche à la Schumann finden sich kaum –, doch gelingt es den Interpretinnen, Blässe und Langatmigkeit zu vermeiden.
Die in Stuttgart geborenen Schwestern Felicitas und Judith Erb sind zwei junge Sopranistinnen, die sich mit schöner Frische den Liedkompositionen Spohrs nähern. Ihr Lehrer Thomas Pfeiffer ist in beider Stimmen spürbar, vor allem in dem natürlichen Zugang und der Zurücknahme des Vibratos. Felicitas Erb hat von beiden Schwestern die höhere Sopranstimme, auch die sicherer sitzende. Ihre Zusatzausbildung in historisch informierter Aufführungspraxis zahlt sich aus. Bei ihrer Schwester gibt es immer wieder kleine Wackler in der Tonhöhe. Doch erfreut bei beiden Sängerinnen, dass sie über jeweils eigene Klangfarben verfügen. Felicitas Erb könnte fast an die junge Edith Mathis heranreichen, Judith Erb (nur vom Stimmcharakter, nicht vom -typus her) Ruth-Margret Pütz.
Felicitas Erb verfügt über einen herrlichen Jubelton, der für das gesamte lyrische Repertoire bestens geeignet ist (welcher Dirigent wird sie als Pamina einsetzen?). Doch auch für das 'Lied des verlassenen Mädchens' WoO 90 findet sie den rechten Tonfall, sorgt durch die Feinheit ihrer Stimme für nahezu unmittelbare Identifikation. Judith Erbs besondere Gabe sind die etwas verschatteten, besonnen-besinnlichen Lieder, etwa das herrliche 'Grüße' WoO 123; feine Piani bietet sie im schwer darzubietenden 'Wohin?' WoO 125. Das lebhaftere 'Neue Liebe, neues Leben' WoO 127 lässt ahnen, dass Judith Erbs musikalische Zukunft eher im dramatischen Bereich liegt.
In sieben Duetten (darunter dem einzigen Werk auf dieser CD mit Opuszahl, 'Drei Duetten' op. 108) vereinigt sich der künstlerische Zugang der Schwestern auf das Vorzüglichste. Ihre Stimmen passen ähnlich gut zusammen wie früher Barbara Bonney und Angelika Kirchschlager, doch fällt hier noch stärker auf, dass Felicitas Erbs Vibrato (oder Non-Vibrato) kontrollierter eingesetzt werden kann, ihr Messa di voce organischer gestaltet wird als bei ihrer Schwester.
Doriana Tchakarova ist eine solide Klavierbegleiterin, allerdings altmodischer, mit viel weniger farbigen Valeurs als die beiden Sängerinnen. Es bleibt unverständlich, warum die Lieder nicht auf einem Hammerklavier begleitet wurden, was den Klavierpart aufgewertet hätte (man denke an Anne Sofie von Otters Einspielung der 'Sechs Deutschen Lieder' op. 154 mit Melvyn Tan).
Exemplarische Aufnahmetechnik macht das Anhören der SACD in beiden Formaten, als SACD und als CD, zu einem äußerst überzeugenden Erlebnis. Das Booklet bietet sämtliche Gesangstexte (die man aber alle bestens verstehen kann) sowie einen umfängliches, leider gelegentlich unbeholfen formulierten Essay der beiden Herausgeber der Liededition, Susan Owen-Leinert und Michael Leinert.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Spohr, Louis: Lieder Vol. 1 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ARS Produktion 1 01.09.2012 |
Medium:
EAN: |
SACD
4260052381168 |
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Spohr, Louis |
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